Niederlagen und Scheitern - wie lernen Manager daraus?

Niederlagen gehören genauso zum Leben wie Erfolge – im beruflichen Kontext blenden diese Tatsache allerdings viele Menschen aus. Die Unternehmen erwarten von „idealen Bewerbern“ auf eine Führungsposition lückenlose Lebensläufe, die Zielstrebigkeit sowie nachweisbar Erfolg erkennen lassen.

Manager, die scheitern, kommen damit im Olymp der Firmenlenker zwar durchaus durch und erhalten eine zweite oder auch dritte Chance – für Führungskräfte auf den mittleren Ebenen der Hierarchie kann eine solche Episode im schlimmsten Fall jedoch das Karriere-Aus bedeuten.

Der Bochumer Wirtschaftspsychologe und Unternehmer, Professor Dr. Heinrich Wottawa, stellt dagegen die These auf, dass Scheitern – und selbstverständlich das Lernen aus einem beruflichen Debakel – zu einer erfolgreichen Karriere gehören sollten. Im Interview mit dem Fachportal „humanressourcesmanager.de“ sprach er über Empathie, soziale Kompetenz im Management und den Umgang mit beruflichen Niederlagen.

Empathie und soziale Kompetenz sind Führungseigenschaften

Wottawas Einstieg in das Interview ist durchaus etwas provokant: Überflieger-Karrieren, die ein Arbeitsleben lang ungebrochen bleiben, findet er persönlich eher bedauerlich. Gravierende Probleme entstehen aus seiner Perspektive immer dann, wenn jemand Führungsverantwortung trägt und es entweder im Team oder im hierarchischen Zusammenwirken zu Konflikten kommt. Erfolgsgewohnte Manager haben in solchen Fällen sehr wahrscheinlich Schwierigkeiten, sich in ihre Mitarbeiter überhaupt hineinzuversetzen und das Problem also auch auf der Grundlage von Empathie zu lösen.

Dass ein Spitzenmanager in der Lage ist, sich in die Persönlichkeit von Menschen hineinzuversetzen, die in einer „ganz anderen subjektiven Welt“ leben und arbeiten als er selbst, ist aus Wottawas Sicht eher selten – die Schere der Erfahrungen und Einstellungen öffnet sich umso weiter, je grösser der hierarchische Abstand zwischen Führungskraft und Geführten ist. Über Empathie verfügt sicher jeder Mensch – die Frage ist jedoch, in welchem Mass, und vor allem, in welchem Mass sie trainiert wird.

In den meisten Studiengängen, die künftige Führungskräfte absolvieren – BWL, Ingenieurwissenschaften oder IT – spielen die „menschlichen Komponenten“ des künftigen Berufs, wenn überhaupt, nur eine sekundäre Rolle. Wenn die Betreffenden später Personalverantwortung übernehmen, brauchen sie Personalentwicklungsmassnahmen, die sie auf diese Seite ihrer Führungsrolle vorbereiten. Dabei muss es nicht zwangsläufig um ein Coaching gehen – ein guter Vorgesetzter, der auf Defizite hinweist und zusammen mit der neuen Führungskraft auch an deren sozialen Kompetenzen arbeitet, kann hier mindestens genauso hilfreich sein.

Mitarbeiterorientiertes Führen – oft nur in der Theorie

Auf die Wirksamkeit von Führungskräftetrainings und Coachings hat der Experte eine ambivalente Sicht. Zwar sei in diesem Bereich in den letzten 30 Jahren eine grundsätzlich positive Entwicklung zu verzeichnen. Auch die Unternehmen selbst haben gelernt, mehr Rücksicht auf ihre Mitarbeiter zu nehmen, zumal heute nicht mehr jede Fach- und Führungskraft ohne weiteres zu ersetzen ist.

Entsprechendes Handeln erwachse aus dieser Erkenntnis jedoch oft noch lange nicht. Viele Manager streben zwar eine mitarbeiterorientierte Führung an – wie das gehen könnte, ist ihnen jedoch nur in groben Zügen klar. Hinzu kommt, dass Führungsqualitäten bei der Leistungsbeurteilung von Managern und bei Beförderungen nur selten eine Rolle spielen. Die Kriterien dafür sind auch heute fast ausschliesslich durch die Erfüllung der fachlichen Aufgaben definiert.

Berufliches Scheitern – oft aus objektiven Gründen

An dieser Stelle wird auch die Möglichkeit des Scheiterns relevant – für Manager ebenso wie für Mitarbeiter. Die Gründe dafür finden sich durchaus nicht immer in individuellem „Versagen“, sondern sehr oft vor allem in Faktoren, die durch die Organisation gegeben sind. In manchen Unternehmen werden die Ziele für die Mitarbeiter so hoch angesetzt, dass sie für den Einzelnen gar nicht erreichbar sind.

