Was bedeutet die Freigabe des CHF-Wechselkurses für die Schweiz?

Die Aufgabe des fixen Franken-Wechselkurses am 15. Januar 2015 hat die Schweizer völlig überrascht. Im September 2011 hatte die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Wechselkurs bei CHF 1.20 pro Euro festgeschrieben, um die Schweizer Exportwirtschaft und die Tourismusindustrie vor den Folgen der seinerzeit extrem starken Aufwertung des Franken zu schützen.

Die Wirtschaftswissenschaftler Jan-Egbert Sturm – Chef der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) – und sein Kollege Alexander Rathke haben sich mit den Hintergründen der Freigabe des Wechselkurses in einem Fachartikel für die „NZZ“ etwas ausführlicher beschäftigt.

Ihrer Einschätzung nach hat die SNB mit der Freigabe des Wechselkurses den Ausstieg aus der Notfallpolitik begonnen und setzt in ihrer Geldpolitik wieder verstärkt auf die „Kraft des Marktes“.

Welche Hintergründe hatte der Mindestwechselkurs?

Im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise hatte der Schweizer Franken ab 2008 eine extrem starke Aufwertung erfahren – die Schweiz und ihre Währung galten für Investoren seitdem als „sicherer Hafen“. Im ersten Halbjahr 2011 haben aus Sicht der beiden Wissenschaftler wahrscheinlich auch Währungsspekulationen den Wechselkurs getrieben. Im Sommer 2011 lag die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro bei 35 Prozent. Am 6. September 2011 entschied sich die SNB dafür, die Notbremse zu ziehen und die Aufwertung des Frankens durch den Mindestwechselkurs auf maximal 25 Prozent zu begrenzen. Die Notenbanker wollten damit die Risiken für die Schweizer Wirtschaft reduzieren und vor allem eine Deflation verhindern. Sturm und Rathke schreiben, dass die KOF den Mindestwechselkurs seinerzeit ausdrücklich unterstützte, da dieser die Inflationserwartungen verankerte und als „Versicherung für die exportorientierten Sektoren“ wirkte.

Der Mindestwechselkurs – Schlüsselfaktor für guten Konjunkturverlauf

In den folgenden Jahren hat der fixe Wechselkurs die mit ihm verbundenen wirtschaftlichen Erwartungen erfüllt. In den Jahren 2013 und 2014 hatte die Schweizer Wirtschaft ihr temporäres Wachstumstief hinter sich gelassen und wuchs in etwa ihrem prognostizierten Wachstumspotenzial entsprechend. Einerseits wurde die Binnenkonjunktur durch das starke Bevölkerungswachstum getrieben, auch der durch die Krise stark betroffene Exportsektor erwies sich jedoch entgegen den ursprünglichen Erwartungen als recht robust. Durch die Begrenzung der Währungsdynamik lag die Inflation in der Schweiz im Jahr 2014 immerhin bei null, nachdem sie in den beiden Vorjahren negative Tendenzen zeigte. Insgesamt hatte sich der Mindestwechselkurs als ein Schlüsselfaktor für den vergleichsweise guten Konjunkturverlauf der Schweiz erwiesen.


Durch die Aufgabe des Mindestwechselkurses gewinnt die SNB ihre Autonomie zurück. (Bild: Yu Lan / Shutterstock.com)


Spekulationsvermeidung als kommunikative Intention der SNB

Trotzdem war die Franken-Untergrenze vor allem ein temporäres Notfallinstrument. Auch die plötzliche und unangekündigte Rückkehr zu flexiblen Wechselkursen war aus Sicht von Sturm und Rathke zu erwarten. Zwar hatte SNB-Präsident Thomas Jordan kurz vor der Aufhebung des Mindestwechselkurses noch betont, dass dieser für die Vermeidung einer Deflation unverzichtbar sei, die beiden Autoren sehen in dieser Äusserung jedoch vor allem einen Bezug zur Kommunikationsstrategie der SNB, die darauf ausgerichtet war, die Glaubwürdigkeit des Mindestwechselkurses abzusichern und Währungsspekulationen zu verhindern.

