Kündigungen: Managerinnen werden häufiger gefeuert als ihre männlichen Kollegen

Gleichstellung – oder Diskriminierung – in der Arbeitswelt können viele unterschiedliche Gesichter haben. Wir sind gewohnt, sie anhand von Diversitätsfaktoren wie ethnische Herkunft, Alter und eben Geschlecht zu messen. In der Debatte um die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsplatz spielt aus dieser Perspektive meist Willkür – im Sinne der „gläsernen Decke“ für den Aufstieg in die Chefetage, männlich geprägter Netzwerke oder das generelle Misstrauen gegenüber Frauen in Führungspositionen – eine zentrale Rolle. Die israelische Soziologie-Professorin Alexandra Kalev forscht an der Uni Tel-Aviv zu Organisationsstrukturen und Diversity-Konzepten. Im Rahmen einer Langzeit-Studie hat sie jetzt einen neuen Diskriminierungsfaktor identifiziert: Von Massenentlassungen sind weibliche Führungskräfte aus systemischen Gründen überproportional betroffen.

Die komplette Studie ist im Februar 2014 im Fachjournal „American Sociological Review“ erschienen. Für die Erhebung hat die Wissenschaftlerin über einen Zeitraum von über 20 Jahren die Geschlechterverteilung in 800 US-amerikanischen Firmen mit mehr als 100 Mitarbeitern untersucht. Die Daten geben unter anderem Aufschluss darüber, welche Rolle Frauen und Männer in den verschiedenen Berufsgruppen in Unternehmen spielen. In den USA ist die behördliche Registrierung der Geschlechterverteilung für Unternehmen ab 100 Mitarbeitern gesetzlich vorgeschrieben.

Im zweiten Schritt wurden die Personalverantwortlichen dazu befragt, ob sie im Untersuchungszeitraum Massenentlassungen durchzuführen hatten und welche Kriterien den individuellen Kündigungen zugrunde lagen. In die Analyse der Entlassungs-Prozederes gelangten danach noch 300 Unternehmen. Alexandra Kalevs Fazit: Die im Vergleich zu Männern überproportional hohen Entlassungen von Managerinnen beruhen nicht auf subjektiver Frauenfeindlichkeit der Personalentscheider, sondern sind systembedingt. Objektive Auswahlkriterien werden Frauen bei betriebsbedingten Kündigungen regelmässig zum Verhängnis. Vor allem dann, wenn ganze Unternehmensbereiche aufgelöst werden und die Dauer der Betriebszugehörigkeit das wichtigste Kriterium für die Sozialauswahl bildet, befinden sich Frauen gegenüber Männern klar im Nachteil.


Eine Implementierung explizit frauenspezifischer Antidiskriminierungsmassnahmen in den Unternehmen dürfte hierdurch ebenfalls eine Chance bekommen. (Bild: Cornelia Menichelli / pixelio.de)


Die Diskriminierung von Frauen bei Entlassungen ist systembedingt

Alexandra Kalev konstatiert, dass Massenentlassungen verheerende Folgen für die Vielfalt in den Chefetagen haben. Bei der Fokussierung auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit als entscheidendes Entlassungskriterium verringert sich der Anteil weiblicher Führungskräfte um 20 Prozent. Falls dem Rotstift ganze Unternehmensteile zum Opfer fallen, werden sogar 25 Prozent der Managerinnen entlassen. Die Ursachen dafür sind recht einfach zu erklären: Die meisten Frauen haben weniger lineare Erwerbsbiografien als Männer auf einer gleichen Position. Im Schnitt arbeiten sie weniger lange für ein Unternehmen, da sie wegen Kindererziehungszeiten häufiger kündigen oder gekündigt werden. Hinzu kommt, dass Frauen in den USA von Kündigungen generell häufiger betroffen sind. Als Führungskräfte arbeiten sie zudem besonders oft auf Positionen – beispielsweise im Marketing oder im PR- Bereich – die von Rationalisierungsmassnahmen zuallererst betroffen werden.

