Der Mere-Exposure-Effekt, oder: Warum Kunden Gewohntes wählen

Das Lied fällt Ihnen anfangs kaum auf. Nur durchschnittliches Gedudel. Doch dann spielen sie es im Radio immer und immer wieder. Und auf einmal denken Sie: „Hm, doch irgendwie ein fetziger Song.“

Kennen Sie das? Dann haben Sie mindestens einmal den „Mere-Exposure-Effekt“ erlebt. Er besagt, dass allein die Vertrautheit mit Dingen oder Personen zu einer positiveren Bewertung führt. Dies lässt sich besonders für die Werbung nutzen.

Entdeckt wurde der Effekt 1968 vom US-amerikanischen Psychologen Robert Zajonc. Er legte Versuchspersonen vermeintlich chinesische Schriftzeichen vor, denen kein Sinn zugeordnet werden konnte. Die Probanden sollten die Darbietung der Schriftzeichen aufmerksam verfolgen, wobei die Darbietungshäufigkeit variierte: Manche Zeichen wurden öfter, andere seltener gezeigt. Anschliessend sollten die Versuchspersonen auf einer Skala einschätzen, wie positiv bzw. negativ die Bedeutung der Schriftzeichen sei. Es ergab sich, dass öfter gezeigte Zeichen positiver bewertet wurden.

Mere Exposure – ein robuster Effekt in der Psychologie

Weitere Forschungen zeigten, dass der Effekt nicht nur mit Schriftzeichen auftritt, sondern auch mit Menschen, Tönen, Gerüchen und Bildern. Zusammengefasst lässt sich sagen: Je öfter eine Person mit einer Sache oder einer anderen Person in Berührung kam, desto positiver wird sie diese Sache oder Person einschätzen. Diese Form der Vertrautheit wird in der Psychologie „Familiarität“ genannt. Eine Familiarität und damit positive Assoziationen entstehen jedoch nur dann, wenn der Erstkontakt erfreulich oder zumindest neutral ausfiel. Eine negative Erstbegegnung verstärkt die Ablehnung sogar noch.

Das steckt hinter dem Mere-Exposure-Effekt

Bevor wir uns der Bedeutung für Marketing und Werbung zuwenden, lohnt allerdings noch ein Blick auf die psychologischen Hintergründe. Warum gefallen uns bekannte Dinge besser, auch wenn wir sie gar nicht richtig beurteilen können? Zum einen ist es die Sicherheit des Vertrauten, die Menschen anzieht. Was bekannt ist, wirkt vertraut, und was vertraut ist, wird in gewisser Weise Teil der Lebenswelt. Insofern wirken beim Mere-Exposure-Effekt die Mechanismen der von Pawlow entdeckten Klassischen Konditionierung. Diese besagt, dass die Verknüpfung eines Reizes mit einer positiven oder negativen Erfahrung dazu führt, dass bereits das alleinige Auftreten des Reizes zu dem positiven oder negativen Stimulus im Gehirn führt. Wird einem Hund beispielsweise das Futter stets unter dem Klingeln einer Glocke serviert, wird allein deren Erschallen ihm in Zukunft das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen – auch ohne Futter.


Unser Gehirn: Je bekannter ein Reiz, desto fluider läuft dessen Verarbeitung – Grundlage für den Mere-Exposure-Effekt. (Bild: Monika Torloxten / pixelio.de)


Doch den Menschen allein auf solche primitiven Lernmechanismen zu reduzieren wäre unangemessen. Ein anderer Effekt scheint denn auch grössere Auswirkungen zu haben. Familiarität führt nämlich zu einer flüssigeren Reizverarbeitung (der sog. „Fluency“), da bekannte Reize bereits neuronale Repräsentationen im Gehirn haben und somit schneller „durchgewunken“ werden. Die fluide Verarbeitung scheint zudem mit einem guten Gefühl verknüpft zu sein, was die positive Assoziation noch verstärkt.

Mere Exposure im Alltag – Goldgrube für Werbetreibende

Im Alltag sind die Effekte sogar noch stärker, da Versuchspersonen im Labor allen Informationen eine gewisse Aufmerksamkeit schenken. Normalerweise ist jeder mit einer riesigen Flut an Reizen konfrontiert; sie wiederholende Eindrücke stechen hier noch mehr hervor. Die Werbung hat den Effekt bisher nicht systematisch genutzt, dabei liegt hier ein enormes Potenzial.

Der Clou ist, dass Informationen nicht bewusst wahrgenommen werden müssen, um Familiarität auszulösen. Es reicht bereits ein unbewusster, unterschwelliger Reiz. Einen solchen zu setzen, erweist sich für Werbung sogar als der effektivere Weg. Denn wenn der Kunde das Produkt oder die Marke unterschwellig wahrnimmt, kann er den Eindruck nicht nachträglich modifizieren. Die Werbebotschaft bleibt also hängen, ohne dass der Kunde etwas davon merkt.

Das alles klingt sehr nach Manipulation argloser Kunden. Das ist es jedoch nicht notwendigerweise. Zugegebenermassen ist jede Werbung ein Stück weit Manipulation; wer etwas anderes behauptet, ist nicht realistisch. Die ethische Vertretbarkeit einer Werbung ergibt sich deshalb mehr aus der Frage, wie ethisch das beworbene Produkt ist.

Verstärker für den Mere-Exposure-Effekt

In einer umfassenden Studie fasste Bornstein 1989 die bis dato vorhandenen Erkenntnisse über den Mere-Exposure-Effekt zusammen. Demnach wird er verstärkt durch folgende Faktoren:

  • Eine mittlere Darbietungshäufigkeit (ca. 10-20 Mal), da zu häufige Darbietung den Effekt verringert, evtl. aufgrund von Langeweile.
  • Eine kurze Darbietungsdauer (weniger als eine Sekunde).
  • Einen komplexen Reiz.
  • Die Bewertung des Reizes darf nicht unmittelbar nach dessen Darbietung erfolgen.
  • Bewusstes Erinnern sollte unwahrscheinlich sein, die Aufmerksamkeit also gering, denn der „Mere-Exposure-Effekt“ ist kein Wiedererkennungseffekt.
  • Einen längeren Darbietungsabstand.
  • Der Reiz sollte möglichst neutral sein (bei positiven und negativen Reizen wurden schwächere Effekte beobachtet).
  • Wenn Rezipienten älter sind, insbesondere bei Kindern zeigten sich nur schwache „Mere-Exposure-Effekte“.

 

Oberstes Bild: © fotografiedk – Fotolia.com

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