Die Schweizer Zinsen koppeln sich ab

Die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note ist seit Anfang Jahr von 3.80% bis auf 4.60% gestiegen. Fällt einer der vielen verschiedenen Inflationsindikatoren in den USA etwas höher aus als erwartet, machen die Renditen einen Sprung nach oben. Ist der Wert etwas tiefer als erwartet oder befürchtet, sinken die Renditen markant. Die wechselnde Erwartung, «wann» und mittlerweile eher, «ob» die Fed ihren Leitzins senken wirkt, treibt die amerikanischen Finanzmärkte vor sich her.

Die Rendite der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe ist von 1.90% bis auf 2.60% gestiegen, obschon die EZB offensichtlich entschlossen ist, im Juni mit Zinssenkungen zu beginnen. Die Renditen deutscher Obligationen machen das, was die europäischen Zinsen üblicherweise immer machen: sie folgen der Vorgabe aus Amerika und bewegen sich in die gleiche Richtung. Dabei spielt die Frage, ob die Zinsanpassung fundamental gerechtfertigt ist, meistens keine Rolle.

Keine Hektik bei Schweizer Zinsen

Das gilt normalerweise auch für die Zinsen in der Schweiz. Seit Anfang Jahr ist aber alles anders. Die Rendite der 10-jährigen Eidgenossen-Anleihe pendelt um 0.75% herum, der 10-jährigen Franken-Swapzins um 1.20%. Da kann die Finanzwelt rundherum in Aufruhr sein, in der Schweiz herrscht zinsmässig Ruhe. Steigt die Inflationsrate in der Schweiz überraschend stark an wie im April, ist das den Zinsen kein Zucken wert. Dabei ist die Inflationsdynamik die gleiche wie in den USA. Preiserhöhungen im Dienstleistungssektor dominieren die Inflations- rate. Die privaten Dienstleistungen sind im Vergleich zum Vorjahr 2.3% teurer. Die Inflation in diesem Bereich liegt damit über der Obergrenze der SNB von 2%. Wie in den anderen Ländern ist der Inflationsdruck bei den Dienstleistungen zudem hartnäckig konstant.

Dass der seit Anfang Jahr deutlich billigere Franken zusammen mit der Leitzinssenkung der SNB eine erhebliche Lockerung der geldpolitischen Rahmenbedingungen bedeutet, hinterlässt bei den Zinsen auch keine Spuren, obwohl dadurch die Wirtschaft und die Preise angeheizt werden. Die Meinungen im Schweizer Kapitalmarkt sind gemacht. Die SNB wird den Leitzins bis im nächsten Frühjahr von 1.50% auf 1.00% senken. Die Frage des «ob» scheint sich nicht zu stellen. Vielmehr geht es nur darum, «wann» die beiden Zinsschritte vollzogen werden. Die Mehrheit der Finanzmarktteilnehmer geht davon aus, dass es im Juni mit der Eigenständigkeit der SNB vorbei ist und sie die erwartete Zinssenkung der EZB nachvollziehen wird. Solange sich an den Zinserwartungen an die SNB nichts ändert, werden sich auch die Kapitalmarktzinsen nicht bewegen. Dass die realen Renditen der Eidgenossen-Anleihen deutlich negativ sind und die Renditen von Unternehmensanleihen kaum die Inflation entschädigen, ist nicht von Bedeutung.

Stabiler Ausblick

Diese Haltung ist für die nächsten Monate gar nicht so falsch. Dass die SNB mit Zinssenkungen plötzlich aufhört, ist unwahrscheinlich, da die Leitzinssenkung im März sonst wirkungslos verpufft. Dass die SNB den Zins deutlich unter 1.00% drückt, ist genauso unwahrscheinlich, solange die Wirtschaft nicht in eine starke Rezession abrutscht, wofür es keine Anzeichen gibt. Auf den Franken- Obligationen werden die Anleger in diesem Jahr deshalb die aktuelle Rendite verdienen. Vor massiven Kursverlusten aufgrund höherer Zinsen müssen sie sich genauso wenig fürchten, wie sie mit Kursgewinnen dank tieferer Zinsen rechnen können.

 

Titelbild: Symbolbild © LALAKA – shutterstock.com

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Mehr zu Dr. Thomas Stucki

Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 30 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von CHF 4,4 Milliarden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.

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