Als einen positiven Faktor, der dem Diskriminierungseffekt von Entlassungskriterien auf weibliche Führungskräfte tendenziell entgegenwirkt, identifiziert die Forscherin das Vorhandensein einer Person/Instanz, die den Überblick über die Entlassungen behält. Eine Rechtsabteilung respektive der Hausjurist erfüllen in diesem Sinne auch wichtige Funktionen, um in Rationalisierungsphasen die Diversität in Unternehmen zu erhalten.

Objektive Kriterien der Sozialauswahl wirken als Diskriminierungsfaktor

Die objektiven Kriterien für die Sozialauswahl können anhand dieser Daten durchaus ein Diskriminierungsfaktor sein, da viele Frauen sie aus ebenso objektiven Gründen gar nicht erfüllen können. Spannende Fragen ergeben sich daraus, inwiefern sich Kalevs Forschungsergebnisse aus dem extrem flexiblen Arbeitsmarkt der USA sich auf europäische Gesellschaften übertragen lassen und wie sich die Situation unterhalb von Management-Positionen darstellt – entsprechende Forschungsarbeiten gibt es dazu bisher kaum. Beantworten lassen sie sich sicher nur anhand der nationalen Arbeitsrechtssysteme.

In der Schweiz mit ihrem recht lockeren und nur kurzfristig gegebenen Kündigungsschutz dürfte sich vom Grundsatz her ein ähnliches Bild ergeben wie in den USA. Alexandra Kalev hält ihre Forschungsergebnisse jedoch auch für Länder mit sehr strikten und arbeitsrechtlich umfassenden Kündigungsschutzregeln wie Deutschland für relevant. In den USA gebe es zwar keine Sozialauswahl oder eine arbeitsgerichtliche Überprüfung von betriebsbedingten Kündigungen – in der Studie gehe es jedoch nicht darum, unter welchen Bedingungen einem Mitarbeiter gekündigt werden darf, sondern um die formalen Kriterien für eine Kündigung. Die Sozialauswahl in Deutschland bestimmt sich beispielsweise durch vier Faktoren: Lebensalter, Unterhaltsverpflichtungen, etwaige Schwerbehinderung sowie die Dauer der Beschäftigung im Unternehmen – durch den letzten Punkt steht auch Kalevs „Hauptübel“ im Hinblick auf Entlassungen von Frauen zur Debatte. Unterhaltspflichten könnten sich hier im Übrigen als weiterer Diskriminierungsfaktor erweisen. Personalverantwortliche und auch die Arbeitnehmervertretungen plädieren bei betriebsbedingten Kündigungen üblicherweise dafür, vorrangig Familienvätern ihre Arbeitsplätze zu erhalten.

Neue Definitionen von Diversität und Diskriminierung durch Veränderungen des Arbeitsmarktes?

Welche Rolle diese Erkenntnisse in der Praxis spielen werden, bleibt eine offene Frage. Auf dem Arbeitsmarkt sind derzeit verschiedene Tendenzen auszumachen. Einerseits nehmen die Unternehmen Diversität zunehmend als wichtigen Produktivitätsfaktor war. Unter anderem werden sie durch den sich abzeichnenden Mangel an Fach- und Führungskräften dazu gezwungen, talentierte Frauen könnten von dieser Entwicklung künftig in hohem Masse profitierten. Eine Implementierung explizit frauenspezifischer Antidiskriminierungsmassnahmen in den Unternehmen dürfte hierdurch ebenfalls eine Chance bekommen.

Durch die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung von Berufsarbeit flexibilisiert und fragmentiert sich andererseits auch der europäische Arbeitsmarkt immer stärker. Das bisherige Normalarbeitsverhältnis betrachten viele Experten bereits heute als ein auslaufendes Modell, das in immer grösserem Umfang durch neue digitale Arbeitsformen ersetzt wird, in denen festangestellte Mitarbeiter nur noch eine sekundäre Rolle spielen. Wie sich Diversität, Geschlechtergleichheit und Diskriminierung in diesen Prozessen perspektivisch definieren werden, ist noch völlig ungeklärt.

 

Oberstes Bild: @ Marco2811 – Fotolia.com

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