"Artenschutz für Nieten" oder Top Executive Assessment?

Der Schweizer Wirtschaftspsychologe, Management-Wissenschaftler und Buchautor Leopold Hüffer ist einer der weltweit führenden Experten für individuelles Top Executive Assessment. Im Klartext: Hüffer hilft Unternehmen – überwiegend Grosskonzernen – dabei, vakante Top-Positionen wieder zu besetzen. Im „Spiegel Online“-Interview sprach er darüber, warum in den Chefetagen oft unfähige oder schlicht die falschen Führungskräfte sitzen.

Leopold Hüffer sieht die Ursachen dafür in arroganten oder überforderten Entscheidern sowie in Headhuntern, die sich bei den vorgeschlagenen Kandidaten vor allem an ihren eigenen Interessen orientieren. Als Alternative dazu plädiert er für Executive Assessments, deren Inhalte individuell auf die zu besetzende Führungsposition zugeschnitten sind.

Eine wesentliche Voraussetzung für tragfähige Personalentscheidungen ist genügend Zeit. Die Realität in den Unternehmen sieht leider anders aus – und zwar auch und gerade bei der Besetzung von Spitzenpositionen. Ein neuer CEO oder ein anderer Top-Manager wird oft erstaunlich schnell gefunden. Anzunehmen ist, dass für die Entscheider mit der optimalen und vor allem zügigen Besetzung der Position hoher Druck verbunden ist – was sie anfällig für Bewerber macht, die nicht nur durch eine eindrucksvolle Vita, sondern auch durch grosse Versprechen punkten.

Hüffer sieht hier Analogien zum Verlieben – im Zweifelsfall könne in der subjektiven Wahrnehmung selbst das grösste Ekel temporär zum Traummann werden. Viele Kandidaten für Spitzenpositionen verfügen über ausgezeichnete Fähigkeiten, ihr Gegenüber aktiv zu manipulieren. Im Kern gehört dies allerdings zum Spiel – problematisch wird es dann, wenn sich die Entscheider willig blenden lassen.

Personalauswahl für die Chefetage – oft subjektiv und netzwerkorientiert

Viele Entscheider beschäftigen sich aus Hüffers Sicht bei der Auswahl der Kandidaten für eine Spitzenposition viel zu wenig mit „Sache und Person“. Die Personalabteilung hat vielleicht eine hochkarätige Kandidatenliste mit verschiedenen Optionen vorgelegt – die allerdings den Entscheider nur wenig interessiert. Stattdessen konsultiert er sein persönliches Netzwerk, holt sich Empfehlungen von Freunden oder anderen Unternehmen ein und trifft seine Entscheidung letztendlich auf dieser Basis.

Ob der neue Manager zum Unternehmen, seiner Kultur und seinem strategischen Programm kompatibel ist, bleibt dabei aussen vor. Hüffer definiert diese Praxis explizit als Arroganz: Diejenigen, die der über die Besetzung von Spitzen-Positionen entscheiden, sind selbst bereits ganz oben angekommen. Von ihren Mitarbeitern halten sie oft wenig, dafür haben sie eine hohe Meinung von sich selbst und interessieren sich ausschliesslich für die Sichtweise gleich- oder höherrangiger Personen.

Hier liegt ein möglicher Grund, warum selbst mehrfach gescheiterte Firmenlenker immer wieder in den Chefetagen landen. In die Netzwerke der Top-Entscheider sind sie seit langem verlässlich integriert und stehen sozusagen unter Artenschutz.

Hüffer vermutet hier auch eine Art Personenkult: Wenn ein Manager in einem bestimmten Bereich gut ist oder es einmal war, nehmen die Kollegen an, dass er in nahezu jeder Hinsicht gut ist. Das Schicksal des Unternehmens interessiert sie dagegen, wenn überhaupt, erst in zweiter Linie. Der Top-Executive-Experte hat bereits erlebt, dass jemand auf eine Spitzenposition berufen wurde, nachdem er seinen Chef beim Golf geschlagen hatte, hofft allerdings, dass sich diese Mentalität angesichts gravierender Managementfehler in mehr als einem Unternehmen zumindest perspektivisch ändert.


