Ein Businessmodell gegen die Verschwendung

Es ist nicht nur aus ökologischer Sicht problematisch. Auch volkswirtschaftlich und sozial gesehen ist die enorme Lebensmittelverschwendung in der Schweiz eine Katastrophe. Ein Drittel aller in der Schweiz gekauften Lebensmittel landet nicht auf dem Teller, sondern irgendwann im Müll.

Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer fragen sich jedoch, ob diese Verschwendung wirklich nötig ist.

Eine ganze Reihe von Projekten sorgt dafür, dass bereits „ausgemusterte“ Lebensmittel doch noch ihren Weg zu den Verbrauchern finden. Den Anfang machte 1999 der Verein „Tischlein deck dich“ in Winterthur mit einem karitativen Ansatz. Inzwischen betreibt die Non-Profit-Organisation 98 Ausgabestellen in der gesamten Schweiz, in denen sie Lebensmittelspenden an Armutsbetroffene verteilt. Wie wichtig ihre Arbeit ist, belegen aktuelle Zahlen: 2014 hat der Verein 2’900 Tonnen Lebensmittel ausgegeben – 250 Tonnen mehr als im Jahr zuvor.

800 Unternehmen steuern Lebensmittel bei

Die Spenden für „Tischlein deck dich“ kommen von inzwischen mehr als 800 Unternehmen aus der Lebensmittelbranche. Dabei handelt es sich natürlich um hochwertige und einwandfreie Lebensmittel, die beispielsweise wegen leichten Verpackungsschäden, Etikettenwechseln, nur noch kurzer Haltbarkeit oder Fehldispositionen und Überproduktionen nicht in den Detailhandel gegeben werden können. Das Sortiment der Ausgabestellen ist fast so gross wie in einem normalen Supermarkt – es umfasst Obst, Gemüse, Backwaren und Milchprodukte ebenso wie Tiefkühlware oder trockene Lebensmittel wie Getränke, Süssigkeiten und Konserven. Menschen, die sich bei „Tischlein deck dich“ mit Lebensmitteln versorgen möchten, zahlen für ihren Einkauf nur einen symbolischen Franken. Voraussetzung dafür ist eine Bezugskarte, die von öffentlichen und privaten Sozialfachstellen ausgegeben wird.

Zwei Millionen Tonnen landen jedes Jahr im Müll

Die internationale Non-Profit-Organisation Food Waste schätzt, dass in der Eidgenossenschaft pro Jahr mehr als zwei Millionen Tonnen völlig einwandfreie Lebensmittel vernichtet werden. Auf der anderen Seite weisen die Zahlen der Caritas aus, dass auch in der reichen Schweiz 700’000 bis 900’000 Personen am oder sogar unter dem Existenzminimum leben.

In den Ausgabestellen von „Tischlein deck dich“ versorgen sich in jeder Woche rund 14’300 Menschen. Der Verein versteht sich als eine private Initiative aus der Wirtschaft, mit seiner Arbeit will er einen sozial und ökologisch sinnvollen Beitrag zum „respektvollen Umgang mit Lebensmitteln“ leisten. Inzwischen steht er für einen sehr aktuellen Trend, für den sich Menschen aus verschiedensten sozialen Schichten engagieren.

Bewusstseinswandel herbeiführen: Food Waste Schweiz

Die Schweizer Dependance von Food Waste gibt es seit 2012, ihren Sitz hat sie in Bern. Anders als „Tischlein deck dich“ geht es der Organisation nicht vordergründig um karitative Unterstützung, sondern um einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel. Eine interaktive Ausstellung soll die Besucherinnen und Besucher für das Thema sensibilisieren und dabei helfen, die Verschwendung von Lebensmitteln in Schweizer Haushalten zu reduzieren.

Ende März wird sie auf dem eco.festival in Basel und im April auf der Schweizer Frühlingsmesse LUGA in Luzern zu sehen sein. Im September 2015 gehört sie dann zum Programm des Erlebnismonats „Zürich isst“. Ein anderes Food-Waste-Projekt heisst „Deine Stadt tischt auf“. Bern und Zürich haben es im vergangenen Jahr bereits getan, Food Waste Schweiz hofft, dass viele andere Städte folgen werden.

Zur Auftaktveranstaltung auf dem Berner Waisenhausplatz haben über 1’000 Menschen die leckeren Gratis-Menüs probiert, die das Food-Waste-Team aus unverkäuflichen Lebensmitteln zubereitet hatte. Daneben gab es – übrigens komplett ausgebuchte – Workshops mit dem Star-Koch Mirko Buri, der im März 2014 nach seiner Koch-Karriere in verschiedenen Sterne-Restaurants in der Berner Neuengasse sein Startup „Mein Küchenchef“ eröffnet hat.


