Führungskräfte: Die Feinde in der Chefetage

Führung und die Rolle von Führungspersönlichkeiten waren in der öffentlichen Debatte lange positiv besetzt. Manager galten als „Macher“, ihre Führungsqualitäten standen ausser Zweifel. Die letzte grosse Krise hat an diesem Image allerdings einiges geändert. In der öffentlichen Debatte spielt heute auch das Thema „feindliche Führung“ eine Rolle.

Nach dem Crash der New Yorker Investmentbank Lehman Brothers standen zunächst die Qualitäten der Top-Manager auf dem Prüfstand. Viele der früheren Stars fielen tief, einige von ihnen beschäftigen mit ihren Fehlleistungen noch heute die Gerichte. Inzwischen hinterfragen Managementexperten jedoch auch das Führungsverhalten auf den mittleren Ebenen der Unternehmenshierarchien.

Spannungsfeld zwischen Soft Skills, Anpassung und talentierten Freaks

Der Mainstream in der Managementliteratur fokussiert sich auf die sogenannten Soft Skills: Erfolg als Führungskraft hat demnach, wer über genügend soziale Kompetenz verfügt und in der Lage ist, durch seinen Führungsstil die Mitarbeiter zu Leistungsbereitschaft, Exzellenz und Eigenständigkeit zu motivieren. Die Krux dabei: Derartige Anforderungen verkommen oft zu Floskeln, die in der Praxis wenig Wirkung zeigen. Karriere machen oft die Angepassten mit den glatten Lebensläufen, von der schnellen und erfolgreichen Bewerbung – schliesslich sind auch Chefs nur Menschen und stellen am liebsten Personen ein, die ihnen ähnlich sind – bis zum raschen Aufstieg in der Firma. Kreativität und Innovationsfähigkeit bleiben dabei allerdings allzu häufig auf der Strecke. Einige Personalexperten haben das erkannt und plädieren für mehr Aufmerksamkeit für „talentierte Freaks“. Viele Führungskräfte geraten jedoch nicht nur durch immer härtere Leistungsanforderungen, sondern auch durch solche gegenläufigen Leitbilder immer stärker unter Druck.

„Feindliche Führung“ als Kehrseite des Führungsmythos

Der „Chef als Psychopath“ gehört inzwischen zu den gängigen Medienbildern, mehr oder weniger aussagekräftige Studien bescheinigen etwa jedem zehnten Manager pathologische Persönlichkeitsstrukturen. In der öffentlichen Wahrnehmung verkehrt sich damit der positive Führungsmythos in sein Gegenteil. Managementwissenschaftler nähern sich der Problematik aus einer deutlich objektiveren Perspektive – unter anderem mit dem Ziel, eine generell negative Wahrnehmung von Führung und Führungsverhalten zu verhindern. Im Hinblick auf den Business-Alltag geht es dabei bisher vor allem um das Phänomen der „feindlichen“ oder „feindseligen“ Führung (abusive supervision). Nicht schön, aber in mehr als einem Unternehmen Usus: Direkte Vorgesetzte gehen offenbar mehr oder weniger regelmässig auf ihre Mitarbeiter los.


Feindliche Führung. (Bild: Brian A Jackson / Shutterstock.com)
Feindliche Führung. (Bild: Brian A Jackson / Shutterstock.com)


„Bossing“ – objektives Verhalten oder subjektive Wertung?

Zum Erscheinungsbild der „feindlichen Führung“ gehören Verhaltensweisen wie Anschreien, unangemessene öffentliche Kritik, das Lächerlichmachen von Mitarbeitern, Unhöflichkeit und Grobheit, verbale Nötigung oder Ideenklau: Der Chef gibt die Leistungen seiner Mitarbeiter als Resultate seiner eigenen Arbeit aus. Auf den ersten Blick praktizieren die Betreffenden explizites „Bossing“, mobben also ihre Mitarbeiter, die sich gegen die Attacken von oben oft nur unzureichend wehren können. Auf den zweiten Blick erscheinen solche Bewertungen allerdings deutlich differenzierter. Zum einen senkt das „Bossing“ zwar nachweislich die Produktivität und Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter, getroffen werden solche Einschätzungen jedoch zumeist auf Basis einer subjektiven Wertung. Die Massstäbe eines Mitarbeiters, der seinem Chef der Tendenz nach „Bossing“ vorwirft, liegen in seinen eigenen Erfahrungen und nicht zuletzt in nicht erfüllten individuellen Erwartungen an den Job.