Viele Topmanager interessieren sich bei Personalentscheidungen nicht für die Meinung der Personalabteilung. (Bild: Zsolnai Gergely – Fotolia.com)


Auch Headhuntern stellt Hüffer ein eher schlechtes Zeugnis aus. Manche Personalberater seien vor allem „gute Märchenerzähler“, denen die Entscheider jedoch trotzdem Glauben schenken. In der Regel leben Headhunter – ebenso wie Makler – von Provisionen, die sich an den Jahresgehältern der schließlich eingestellten Kandidaten orientieren.

Also empfehlen sie ihren Mandanten oft den teuersten Kandidaten als die wirklich optimale Wahl – und erschweren damit eine Führungskräfte-Auswahl, die sich an den Unternehmensinteressen orientiert. Natürlich betrifft diese Fundamentalkritik nicht die gesamte Branche. Neben vorrangig umsatzorientierten „schwarzen Schafen“ gibt es auch viele seriöse Personalberater, die ihre Auftraggebern bei der Personalauswahl nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen.

Top Executive Assessment – faktenbasierte Entscheidungsfindung sowie „Selbstkontrolle“

Für ihr Top-Management wünschen sich die Firmen natürlich Persönlichkeiten, die unternehmerisch denken sowie kreativ und innovativ sind. Die Crux dabei: Aus solchen Worthülsen und entsprechend formulierten Profilen lässt sich für die Besetzung einer konkreten Position so gut wie nichts entnehmen. Wichtig wären stattdessen konkrete Anforderungen und Ziele: Welche Probleme hat der neue Manager zu lösen? Welche strategischen Vorstellungen verbindet das Unternehmen mit seiner Führung.

Welche Persönlichkeitseigenschaften sind dafür nötig. Hüffer betont in diesem Kontext, dass sich Persönlichkeitseigenschaften ebenso wie die Fähigkeit zu unternehmerischem Handeln ausschliesslich auf der Verhaltensebene identifizieren lassen. Auch ein Blick zur Konkurrenz kann hilfreich sein, um einen Bewerber zu bewerten – wie performt dessen Rivale in einem anderen Unternehmen auf einer identischen Position?

Letztendlich geht es darum, ob und wie sich die Führungs- und Persönlichkeitseigenschaften von Top-Managern objektiv bewerten lassen. Hüffer plädiert dafür, auch diesen Personenkreis in einem Executive Assessment zu prüfen und mit anderen zu vergleichen. Das Instrumentarium für eine faktenbasierte Personalauswahl von Top-Entscheidern kennt und beherrscht er durch seine eigene Tätigkeit seit vielen Jahren, einen großen Teil davon hat er selbst entwickelt.

Ein Top-Executive-Assessment-Programm beinhaltet Persönlichkeitstests, ein strukturiertes Interview, eine Fallstudie, Tests zum zahlenlogischen Verständnis sowie eine Präsentation zur eigenen beruflichen Entwicklung. Die Bewertenden gewinnen damit Informationen zum individuellen Leistungsoptimum, Stärken und präferierten Arbeitsfeldern der Bewerber. Die Testergebnisse können anschliessend mit Lebenslauf und Leistungsausweis des Kandidaten sowie der Situation der Branche und der jeweiligen Firma abgeglichen werde.

Dass sich die Top-Manager gegen ein solches Executive Assessment sperren, müssen die Unternehmen Hüffers Erfahrung nach übrigens nicht befürchten – wichtig sei, dass von Anfang an klar ist, dass das Assessment zum Auswahlverfahren gehört und dass die Zusammenarbeit von Fairness und Respekt getragen ist. Viele Manager sind für eine solche Praxis sogar dankbar und empfinden das persönliche Assessment als eine Gelegenheit zur „Selbstkontrolle“.

 

Oberstes Bild: © auremar – Fotolia.com

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