Geldpolitische Gefahren durch Festhalten am Mindestwechselkurs

Bis vor kurzem hätte es für die Aufhebung des Mindestwechselkurses auch ein „Normal-Szenario“ geben können: Gegenüber den wichtigsten Handelspartnern hat sich die Überbewertung des Frankens in den vergangenen Jahren leicht verringert. Geringe Kursbewegungen nach einer Aufhebung hätten indiziert, dass die währungspolitische Absicherung der Schweizer Wirtschaft nicht mehr nötig ist, auch die Inflationsrate hätte sich allmählich in den positiven Bereich bewegen können. Nicht realistisch waren dagegen Erwartungen auf eine Abwertung des Frankens durch die Selbstregulierung der Märkte – die wirtschaftliche Entwicklung in der Euro-Zone ist dafür bis auf weiteres zu schwach. Die Aufhebung des Mindestwechselkurses erfolgte jedoch zu einem Zeitpunkt, zu dem der Franken absehbar erneut unter massiven Druck gelangen würde. Im Januar 2015 standen die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) über die Umsetzung ihres Anleihen-Kaufprogramms sowie die Wahlen in Griechenland kurz bevor, auch die Russland-Krise hatte sich erneut verschärft. Das Festhalten am Mindestwechselkurs hätte in letzter Konsequenz bedeutet, diesen durch massive Interventionen auf unabsehbare Zeit zu stützen. Die Einschätzung von Sturm und Rathke: Die SNB bewertet die langfristigen Gefahren durch die Ausweitung der Geldmenge höher als den geldpolitischen Nutzen der Franken-Untergrenze.

Abkopplung von der geldpolitischen Entwicklung in der Euro-Zone

Mit ihrer Entscheidung hat sich die SNB von der geldpolitischen Entwicklung in der Euro-Zone abgekoppelt und damit gleichzeitig ihre selbst gesetzten Grenzen aufgezeigt. Eine künftige Kontrolle des Wechselkurses und entsprechende Interventionen würden auch die Spekulationsgefahr erhöhen, was weitere geldpolitische Investitionen nach sich ziehen würde. Die SNB hat sich stattdessen dafür entschieden, ihren Leitzins weiter ins Negative abzusenken, um die Attraktivität der Schweizer Währung für Investoren abzusenken. Die KOF-Wissenschaftler stellen in diesem Kontext allerdings auch die Frage, welcher Spielraum zumindest in einem „Worst-Case-Szenario“ – beispielsweise einer wirtschaftlichen Rezession mit Immobilienkrise – noch vorhanden wäre, um eine Deflation noch effektiv zu stoppen.



Fazit: Die Entwicklung der Wirtschaft folgt künftig wieder stärker den Bewegungen der Märkte

Die Folgen der Aufgabe des Mindestwechselkurses sind derzeit nicht absehbar. Falls der Franken stark bleibt, wird die Schweizer Wirtschaft darauf durch eine interne Abwertung reagieren müssen. Falls sich der Wechselkurs perspektivisch wieder der bisherigen Untergrenze nähern würde, hätte die SNB dagegen ohne nachhaltige Belastungen für die Wirtschaft ihre Autonomie zurückerhalten. Die SNB folgt damit der aktuellen Strategie der US-amerikanischen Notenbank, sich aus der Notfallpolitik zurückzuziehen. Daraus folgt unter anderem, dass die Schweizer Wirtschaft wieder „lernen“ muss, sich auf Wechselkursschwankungen einzustellen und strukturell an die Bewegungen der Märkte anzupassen.

 

Oberstes Bild: Franken-Wechselkurs wurde von der SNB freigegen. (© Valeri Potapova / Shutterstock.com)

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