Sense-out - neuer Modebegriff oder Indiz für kulturellen Wandel in der Arbeitswelt?

Kommt nach dem Burnout und dem Boreout nun der „Sense-out“? Die Vermutung liegt nahe, dass es bei der englischen Umschreibung für Sinnverlust am Arbeitsplatz lediglich um eine neue Modeerscheinung geht, die einen Aspekt der modernen Arbeitswelt erklären soll – oder vielleicht das Phänomen auch selbst erst schafft.

Allerdings hat bereits die inzwischen etwas abgeflaute Burnout-Debatte gezeigt, dass sinnstiftende Komponenten für seelische Gesundheit und produktive Arbeit essentiell sind. Wer seine berufliche Tätigkeit als reine Routine, ohne die Möglichkeit zu relativer Autonomie und folglich sinnentleert erlebt, läuft über kurz oder lang Gefahr, darin auszubrennen.

Die Frage, ob aus der Art und Weise, wie wir arbeiten, auch ein expliziter Sense-out resultieren kann, wurde dagegen erst in jüngster Zeit gestellt. Dabei geht es nicht um permanenten Stress oder die potentiell krankmachenden Aspekte von Berufsarbeit, sondern darum, was uns in unserer Arbeit motiviert oder unsere Motivation zunichte macht. Mitarbeiter, die ihre alltägliche Tätigkeit als sinnentleert empfinden, werden früher oder später sowohl ihre Leistungsbereitschaft als auch ihre Leistungsfähigkeit verlieren. Führungskräfte sind in den Unternehmen daher auch als Sinnstifter gefragt – eine Rolle, auf die sie oft nur unzureichend vorbereitet sind.

Die globalisierte Welt provoziert Sinnfragen am Arbeitsplatz

Die Herausforderung an Führungskräfte haben sich in den letzten zwei Dekaden stark gewandelt. Die Kontinuität früherer Jahrzehnte ist heute nur noch in einigen wenigen Betrieben und eher an der Peripherie des Wirtschaftslebens anzutreffen. Durch Globalisierung, dynamische Märkte und den permanenten strukturellen Wandel hat sich der Rhythmus der Arbeitswelt immens beschleunigt. Mitarbeiter und Manager müssen heute tagtäglich in der Lage sein, in komplexen Strukturen zu agieren, die dem Einzelnen nur noch ein Mindestmass an Sicherheiten bieten.

Gute Führung muss auf diese Veränderungen reagieren und dafür sorgen, dass die Mitarbeiter auch unter schwierigen Rahmenbedingungen motiviert und handlungsfähig bleiben. Sinnfragen am Arbeitsplatz werden zunehmend virulenter. Vor allem junge Arbeitnehmer – die Angehörigen der vielzitierten Generation Y – fordern Antworten darauf immer vehementer ein. Führungskräfte müssen sich daher heute auch als „Sinn-Coaches“ verstehen.

Hinter der Suche nach dem Sinn verbirgt sich ein menschliches Grundbedürfnis: Ohne Orientierung und das Eingebundensein in übergreifende Zusammenhänge können die meisten Menschen weder Zufriedenheit noch Produktivität entfalten. In Ermangelung von Alternativen und angesichts der Tatsache, dass viele Arbeitnehmer den Hauptanteil ihrer Zeit am Arbeitsplatz verbringen, fällt die Aufgabe der Sinnstiftung in immer stärkerem Masse den Unternehmen zu.

Viele Firmen arbeiten zwar mit elaborierten strategischen Visionen, in denen es jedoch primär um ihre Position im Markt sowie gegenüber den Wettbewerbern geht. Die menschliche Komponente spielt in ihnen dagegen meist nur eine sekundäre Rolle. Die Mitarbeiter brauchen jedoch nicht nur eine Vision, die ihnen mitteilt, wo „ihr“ Unternehmen in drei oder fünf Jahren ökonomisch stehen will, sondern eine persönliche Bestätigung dafür, dass es sich lohnt, für diese Ziele zu arbeiten und zu leben.

Sinn – in Zukunft wichtigste produktive Ressource?

In westlichen Industriegesellschaften gewinnt die Sinnsuche des Einzelnen immer mehr Raum. Traditionell sinnstiftende Institutionen – Religionsgemeinschaften, die Familie oder die Gesellschaft als übergeordnetes System – haben einen nachhaltigen Bedeutungswandel durchgemacht und sind für den Einzelnen in ihrer Relevanz oft weit zurückgetreten. Dem „Anything goes“ unserer Epoche sowie Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten, die vor nicht allzu langer Zeit für Mehrheiten unvorstellbar waren, steht jedoch eine wachsende Fragmentierung gegenüber, die oft bis tief in die Details von Beziehungen und Tätigkeiten reichen.

Von dem Wunsch nach Sinn – und auch nach Ganzheitlichkeit – ist heute der Arbeitsbereich direkt betroffen. Der deutsche Zukunftsforscher Horst Opaschowski sieht die Suche nach Sinn in diesem Kontext sogar an die wichtigste produktive Ressource der Zukunft an. In seiner Definition ist Sinn das Ergebnis von komplexen Einsichten, Handlungen und Haltungen, die in einen konkreten unternehmerischen und sozialen Kontext eingebettet sind.

Die Realität in den Unternehmen sieht allerdings oft anders aus. In einer komplexen und globalisierten Arbeitswelt läuft der Einzelne Gefahr, sich auch im Bereich der Wissensarbeit lediglich als ein Rädchen im Getriebe zu empfinden. Die mögliche Konsequenz daraus ist dem schleichenden Beginn eines Burnouts durchaus verwandt: Statt Engagement und Freude an der Arbeit macht sich innere Leere breit. Berufliche ebenso wie private Aktivitäten werden mehr und mehr zur Pflicht. Auf lange Sicht bewegt sich die innere Motivation auf einen Nullpunkt zu, äussere Motivationsfaktoren wie Geld, Macht oder Status verlieren ihre Wirkung. Ein solcher Sense-out kann das Lebensgefühl sowie die Leistungsfähigkeit des Einzelnen im Lauf der Zeit immer stärker reduzieren.

Sense-out-Begriff verweist auf kulturellen Wandel in den Unternehmen

Individuelle Strategien gegen den Sense-out gibt es durchaus. Menschen, die es schaffen, sich in ihrer Selbstreflexion in ganzheitlicher Weise wahrzunehmen und auch noch ein erfülltes Leben ausserhalb der Arbeit kennen, werden dabei meist auch Sinn erfahren. Schwierig wird es, wenn die Berufsarbeit zum hauptsächlichen oder sogar einzigen Lebensinhalt wird und Defizite in anderen Lebensbereichen kompensieren soll. Hinzu kommt, dass der Einzelne im Hinblick auf sein berufliches Umfeld und seine Tätigkeit nur sehr bedingt Autonomie geniesst.


Die Leistung von Managern wird künftig auch an ihrer Fähigkeit gemessen. (Bild: Skills-alexmillos / Shutterstock.com)


Exzellente Führung verlässt an diesem Punkt endgültig die vorwiegend administrativ-funktionale Dimension. Die Leistung von Managern wird künftig auch an ihrer Fähigkeit gemessen werden, Sinn zu stiften und ihre Mitarbeiter damit auf einer essentiellen Ebene zu motivieren. Der Sense-out-Begriff ist vor diesem Hintergrund ein Indikator für einen kulturellen Wandel in den Unternehmen, durch den der Mensch respektive der individuelle Mitarbeiter stärker in den Fokus rücken.

 

Oberstes Bild: © PlusONE / Shutterstock.com

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