Die Unternehmensleitung orientiert sich in solchen Fällen an einem fiktiven Optimum – ob dieses dann tatsächlich zur Leistungsbewertung dient oder statt der vorgegebenen zehn Prozent Umsatzsteigerung auch acht Prozent in Ordnung sind, wird in den Firmen sehr unterschiedlich gehandhabt. Wottawa sieht das Verfehlen von Zielen allerdings nicht als Scheitern an, das er vor allem als grundsätzliche Diskrepanz zwischen persönlichen Potenzialen und Anforderungen beschreibt.

Diskrepanz zwischen Anforderungen und individuellem Potenzial

Moderne Unternehmen versuchen zwar, die Anforderungen an das Potenzial der Mitarbeiter anzupassen – im Rahmen einer vernünftigen Personalentwicklung funktioniert das in der Regel auch. Besonders befähigte Mitarbeiter bekommen in diesem System allerdings auch besonders anspruchsvolle Aufgaben zugewiesen, das Risiko des Scheiterns ist folglich bei ihnen besonders hoch. Wottawa unterscheidet hier zwischen objektivem und subjektivem Scheitern. Ersteres ist beispielsweise dann gegeben, wenn ein Top-Manager in einem internen Machtkampf unterliegt und die Firma deshalb verlassen muss.

Subjektives Scheitern ist demgegenüber deutlich diffiziler und wird als solches auf den ersten Blick oft gar nicht deutlich. Ein Betroffener hat vielleicht sein Leben lang davon geträumt, eine Spitzenposition zu erreichen, kommt über eine Abteilungsleiter-Position jedoch nicht hinaus und empfindet dies als Scheitern. In einem solchen Szenario fallen Selbstanspruch, äussere Anforderungen und individuelle Potentiale oft grundsätzlich auseinander – die persönliche Antizipation von Erfolg wird hierdurch obsolet.


Bei Menschen mit grosser beruflicher Verantwortung respektive einer echten Führungsposition kommt dabei oft eine „hedonistische Verzerrung“ ins Spiel. (Bild: vege / Fotolia.com)


„Hedonistische Verzerrung“ – in einem gesunden Mass für Manager unverzichtbar

Mit Misserfolgen und Niederlagen gehen Menschen sehr unterschiedlich um – viele lernen daraus, mache ziehen aus dem Durchlebten jedoch keine Schlüsse. Bei Menschen mit grosser beruflicher Verantwortung respektive einer echten Führungsposition kommt dabei oft eine „hedonistische Verzerrung“ ins Spiel, bei der eine sehr hohe Selbsteinschätzung dazu führt, dass sie gegenüber Veränderungsanforderungen eher resistent sind. Bei Misserfolgen werden die Gründe dafür dann bei anderen Personen oder in den „äusseren Umständen“ gesucht, die nötige Selbstreflexion hält sich jedoch in engen Grenzen – die Notwendigkeit für eigene Veränderungen entfällt dabei zwangsläufig.

Wottawa hält diesen psychologischen Mechanismus für das Umgehen mit grosser Verantwortung einerseits für unerlässlich, andererseits verhindert sie ein nachhaltiges Lernen aus persönlichen Niederlagen. Männer erweisen sich im Ausblenden ihres eigenen Anteils an Misserfolgen oft als besonders „talentiert“ – was möglicherweise dazu führt, dass sie sich auf Führungspositionen besser behaupten als viele Frauen. De facto kann ein Manager nicht permanent die Auswirkungen suboptimaler Entscheidungen bedenken, die im Unternehmensalltag letztlich nicht vermeidbar sind – sein Job wäre dann gar nicht durchzuhalten.

Wenn die „hedonistische Verzerrung“ jedoch zu gross wird, erwächst daraus eine massive Selbstüberschätzung – irgendwann ist der Betreffende allerdings vielleicht der Einzige, der an dieser Wertung festhält. Frauen neigen im Vergleich zu Männern oft deutlich stärker zu selbstreflexivem Verhalten und schreiben folglich auch Misserfolge häufiger sich selber zu.

Je später Menschen in ihrem Leben eine Erfahrung des Scheiterns machen, desto schwerer fällt es ihnen letztlich, damit auf produktive Weise umzugehen. Wer sich mit 40 erstmals in einem beruflichen – oder auch privaten – Fiasko wiederfindet, hat noch nie erlebt, dass eine Niederlage auch zu neuen Perspektiven führen kann. Auch die Konsequenzen daraus sind in der Regel weitaus massiver als mit 18. Wottawas Gedanken zu Niederlagen in Beruf lassen sich vor diesem Hintergrund auch als ein Plädoyer für eine „Kultur des Scheiterns“ lesen.

Auf der individuellen Ebene könnte dies bedeuten, zu lernen, bei der Formulierung von Karrierezielen auch die Möglichkeit von Niederlagen – und des individuellen Umgangs damit – mitzudenken. Unternehmen brauchen dagegen eine Feedback-Kultur, die alle hierarchischen Ebenen umfasst, soziale Kompetenzen einschliesst und auch Managern auf höheren Positionen als Frühwarn-Indikator für individuelle Fehlentwicklungen dienen kann.

 

Oberstes Bild: © Denis Junker – Fotolia.com

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