Energiesicherheit: Droht der Schweiz ein Lichterlöschen?

Der Schweizer Wirtschaft dürfte die weiche Landung gelingen, doch die Frage nach der Energiesicherheit birgt auch hierzulande Risiken. Kurzfristig könnte ein abrupter Ausfall russischer Energielieferungen die Schweiz in eine Rezession stossen, die aber durch die vergleichsweise hohe Resilienz der hiesigen Wirtschaft gegenüber Energiepreisen gedämpft würde.

Mittel- und langfristig können neue EU-Strommarktregeln sowie der Ausstieg aus fossilen und nuklearen Energieträgern zu einem Strommangel führen. Diesem Risiko kann die Schweiz mit einer verbesserten Zusammenarbeit mit der EU und dem Abbau von administrativen und rechtlichen Hürden für den Bau neuer Produktionskapazitäten begegnen.

Die Schweizer Wirtschaft dürfte in den kommenden Quartalen an Schwung verlieren, ihr Wachstum aber positiv bleiben. Sie profitiert 2022 vom Aufholpotenzial nach der Coronakrise und davon, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihre Zinsen früh, aber wohl nur relativ kurz anheben wird. Die Ökonomen von UBS Chief Investment Office Global Wealth Management (UBS CIO GWM) rechnen mit 2,4 Prozent BIP-Wachstum in diesem und 0,9 Prozent im nächsten Jahr.

Neben hoher Inflation, Engpässen in den Lieferketten und einer restriktiveren globalen Geldpolitik hat insbesondere die Frage der Energiesicherheit jüngst Risiken eröffnet, die es in näherer Zukunft zu navigieren gilt. Wo steht die Schweiz und wie gut ist sie darauf vorbereitet?

Abrupter Lieferungsstopp aus Russland: Grösste Rezessionsgefahr

Kurzfristig könnte ein Ausfall von Energielieferungen den Konjunkturausblick eintrüben. Ein umfassendes Embargo oder ein abrupter Stopp russischer Lieferungen würde wohl einen weiteren starken Anstieg der Energiepreise nach sich ziehen und könnte zu Gasrationierungen führen. UBS-Ökonom Alessandro Bee rechnet aktuell nicht mit einem solchen Szenario, das Risiko hat aber deutlich zugenommen.

Die Schweizer Wirtschaft ist wenig anfällig für höhere Energiepreise. Die Energieausgaben der hiesigen Haushalte sind im Vergleich zu den Gesamtausgaben nur halb so hoch wie in der EU. Führt ein Embargo jedoch im Euroraum zu einer Rezession, droht auch hierzulande eine solche, weil die Exporte in die Eurozone einbrächen. Die vergleichsweise höhere Resilienz der Schweiz würde den Rückschlag aber abdämpfen.

Energiepolitik: Selbstauferlegte Hürden wegräumen

Auch mittelfristig stellen sich Herausforderungen. Bis Ende 2025 sind EU-Netzbetreiber gezwungen, mindestens 70 Prozent der für den grenzüberschreitenden Handel relevanten Kapazitäten für den europäischen Binnenmarkt freizuhalten. Mit dem Scheitern des Rahmenvertrages mit der EU ist jedoch auch ein Stromabkommen vom Tisch. Damit werden die Importkapazitäten der Schweiz eingeschränkt, was künftig im Winter zu einem Strommangel führen könnte.

Die ununterbrochene Verfügbarkeit von Elektrizität ist aber eine fundamentale Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren der immer wichtiger werdenden digitalen Wirtschaft. Das Risiko eines Strommangels kann sich zu einem bedeutenden Wettbewerbsnachteil für die Schweiz entwickeln.
Langfristig hinterlässt der angestrebte Ausstieg aus fossilen Energieträgern und Atomkraft eine grosse Elektrizitätslücke. Um in den nächsten Jahrzehnten diese Lücke mit den notwendigen Solarkapazitäten zu füllen, müssen die entsprechenden Vorhaben in vernünftiger Zeit realisierbar sein.

Die Schweiz ist relativ resilient gegenüber Energieschocks und stark im Bereich der Wasserkraft. Sie ist also bestens aufgestellt, um die Herausforderungen im Bereich der Energiesicherheit zu meistern. Die Hürden auf dem Weg dazu sind selbstgemacht. Mit Blick auf den grenzüberschreitenden Handel müssen Wege gefunden werden, die Zusammenarbeit mit der EU im Energiebereich weiterzuentwickeln, auch wenn sich die Beziehung abgekühlt hat. Vor dem Hintergrund eines nachhaltigeren Energiemix müssen administrative und rechtliche Hürden abgebaut werden, um den Bau neuer Produktionskapazitäten zu beschleunigen.

SNB-Zinsanhebungen: Kurz und heftig

Trotz des relativ moderaten Inflationsanstiegs hat die SNB den Zinsanhebungszyklus früh begonnen – noch vor der Europäischen Zentralbank. Chefökonom UBS Schweiz Daniel Kalt erwartet, «… dass die SNB die entschlossene Geldpolitik fortsetzt und die Leitzinsen bis März 2023 auf 0,75 Prozent erhöhen wird». Mit diesem «präventiven Schlag» dürfte die Inflation 2023 wieder in das SNB-Zielband zurückkehren. Nach 2,7 Prozent 2022 ist im nächsten Jahr mit 1,5 Prozent Inflation zu rechnen.

Wenn es der SNB gelingt, die Inflation mit einer kurzen, aber starken Leitzinsanhebung zu beruhigen, dürfte sie bereits Mitte des nächsten Jahres auf weitere Zinsschritte verzichten. Ein frühes Ende der SNB-Zinsanhebungen würde sich auch auf die längerfristigen Zinsen auswirken. Diese dürften sich in der zweiten Jahreshälfte mit grösseren Schwankungen seitwärts bewegen und sie könnten 2023 gar wieder zurückgehen.

Die grosse energiebedingte Inflationsdifferenz zwischen der Schweiz und der Eurozone respektive den USA entwickelt sich zu einem dominanten Treiber für die entsprechenden Währungspaare. Der faire Wert von USDCHF ist mittlerweile unter 0,80 gefallen, der von EURCHF liegt knapp unter 1,00. In einem Umfeld, das von Konjunktursorgen dominiert wird und in der zweiten Jahreshälfte von einer vergleichsweise aggressiven SNB, dürfte der Franken sowohl gegenüber dem US-Dollar als auch gegenüber dem Euro aufwerten. Die SNB dürfte künftig ein Unterschreiten des EURCHF-Kurses unter die 1,00-Marke tolerieren.

 

Quelle: UBS Switzerland
Titelbild: Corona Borealis Studio – shutterstock.com

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