Schweizer Hotel- und Restaurantgewerbe: Wie realistisch ist ein Mindestlohn?

Nach einer Studie des Schweizer Bundesamtes für Statistik (BfS) aus dem Jahr 2010 waren 10,5 Prozent aller von den Unternehmen angebotenen Arbeitsplätze sogenannte Tieflohnstellen. Als Tieflohn gilt ein Arbeitsentgelt, das bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden geringer ist als zwei Drittel des bundesweit bestimmten Brutto-Medianlohns. 2010 lag diese Schwelle bei 3.986 Schweizer Franken.

Inklusive Teilzeitbeschäftigungen kam das BfS auf eine Zahl von etwa 368.000 Menschen, die lediglich eine Tieflohnstelle hatten – zwei Drittel von ihnen waren Frauen. Der typische Tieflohnbezieher aus der Lohnstrukturerhebung 2010 ist weiblich, jung, gering qualifiziert sowie im Einzelhandel, der Gebäudereinigung oder in Gastronomie und Hotellerie beschäftigt.

Höherer Mindestlohn bringt Hotels und Restaurants an ihre wirtschaftlichen Grenzen

Angesichts dieser Zahlen fordert die Volksinitiative für einen Mindestlohn auf den ersten Blick nicht ohne Grund, den minimalen Stundenlohn auf 22 Franken festzusetzen. Ein Artikel in der „Neuen Zürcher Zeitung“ beschäftigte sich jetzt mit den Auswirklungen eines solchen Schrittes auf Hotellerie und Restaurantgewerbe – mit niederschmetterndem Ergebnis. Bei einer Wochenarbeitszeit von 45 Stunden würde sich das monatliche Salär der Tieflöhner in Hotels und Restaurants dann auf 4.290 Franken aufaddieren. Der Gesamtarbeitsvertrag der Branche sieht für Mitarbeiter ohne Berufsausbildung derzeit einen Mindestlohn von 3.407 Franken vor. Ein um rund ein Viertel höherer Mindestlohn würde viele Betriebe an ihre wirtschaftlichen Grenzen bringen.

Hotels und Restaurants – ein schrumpfendes Geschäft

Hotellerie und Restaurantgewerbe sind in der Schweiz seit längerem ein schrumpfendes Geschäft. Die Umsätze der Branche fallen kontinuierlich. Viele Hotel- und Restaurantbetreiber halten ihre prekären Unternehmen seit jeher nur durch Selbstausbeutung über Wasser. Nach einer Berechnung des Arbeitgeberverbandes Gastrosuisse würden 60 Prozent der Unternehmen in der Branche bereits heute rote Zahlen schreiben, wenn sich die Besitzer angemessene Unternehmerlöhne zahlen und in ihren Kalkulationen auch die Eigenkapitalzinsen einbeziehen würden. Stefan Unternährer, Gewerkschafter und sozialpolitischer Leiter der „Hotel und Gastro Union“, sieht ebenfalls keinen Raum für einen Mindestlohn von 22 Franken. Vielen Hotel- und Restaurantbetreibern gehe es kaum besser als ihren Angestellten. Je kleiner ein Betrieb ist, desto prekärer sei die Lage.


Video der SGB / USS-Aktion „4000 sind möglich“ („4000 c’est possible“).


Die Anzahl von Restaurants nimmt in der Schweiz nur deshalb nicht ab, da bei einer Geschäftsaufgabe in der Regel sofort ein neuer Restaurantbetreiber in die Bresche springt, der sein Glück mit einer Selbstständigkeit versuchen will. Die Besitzer der Immobilien fördern diesen Trend oft durch Mietnachlässe, um sich die Kosten für einen Umbau oder Renovierungen zu sparen. Viele der Neu-Gastronomen sind für ihr Geschäft nur wenig qualifiziert. Besonders stark zeigt sich dieses Manko bei Immigranten, die wegen mangelhafter Sprachkenntnisse und fehlender Ausbildungsabschlüsse oft keine Chance auf eine hochwertige reguläre Stelle haben und daher auf Brachen mit niedrigen Eintrittsbarrieren angewiesen sind.

Niedrig-Margen für Hotels

Auch die Schweizer Hotellerie befindet sich der Tendenz nach in der Krise, obwohl sie insgesamt vermutlich deutlich solider ist als das Restaurantgewerbe. Die Finanzkrise sowie der starke Franken haben der Branche in den vergangenen Jahren schwer zugesetzt, vor allem die touristische Nachfrage aus den Nachbarländern ist stark gesunken. In der Folge sind viele Hoteliers gezwungen, auch ihre Preise nach unten anzupassen.

Exakte Rentabilitätszahlen für die Hotellerie gibt es zwar kaum, da sich die meisten Unternehmen in Privatbesitz befinden. Auf Basis der Daten einiger grösserer Gesellschaften ist der Erlös pro verfügbarem Zimmer seit 2008 jedoch um etwa zehn Prozent gesunken. Das Problem dabei: Hotels haben kaum Möglichkeiten, ihre generell hohen Fixkosten zu senken. Ein Rückgang der Einnahmen stellt daher auf lange Sicht die Rentabilität des Hauses zunehmend in Frage.

Ein Graubündner Hotelier sah sein Haus in puncto Rentabilität unter den besten zehn Prozent in der Region, trotzdem erfüllten seine Margen nur knapp die Anforderungen seiner Hausbank für Kredite. Übrigens leiden unter den Niedrig-Margen nicht nur inhabergeführte Betriebe, sondern auch grössere Ketten: Die beiden Hotelgruppen „Victoria-Jungfrau Collection“ und „Sunstar“ haben an ihre Aktionäre bereits seit Jahren keine Bar-Dividenden mehr ausschütten können.

Im Vergleich zu Industrieunternehmen stehen sich Beherbergungsbetriebe im Hinblick auf Möglichkeiten, die Betriebskosten zu senken, deutlich schlechter. Als Optionen stehen ihnen weder eine Rationalisierung der Betriebsabläufe noch ein verstärktes Ausweichen auf ausländische Lieferanten zur Verfügung. Die einzigen spürbaren Einsparmöglichkeiten ergeben sich oft durch Personalabbau. Der Branchenverband „Hotelleriesuisse“ gibt an, dass die Zahl der Mitarbeiter in der Hotellerie seit 2008 um acht Prozent gesunken ist. Die Einführung eines höheren Mindestlohnes würde daher lediglich den Trend zu weiterem Personalabbau verschärfen. Gleichzeitig ist der Raum dafür in der Praxis limitiert – Hotels, die bei ihrem Personalbestand zu stark sparen, fallen leicht wegen Qualitätsmängeln hinter ihre Wettbewerber zurück.

Die Perspektiven: Strukturbereinigung und Arbeitsplatzverluste?

Experten rechnen damit, dass sich im Hotel- und Restaurantgewerbe die Strukturbereinigung weiter verschärfen wird. Ein neuer Mindestlohn würde zunächst zu einer immer stärkeren Überstundenbelastung des noch vorhandenen Personals und im zweiten Schritt dazu führen, dass sich viele Betreiber von Hotels und Restaurants die Fortführung ihrer Unternehmen nicht mehr leisten könnten – mit Folgen für den gesamten Arbeitsmarkt: Ein Drittel der Mitarbeiter in der Branche besitzt keine Berufsabschlüsse und hätte immense Schwierigkeiten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

 

Oberstes Bild: SGB / USS-Aktion „4000 sind möglich“. (Urheber: SGB / USS, flickr.com, Lizenz: CC)

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