Limitierte „Führungsreife“ und Wahrnehmungsprobleme

Ein klassisches Beispiel hierfür sind Vorgesetzte, die der Meinung sind, dass ein fehlender Tadel ihrerseits bereits ein Lob sei und auch so wahrgenommen werde. Ein Mitarbeiter, der sich nach einem erfolgreichen Projektabschluss persönliche Anerkennung wünscht, fühlt sich durch das Schweigen aus der Chefetage möglicherweise herabgesetzt oder immanent getadelt. Die „Führungsreife“ eines solchen Chefs ist allerdings begrenzt, da sie nicht nur – und nicht einmal primär – in ausgezeichnetem Fachwissen besteht, sondern vor allem darin, nicht nur die eigenen Massstäbe, sondern auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu sehen. Auf der anderen Seite sitzen auch viele Mitarbeiter in der Bewertung ihrer Chefs dem Führungsmythos auf, nach dem eine Führungskraft versagt, wenn ihr Führungsstil nicht als eindeutig positiv wahrgenommen werden kann. Letztlich überschätzen sie oft die realen Auswirkungen eines bestimmten Führungsstils – in positiver und in negativer Hinsicht, Eskalationstendenzen inklusive.

Anforderungen an Manager – mit „sozialer Führung“ nur wenig kompatibel

Zurück zur öffentlichen Debatte über „feindliche Führung“: Die Vermutung ihrer Existenz gipfelt oft in dem Vorwurf, dass viele Manager explizit „narzisstisch“ seien und unter übersteigerten Selbstwertfantasien litten, was die Anerkennung der Leistung anderer der Tendenz nach ausschliesst. Übersehen werden dabei oft die Anforderungen, denen die Führungskräfte selber unterliegen. In den Unternehmen gelten – Soft Skills hin und her – Durchsetzungsvermögen und Entscheidungskraft sowie scheinbar unbegrenzte Leistungsfähigkeit als expliziter Ausweis für Führungsstärke. Mit „sozialer Führung“ sind sie oft nur wenig kompatibel.

Leistungsdruck und Vulnerabilität bei Chefs und Mitarbeitern wachsen

Hinzu kommen Leistungs- und Zielvorgaben, die – angesichts immer knapper kalkulierter Ressourcen – die Chefs und ihre Teams oft zwingen, tagtäglich ihre individuellen Grenzen auszutesten. Als „feindlich“ wahrgenommenes Führungsverhalten hat auch in diesem Kontext seine Wurzeln. Daneben gibt es eine wachsende Vulnerabilität der Mitarbeiter und auch ihrer Vorgesetzten, die auf den permanenten Leistungsdruck mit Belastbarkeitsstörungen reagieren. Im letzten Jahr zeigte beispielsweise eine gross angelegte Studie in der D-A-CH-Region, dass Projektmanager und -mitarbeiter – eine Arbeitsform, die immer mehr Verbreitung findet – im Vergleich zu anderen Branchen und Berufen ein deutlich erhöhtes Risiko für einen Burn-out tragen. Und das, obwohl sie mit ihrer aktuellen Stelle und mehrheitlich auch mit ihren Vorgesetzten zufrieden bis sehr zufrieden sind. Vor diesem Hintergrund wird „feindliche Führung“ zumindest teilweise selbst zu einem Mythos.

 

Oberstes Bild: © Pressmaster – Shutterstock.com

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