Das Sortiment von „Tischlein deck dich“ ist fast so gross wie in einem normalen Supermarkt. (Bild: © Alexander Image – shutterstock.com)

Sternekoch mit gesundem und nachhaltigem Catering

„Mein Küchenchef“ liefert seinen Kunden Gourmet-Menüs nach Hause oder an ihren Arbeitsplatz. Das Besondere daran: Mirko Buri setzt bei seinem Take-away der etwas anderen Art auf konsequente Nachhaltigkeit als Geschäftsprinzip. Beispielsweise kauft er Gemüse direkt bei den Erzeugern ein. In seine Kochtöpfe kommen Kartoffeln und Karotten, die zu klein oder zu krumm sind und um Handel deshalb als unverkäuflich gelten. Auch Blumenkohl- und Brokkoli-Stengel – normalerweise Abfall – bekommen in Buris Küche eine Chance, seine Kunden sollen lernen, dass auch sie zum Bestandteil leckerer Speisen werden können. Seine Gerichte werden nach der sogenannten Sous-Vide-Methode vakuumgegart.

Nährstoffe und Vitamine bleiben dabei besonders gut erhalten, trotz des kompletten Verzichts auf Konservierungsstoffe lassen sich Buris Menüs einen ganzen Monat lang ohne Qualitätsverlust im Kühlschrank aufbewahren. Aus Gemüseresten produziert der kreative Koch Gewürze, Salze und Bouillons. Die Geschäftsidee entstand, als Buri vor knapp zwei Jahren Vater wurde und zu Hause oft das Kochen übernahm.

Dabei wurde ihm bewusst, wie verschwenderisch im Haushalt oft mit Essen umgegangen wird. Aus seinem Nachhaltigkeits-Konzept für die eigene Familie ist schliesslich eine Business-Strategie entstanden. Seine Erfahrungen mit nachhaltiger, sparsamer und gesunder Küche gibt er heute in seinem zweiten Projekt – Buri´s Kochschule – an andere weiter.

Spitzenmenüs aus der Tonne

Lauren Wildbolz ist Bloggerin, Autorin und Veganerin. Vor vier Jahren hat sie in Zürich das erste vegane Restaurant der Schweiz eröffnet. Heute schreibt sie Kochbücher und ihren „Vegan-Kitchen-Blog“, gibt Kochkurse und betreibt ein veganes Catering. Dabei geht es ihr nicht nur um den Verzicht auf tierische Produkte, sondern das Hinterfragen von Konsumgewohnheiten insgesamt – unter anderem meint sie, dass die meisten Konsumgüter und vor allem Lebensmittel selbst in der „Hochpreisinsel Schweiz“ zu günstig sind, was deren Wertschätzung verringert.

Als Abschlussprojekt ihres Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste hat Wildbolz für zwei Wochen am Sihl-Quai ein Pop-up-Restaurant eröffnet, in denen 50 bis 70 Personen täglich ein von ihr zubereitetes kostenloses Menü verzehren konnten. Die Zutaten dafür, aber auch die Einrichtung des temporären Restaurants stammten aus der Abfalltonne.

Das Projekt existiert unter dem Namen „Good Food for You for Free“ bis heute weiter. In ihren temporären Restaurants bietet Lauren Wildbolz ihren Gästen unter dem Motto „Taste the Waste“ („Schmecke den Müll“) inzwischen ein edles Elf-Gänge-Menü aus unverkäuflichen Lebensmitteln an. Allerdings meint sie, dass es nicht reicht, Privatpersonen für die Verschwendung von Lebensmitteln zu sensibilisieren, die Haushalte der Endverbraucher seien nur das „tragische Ende“ einer ganzen Reihe von Wegwerfszenarien in Supermärkten oder bei den Produzenten.



 

Sustainable Food – neuer Trend

Die Liste von Projekten, die sich einem nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln widmen, ist mit diesen Beispielen noch lange nicht komplett. Food Waste Schweiz berichtet, dass sich gerade in Zürich in dieser Hinsicht sehr viel tut. So verkauft die Äss-Bar aus dem Niederdorf Brote und Gebäck vom Vortag zu günstigen Preisen und arbeitet dafür mit verschiedenen Bäckereien im Grossraum Zürich und Bern zusammen. Inzwischen betreibt die Äss-Bar in Zürich vier Filialen, seit dem vergangenen Jahr ist ausserdem ein Food-Truck unterwegs.

Von den Kunden wird dieses Angebot offensichtlich sehr gut angenommen, demnächst wird es in verschiedenen Schweizer Städten neue Dependancen geben. Für Interessierte, die zuallererst ihre eigene „Lebensmittel-Praxis“ überprüfen wollen, lohnt sich ein Blick auf das Food-Waste-Internet-Portal. Dort finden sich zahlreiche Tipps und Tricks für die Lagerung von Lebensmitteln und eine nachhaltige Einkaufsplanung sowie Rezepte für eine schmackhafte Verwertung von Speiseresten, die unsere Grossmütter noch kannten, die heute jedoch in Vergessenheit geraten sind.

 

Oberstes Bild: © StockCube – shutterstock.com

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