Taktische Mitarbeiterbeurteilungen: "Sorry - Ihre Mitarbeiter sind zu gut"

Der US-Amerikaner Jack Welch gilt als globale Management-Ikone. Seit 1960 war er in verschiedenen Fach- und Managementpositionen bei General Electric tätig. Zwischen 1981 und 2001 lenkte der Vordenker des „Shareholder Value“ als Management-Stratege die Geschicke des Konzerns als CEO. In dieser Zeit stiegen die Jahresumsätze von General Electric von anfangs 27 Milliarden US-Dollar auf 130 Milliarden US-Dollar zum Ende seiner Amtszeit, der Unternehmensgewinn versiebenfachte sich auf etwa 12,7 Milliarden US-Dollar. Die Kehrseite der Medaille: Während der „Ära Welch“ verloren weltweit 100.000 Konzernmitarbeiter ihren Arbeitsplatz.

Zu diesem personellen Schrumpfprozess trugen zwei Faktoren bei. Zum einen lautet Welchs unternehmerisches Credo „Sanieren, Verkaufen oder Schliessen“ – und zwar immer dann, wenn ein nicht oder nur wenig profitabler Unternehmensteil die internen Vorgaben nicht innerhalb von zwei Jahren erreichen konnte. Zum anderen bewertete er Mitarbeiter anhand der von ihm aufgestellten „20-70-10“-Regel.

Die besten 20 Prozent der Mitarbeiter gelten in diesem System als „Stars“ und Anwärter auf hohe Boni. 70 Prozent stehen für den Unternehmensdurchschnitt und sollten bestmöglich gefördert – und gefordert – werden. Die restlichen zehn Prozent stehen als „Zitronen“ bereits auf der internen Entlassungsliste und gelten in der Definition von Welch als rasch verfügbare Manövriermasse für Krisenzeiten.

Führen durch Angst und Konkurrenzdruck?

Jack Welch – heute 78 Jahre alt – ist seit langem pensioniert. Sein System der Mitarbeiterbewertung wird jedoch immer noch weltweit angewendet – mit steigender Tendenz, wenn auch nicht überall mit der gleichen Rigidität wie bei General Electric. Microsoft hat es unter Steve Ballmer über Jahre praktiziert, in globalen Konzernen wie Dell oder Yahoo steht es bis heute auf der Tagesordnung.

Die Folgen eines solchen Beurteilungssystems sind regelmässig ein massiver interner Konkurrenzdruck sowie eine Unternehmenskultur, die immanent durch Angst geprägt ist. Die Bildung echter Teams – im Sinne von fairen, aufeinander eingeschworenen und auf dieser Basis produktiven Arbeitsgruppen – ist unter diesen Bedingungen so gut wie ausgeschlossen. Viele Führungskräfte geraten durch dieses System in ethische Konflikte und ihren Mitarbeitern gegenüber in Erklärungsnöte. Wie sollen sie jemandem, der ein Jahr lang vielleicht nicht brillant, aber insgesamt gut und effizient gearbeitet hat, begreiflich machen, dass er aus Gründen der „Konzern-Räson“ zu den zehn Prozent der „Underperformer“ zu gehören hat?

In einem Gastartikel für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ beschreibt der Deutsch-Amerikaner Patrick D. Cowden, wie ihm die Personal-Chefin eines internationalen Unternehmens erklärte, dass die Noten seiner Mitarbeiter „viel zu gut“ sind und ihm anhand einer ausgedruckten Kurve – dem „20-70-10“-Modell – demonstrierte, wie diese aus Sicht der Firmenleitung auszusehen hätten. Cowden hatte für sein Team Bewertungen vergeben, welche die tatsächlichen Leistungen seiner Mitarbeiter sowie ihren realen Beitrag zum Unternehmenserfolg reflektierten. Allerdings verstand er auch die Motive hinter der Anweisung aus der Chefetage: Hoch benotete Mitarbeiter kosten bares Geld, da die Höhe der Bonuszahlung immer auch von der persönlichen Bewertung abhängt.


Wer aus irgend einem Grund unter die 10 Prozent der „Leistungsschwachen“ rutscht… (Bild: S. Hofschlaeger / pixelio.de)


Die Mitarbeiter – wirklich nur ein Kostenfaktor?

