Mit sozialen Start-ups Schwellenländer erschliessen
VON Caroline Brunner Finanzen Start-up
Das macht allerdings immer noch eine kumulative Kaufkraft von jährlich über einer Billiarde Dollar aus, die sehr wohl einen rentablen Markt darstellt. Als wirklich problematisch stufen Gründer jedoch die Rahmenbedingungen ein. Viele Menschen dieser Einkommensstufe leben in fernab gelegenen Dörfern ohne Anbindung an fliessendes Wasser oder Elektrizität innerhalb der Haushalte. In vielen Fällen können die Haushaltsmitglieder nicht lesen und mit den herkömmlichen Marketing-Instrumenten nicht erreicht werden, verfügen über keinerlei Ersparnisse oder Kreditzugang und sind oft noch von Krankheiten und instabilen politischen Verhältnissen bedroht.
Aus westlicher Sicht können diese Parameter jeden Entrepreneur vor einem wirtschaftlichen Engagement zurückschrecken lassen. Und doch gibt es Gründer, die gerade in diesen Defiziten eine Chance erkennen; die daran glauben, dass eine betriebswirtschaftliche Herangehensweise auf Augenhöhe essenziell zur Armutsbekämpfung beitragen und gleichzeitig profitabel für Unternehmer und Investoren sein kann.
Diese Start-up-Innovatoren verkaufen erfolgreich billige Solarlaternen oder Brillen oder fördern Frauennetzwerke und Kleinkreditvergaben. Sie haben sich den speziellen Herausforderungen des grössten noch unerschlossenen Marktes der Welt gestellt und dabei ein paar erstaunliche Erfahrungen gemacht. Das Spannende: Um erfolgreich zu sein, müssen sie einige goldene Start-up-Regeln des Unternehmertums ständig brechen.
Zum einen teilen sie die Entscheidungskompetenz von Anfang an mit einem lokalen Team. Denn nur mit regionalen Multiplikatoren lassen sich diese Märkte nachhaltig erschliessen. Vom Firmensitz in Zürich aus werden organisatorische Probleme in Botswana nicht gelöst. Social Entrepreneurs, die in Schwellenländern arbeiten wollen, müssen von Anfang an delegieren, Verantwortung abgeben und loslassen können – an meist junge, ebenfalls mit dem Gründergeist beseelte Menschen vor Ort, die Kultur und Menschen kennen, Konflikte beilegen, verhandeln, logistisch denken und schnell auf regionale Entwicklungen reagieren können.
Um nach eigenen Massstäben erfolgreich zu sein, muss es sozialen Unternehmern immer wichtiger sein, gesellschaftliche Veränderungen zu initiieren, als den Umsatz unendlich zu potenzieren. Das heisst automatisch auch, eine Bewegung zu initiieren, statt nur ein Produkt verkaufen zu wollen. Ohne eine Vision, die mehr beinhaltet als nur Profit, geht nichts.
Das gilt auch für Mitarbeiter – sie sollten sich für die Kultur des Marktes und seiner Menschen leidenschaftlich im eigenen wie in deren Sinne interessieren. Denn die Zustände vor Ort sind in den meisten Fällen durch ein jahrelanges, reines Profitstreben entweder ausgelöst oder verschlimmert worden – „more of the same“ ist es nicht, was Verbraucher in Schwellenländern erwarten oder bekommen sollten. Das ultimative Ziel eines Social Entrepreneurs in Schwellenländern ist die Generierung von Werten, nicht von Gewinn.
Das beeinflusst auch den Umgang mit Wettbewerbern. Die meisten Märkte in Asien, Afrika und Südamerika sind so gross, dass ein Anbieter allein keine Wellen schlagen kann. Konkurrenz wird aus dieser Perspektive des sozialen Impacts plötzlich zu Kooperation. Denn wer ein System umwälzen möchte, weiss: Je mehr Menschen dieses Ziel haben, desto wahrscheinlicher wird es.
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