Everybodys Darling ist Everybodys Depp

Nicht wenige Menschen meinen, sie müssten jedem alles recht machen. Dass dabei in den meisten Fällen die eigene Person viel zu kurz kommt und durchaus auch gefährliche Allianzen eingegangen werden, ist den wenigsten bewusst. Letztlich scheint doch der Jedermanns-Liebling vor allen Angriffen aus seinem Umfeld sicher zu sein.

Dass dem bei Weitem nicht so ist, beweisen tagtäglich Fälle, in denen aus scheinbar unkomplizierten und von allen geliebten Menschen einsame Einzelgänger ohne ausgereiftes Selbstbewusstsein werden. Dass Everybody’s Darling immer Gefahr läuft, Everybody’s Depp zu werden, schliesst sich gegenseitig nicht aus.

Ich liebe euch doch alle

„Ich liebe euch doch alle!“, mit dieser ebenso eigenartigen wie grotesken Aussage dankte der oberste Schnüffler der DDR-Staatssicherheit im Oktober 1989 von der politischen Bühne ab. Als verantwortlicher Minister für Staatssicherheit zeichnete Erich Mielke verantwortlich für tausendfaches Leiden, das einer hunderttausendfachen Beschnüffelung der eigenen Bevölkerung folgte. Spätestens mit diesem Ausspruch machte sich Mielke zum Depp, auch wenn er in seiner senilen Greisenhaftigkeit eigentlich sagen wollte, dass er doch aller Bürger Liebling sein wollte. Wie wenig das geht, hat nicht nur der Ex-Staatssicherheits-Chef der untergegangenen DDR unter Beweis gestellt. Auch im Schweizer Alltag begegnen wir immer wieder Menschen, die meinen mit jedem gut klar kommen zu müssen. Dabei ist der Mensch an sich ein selbstbestimmtes Wesen, das auf Liebe und Zuneigung nicht verzichten kann, aber genauso von Abgrenzung und Distanz lebt.

Die Konfliktvermeidungs-Falle

Schon von klein auf lernen wir, dass wir uns nicht streiten sollen und immer schön höflich sein müssen. Für Eltern ist das bequem, für Heranwachsende, die sich an solche Regeln halten, wird daraus schnell ein Teufelskreis. Das ewige und ständig bemühte Vermeiden von Konflikten wird zu einer Falle, aus der sich selbst Erwachsene nur schwer befreien können. Streit ist eine Form der Auseinandersetzung, bei der scheinbar oder tatsächlich unterschiedliche Standpunkte zu einer Sache von den Kontrahenten vehement verteidigt werden.


Schon von klein auf lernen wir, dass wir uns nicht streiten sollen und immer schön höflich sein müssen. (Bild: Kiselev Andrey Valerevich / shutterstock.com)


Neben dem lauten, oftmals mit unsinnigen Argumenten bis hin zur Schlägerei geführten Streit kennen wir auch den produktiven Streit. Hier kommt es darauf an, Standpunkte und Argumente auszutauschen und letztlich eine Lösung zu finden, die den widerstreitenden Interessen der Konfliktparteien gerecht werden können. Oftmals werden hier Kompromisse geschlossen, die beide Seiten weiter voranbringen können. Und auch Höflichkeit hat Ihre Grenzen. Wer ausdauernd beschimpft und gedemütigt wird, hat irgendwann keinen Grund mehr, höflich zu sein. Dann darf auch einmal ein harsches Wort als Form der individuellen Abgrenzung fallen.

Wer ständig bemüht ist, Konflikte zu vermeiden und Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen, wird letztlich in seiner persönlichen Souveränität nicht mehr wahrgenommen werden. Was folgt, ist eine Ausgrenzung aus Beziehungen und der Konfliktvermeider wird sich letztlich als der Depp in den unterschiedlichsten Gruppen wiederfinden. Letztlich hat er es ja auch nicht gelernt, deutlich Nein zu sagen oder sich selbstbestimmt mit einem klaren Ja zu einer Sache zu erklären. Das macht solche Menschen zwar berechenbar, aber auch beliebig angreifbar.

Warum ich nicht Jedermanns Liebling sein will

Die Menschen, die mir Tag für Tag begegnen, sind sehr unterschiedlich. Sie sehen nicht nur verschieden aus, sie verhalten sich in unterschiedlichen Situationen auch sehr anders. Dabei gefällt mir nicht alles, was ich sehe und höre. Oftmals gerate ich in verbale Auseinandersetzungen, weil meine Meinung zu einer Sache längst nicht die Meinung des anderen ist. Hier geniesse ich die Freiheit des Andersdenkens und gesteht diese auch meinem Gegenüber zu. Mir ist nicht daran gelegen, mit jedem meiner Mitmenschen gleichermassen gut auszukommen, obwohl ich mich doch recht oft opportun verhalte. Letztlich gibt es Menschen, die mich sehr mögen und solche, die mir lieber aus dem Wege gehen.

Und mir geht das genauso. Dabei habe ich das gute Gefühl, nicht die Opferrolle einnehmen zu müssen, wie es vielen geschieht, die sich nicht deutlich abgrenzen können. Ich will nicht jeden lieben und auch nicht von jedem geliebt werden. Schon weil wir Menschen so verschieden sind. Dennoch pflege ich zu den meisten Menschen in meiner Umgebung ein gesprächsoffenes, von Freundlichkeit geprägtes Verhalten. Damit bin ich bislang auch immer sehr gut gefahren. Wer mich kennt weiss, was er von mir zu halten hat und weiss auch, was ich gar nicht mag. Vor allem mag ich das unausgegorene Verhalten von Menschen nicht, die meinen, mit Jedermann ein freundschaftliches Verhältnis pflegen zu müssen. Wahrscheinlich haben solche Leute keine Feinde aber auch keine wirklichen Freunde. Schon deshalb nicht, weil zur Freundschaft oftmals auch das Austragen von Konflikten gehört.

Schlussfolgerungen für Beruf und Geschäft

Auch Beruf und Geschäft sind keine luftleeren Räume. Täglich kommen wir hier mit Menschen zusammen, die wir mögen oder auch nicht. Und manchmal überrascht es uns, dass uns Leute nicht leiden können, die wir selbst aber gern um uns haben. Besonders im geschäftlichen Bereich kommt es darauf an, seine eigenen Ziele zu verfolgen und dabei trotzdem die Contenance zu wahren. Dabei dürfen, sollen und müssen wir uns immer so deutlich erklären, wie die Situation es zulässt. Selbst im Verkaufsgespräch oder in der Leitungsverantwortung müssen und dürfen wir nicht Jedermanns Liebling sein. Es sei denn, wir wollen riskieren, uns aufgrund mangelnder eigener Souveränität zum Trottel zu machen. Denn Everybodys Darling bleibt Everybodys Depp.

 

Oberstes Bild: © Rido – shutterstock.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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