Für das Selbstwertgefühl, die Motivation und letztlich das Vertrauen in ein Unternehmen sind derartige Benotungssysteme langfristig gesehen Gift. Der Mitarbeiter respektive Mensch erscheint darin nur noch als Kostenfaktor, der gegenüber den „Shareholdern“ erklärungsbedürftig ist. Die Unternehmensleitungen agieren hier oft selbst von Angst getrieben, da sie am Ende rechenschaftspflichtig gegenüber den Aktionären ihrer Firma sind.

Andererseits zerstören der permanente Konkurrenzkampf und das Damoklesschwert ungerechtfertigter – oder auch gerechtfertigter – schlechter Noten jede echte Leistungsbereitschaft. Im Übrigen hat auch „Underperformance“ oftmals Gründe, die nicht allein beim Mitarbeiter, sondern in der gegebenen Struktur zu finden sind. Cowden zitierte im „Spiegel“-Artikel hierfür ein recht prägnantes Beispiel: Die strategischen Planer eines Konzerns hatten für die Absatzzahlen eines bestimmten Produktes zu optimistische Prognosen abgegeben.

Die Mitarbeiter konnten ihre auf deren Basis definierten Ziele aus objektiven Gründen nicht erreichen. Das Controlling akzeptierte entsprechende Korrekturen nicht, so dass die Betroffenen über einen längeren Zeitraum über mehrere Quartale ohne Bonus blieben. In anderen Fällen erbringen Mitarbeiter wichtige, jedoch nicht unmittelbar an Kennzahlen messbare Leistungen, beispielsweise durch ihre kommunikative bzw. informationelle Rolle innerhalb eines Teams oder den Aufbau nachhaltig positiver Beziehungen zu externen Kunden. Um solche Leistungen angemessen zu bewerten oder äussere Gründe für temporäre Leistungsschwächen zu erkennen, müssen Vorgesetzte mit ihren Mitarbeitern in kontinuierlichem persönlichen Austausch stehen.

Gleichzeitig werden solche Bewertungen zu einem – oft sehr willkommenen – Druckmittel der Unternehmensleitung. In den unternehmensinternen Datenbanken führen sie ein langes Leben. Wer als „Underperformer“ auffällt, muss damit rechnen, dass das Unternehmen daraus Konsequenzen zieht. Missliebige oder „zu alte“ Mitarbeiter kann man mit den entsprechenden Negativbewertungen mürbe machen sowie früher oder später „begründet“ aus dem Unternehmen drängen. Gleichzeitig hoffen vermutlich viele Unternehmenslenker sowie Personaler und Controller, dass sie gerade durch die immanente Drohung die Leistungspotentiale ihrer Mitarbeiter optimal erschliessen.



Attacke auf Vertrauen und Integrität innerhalb des Unternehmens

In der Praxis haben solche formalen und in ihrem Kern taktischen Bewertungen einen immensen Einfluss auf die Kultur des Unternehmens. Statistisch „erforderliche“ Negativbewertungen hebeln zuverlässig jedes Vertrauen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern aus. Auch Lob und Anerkennung als Führungsinstrumente funktionieren vor diesem Hintergrund nicht mehr. Die Mitarbeiter bekommen stattdessen das Gefühl, dass die Firma auch in guten Zeiten für Entlassungen vorarbeitet. Insgesamt lautet die Botschaft aus der Chefetage, dass der einzelne Mitarbeiter nichts weiter als ein Rädchen im Getriebe ist, keinen Wert als Mensch besitzt und jederzeit ersetzbar ist.

Zudem ist in einem solchen System auch die Position jeder Führungskraft grundsätzlich prekär. Als Folge nutzen viele Chefs auch die vorgegebenen Bewertungsroutinen nicht zuletzt als Instrument, ihre eigene Karriere voranzutreiben – notfalls gegen ihre Mitarbeiter sowie gegen andere Führungskräfte, die für ihre Teams wirklich faire Bewertungen vergeben.

Patrick D. Cowden hat aus seinen Erfahrungen in der Konzern-Welt übrigens seine persönliche Konsequenz gezogen. Mit seinem alternativen Führungsmodell „Beyond Leadership“ will er den Menschen in den Mittelpunkt von Unternehmen stellen. Wichtige Thesen dafür liefert er in seinem aktuellen Buch „Neustart – das Ende der Wirtschaft, wie wir sie kennen“.

 

Oberstes Bild: © m-buehner – Fotolia.com

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