Dem Kunden aufs Maul geschaut

Martin Luther prägte die Redewendung „dem Volke aufs Maul geschaut“ und meinte damit eine Kommunikation mit dem Volk unter Nutzung dessen ureigenster Sprache. Weiter gefasst ging es auch darum, die Wünsche und Ansprüche des einfachen Volkes zu verstehen und in das Handeln der Obrigkeit einzubinden. Volksnähe und eine verständliche Sprache forderte Luther damit vor allem von den Kirchenoberen ein. Dem folgte auch seine deutsche Bibelübersetzung, die sich um Wissenschaftlichkeit und Korrektheit wenig scherte, sondern einzig und allein in ihrer Botschaft von Kleinbürgern und Bauern verstanden werden sollte.

In einer Abwandlung von Luthers Ausspruch dürfte es heute für viele Unternehmen heissen: „dem Kunden aufs Maul geschaut“! Dann geht es sowohl um werbliche Sprache, Identität, Produktqualität und eben besonders um Kundenansprüche an die Produkte bis in den Handel hinein.

Wenn Werbung nicht verstanden wird

Anglizismen bestimmen den Werbemarkt auf eine ganz besondere Weise. Ob Autos, Unterhaltungselektronik, Smartphones oder selbst so profane Dinge wie Körperpflege-Produkte – offenbar geht in der Werbung nichts mehr ohne Englisch oder eigenartige Abwandlungen davon. Selbst Sprachvermischungen etwa zwischen Englisch und Deutsch sind keine Seltenheit mehr. Kein Wunder, dass so mancher Verbraucher nicht nur wegen mangelhafter Englischkenntnisse völlig falsche Schlüsse aus einer Werbung voller Anglizismen und Wortsalate zieht.

„Werbung, die ankommt!“, damit versprechen viele Marketingagenturen einen wahren Verkaufsboom für einzelne Leistungen und Produkte und stehen dann doch völlig neben dem Kunden. Mehr oder weniger geschickt werden grossartige Werbestrategien an die Unternehmen verkauft; Zahlen werden so lange hin und her geschoben, bis sie ins Marketingkonzept passen.

In der Endkonsequenz bleibt dann alles beim Alten. Irreführende Werbung, falsch präsentierte Verbindungen zwischen Produkt und Emotion, oftmals unverständliche Reklame mit jeder Menge Sex-Appeal und letztlich am Kunden vorbei offerierte Produkte dominieren den Markt

Wie viel einfacher wäre es da, bereits in der Werbung dem Volk aufs Maul zu schauen und mit den Kunden eine Sprache zu pflegen, die diese auch verstehen.


Die Werbung ist allerdings nur der vorletzte Schritt in der Befriedigung echter Kundenbedürfnisse. (Bild: venimo / Shutterstock.com)
Die Werbung ist allerdings nur der vorletzte Schritt in der Befriedigung echter Kundenbedürfnisse. (Bild: venimo / Shutterstock.com)


In der Entwicklung beginnt oftmals der Irrtum

Die Werbung ist allerdings nur der vorletzte Schritt in der Befriedigung echter Kundenbedürfnisse. Weit davor kommt die Entwicklung. Die Neu- und Weiterentwicklung von Waren und Leistungen spielt sich viel zu oft in geheimen Kämmerchen und Probierstuben der Unternehmen ab. Dort sitzen Entwicklungsspezialisten, die auf Teufel komm raus Produkte und Leistungen erschaffen wollen, die möglichst völlig neuartig am Markt sind und damit Marktlücken schliessen oder Nischen besetzen sollen. Darauf hat der Kunde ja auch gerade gewartet. Vor allem, wenn hier Produkte offeriert werden, deren Sinn und Zweck dem Rezipienten nicht nur auf den ersten Blick verborgen bleibt.

Spätestens dann muss wieder die gross aufgemachte Werbung her, um den potenziellen Kunden zu erklären, was sie mit dem neuen Produkt eigentlich machen sollen oder wofür es vielleicht noch taugen könnte. Manchmal gelingt das mit Erfolg. So verkauft beispielsweise Calgon seit Jahrzehnten erfolgreich Kalkschutzmittel für Waschmaschinen und Geschirrspüler, obwohl diese bereits in Waschmitteln enthalten sind oder sich aus der Wirkung von Waschmitteln bereits selbst ergeben. Wer eben glaubt, dass Waschmaschinen mit Calgon länger leben würden, soll dafür auch Geld bezahlen. In Wirklichkeit sind es weniger verkalkte Heizstäbe, sondern vielmehr abgearbeitete Kohlebürsten an den Motoren, eine fehlerhafte Elektronik oder mangelhaft verarbeitete Lager, die heute einer Waschmaschine den schnellen Garaus machen.

Dann beginnt der Irrtum nicht in der Entwicklung von Kalkstopp-Tabletten, sondern eben in der Wahrnehmung der Kunden von Sinn oder Unsinn eines Produktes. Bis heute ist Calgon den Beweis schuldig geblieben, dass Waschgeräte bei normaler Nutzung mit Calgon länger leben. Macht aber nix. Der Depp glaubt’s und den Hersteller freut’s.

Kundenwünsche erkennen und umsetzen

Richtig schwer tun sich viele Unternehmen dann, wenn es darum geht, echte Kundenbedürfnisse und -wünsche zu erkennen, zu bewerten und in Veränderungen bei Produkten umzusetzen. So glänzen bis heute viele Produkte mit eher befriedigenden statt mit hervorragenden Eigenschaften. Warum auch? Befriedigt ein Produkt, dann erfüllt es zumindest die grundsätzlichen Erwartungen. Diese kann man schönreden und so aus einem eher durchschnittlichen ein Spitzenprodukt machen. Dabei bleibt der Kunde aussen vor.

Dabei sind es meist nur kleine Details, die für eine bessere Erfüllung von Kundenbedürfnissen sorgen. Einkaufstüten ohne „Sollreissstelle“ können für den Handel beispielsweise genauso hilfreich sein wie Autos, die wegen verbesserter Materialien der Verschleissteile nicht ständig kostenpflichtig zur periodischen Fahrzeugprüfung müssen. Ein wünschenswerter Zustand vielleicht nicht für die Prüforganisationen, aber eben für den Kunden.

Und so liesse sich hier eine Vielzahl unterschiedlichster Produkte, Leistungen und Entscheidungen aufführen, die deutlich verbessert werden könnten, wenn man doch einmal nur dem Kunden aufs Maul schauen würde. Und der hat es schliesslich verdient, für sein gutes Geld auch gute und nicht durchschnittliche oder unterirdisch schlechte bis unnütze Produkte und Leistungen kaufen zu dürfen. Eine Überlegung, die so manchem Unternehmen gut zu Gesicht stünde und letztlich auch so manche teure Werbekampagne überflüssig werden lässt. Vor allem dann, wenn diese eine Sprache spricht, die der Empfänger der Botschaft ohnehin nicht versteht.

 

Oberstes Bild: © Anson0618 – Shutterstock.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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