B2B-Marktforschung - heterogenes Arbeitsfeld mit toughem Anforderungsprofil

Der österreichische Marktforscher, Dozent und Buchautor Holger Sicking beschäftigt sich auf dem Informationsportal „marktforschung.de“ mit neuen Herausforderungen an die B2B-Marktforschung. Grundsätzlich gilt: Hinter B2B-Research verbirgt sich ein sehr heterogenes, oft stark individualisiertes Arbeitsfeld mit neuen und komplexen Anforderungsprofilen.

Wer an Marktforschung denkt, hat dabei gewöhnlich vor allem die Consumer-Marktforschung (B2C) im Blick. Produktentwicklung, Preismanagement und Markenbildung sowie entsprechende Analysen sind aus dieser recht omnipräsenten Sicht auf die Bedürfnisse und das Verhalten privater Konsumenten fokussiert. B2B-Kunden gelten dagegen oft als „blinder Fleck“, der durch Marktforschung zudem nur schwer erreichbar ist.

Die B2B-Zielgruppen – Industrie- und Handelsunternehmen, öffentliche Institutionen, aber auch Landwirte oder Freiberufler – sind sowohl in ihren Anforderungen als Auftraggeber als auch als Analysegegenstand deutlich heterogener als der klassische B2C-Bereich. Zudem lassen sich Erfahrungen und Methoden aus der Consumer-Marktforschung nur bedingt auf das B2B-Segment respektive die Industrie- oder Investitionsgütermarktforschung übertragen.

Ein wesentlicher Unterschied zu privaten Konsumenten liegt laut Holger Sicking in der fehlenden Autonomie beim Ausgabenverhalten: Ein Einkäufer in einem Wirtschaftsunternehmen kauft oder spart nicht aufgrund seiner privaten Ratio, sondern legt seinen Entscheidungen unternehmensbezogene und betriebswirtschaftliche Zielsetzungen zugrunde. Trotzdem geht der Experte davon aus, dass sich die zentralen „Erhebungstatbestände“ in der B2B-Marktforschung nicht wesentlich von der Consumer Research unterscheiden – der Unterschied liegt aus seiner Sicht vor allem in einem höheren Abstraktions- und Individualisierungsgrad von Research-Fragestellungen. Als Arbeitsfelder von sehr hoher Relevanz im B2B-Segment definiert Sicking die folgenden Bereiche:

B2B-Kaufverhaltensforschung – von „objektiven Prozessen“ zu menschlichem Verhalten

Der bisher vorherrschende Blick auf die Einkaufsroutinen von Unternehmen zielte in erster Linie auf die Professionalisierung von entsprechenden Prozessen. Der Ausgangspunkt von Auftraggebern und Researchern lief im Kern darauf hinaus, dass den unternehmensinternen Prozessen für Einkauf und Beschaffung rein objektive Massstäbe zugrunde liegen. Heute findet in der B2B-Kaufverhaltensforschung jedoch wie in vielen anderen – und nicht nur Research-bezogenen – Arbeitsfeldern ein Paradigmenwechsel statt: Der Mensch als handelndes Subjekt rückt stärker in den Mittelpunkt. Für die B2B-Marktforschung bedeutet dieser Wandel, dass die zu analysierenden Prozesse deutlich komplexer werden, das Informations- und Entscheidungsverhalten von Einkäufern, Controllern und anderen Entscheidungsträgern nimmt darin künftig eine prominente Rolle ein.

Markttransparenz – „Market Intelligence“ statt Panel-Forschung

Marktpotenzial-Analysen – also die Frage nach Marktgrössen, Entwicklungsperspektiven und der Position der Wettbewerber – besitzen in der Consumer-Marktforschung sehr hohe Relevanz, die grundlegenden Fragestellungen im B2B-Segment sind weitgehend identisch. Anders sieht es jedoch bei der Erhebungsmethodik aus: Im B2C-Bereich kommen in diesem Arbeitsfeld vorrangig Handels- und Verbraucher-Panels (AC Nielsen, GfK) zum Einsatz, ein solcher Ansatz ist im B2B-Segment unmöglich. B2B-Research wird hier explizit zu „Market Intelligence“, die verschiedene externe Datenquellen – von volkswirtschaftlichen Analysen über die Auswertung von Branchendiensten bis zu Firmenpublikationen und der Erschliessung von individuellem Expertenwissen – sichtet und auf dieser Basis valide Einschätzungen und Prognosen für die Anforderungen des jeweiligen Unternehmens liefert. Das Internet hat in den letzten Jahren die Möglichkeiten dafür im Übrigen enorm verbessert.


Die Fragebögen haben sich geändert – Marktforschung bedeutet heute, den Menschen in den MIttelpunkt zu stellen. (Bild: Marco2811 – Fotolia.com)


Distributions- und Preisforschung – mit jeweils firmenbezogenem Ansatz?

Auf klassische Distributionsketten wie beispielsweise im FMCG-Geschäft werden Marktforscher im B2B-Segment vergleichsweise selten treffen. Die meisten Unternehmen vertreiben ihre Angebote – vor allem, wenn es dabei um teure, erklärungsbedürftige Produkte und Dienstleistungen geht – über individuelle Kundenkontakte und folglich im Direktvertrieb. Zum Teil sind sie dafür sogar in konkrete Planungsprozesse auf Kundenseite einbezogen. Die wesentlichen Fragen – Wie möchten Kunden ihre Waren beziehen? Welche Serviceleistungen erwarten sie? … – sind mit dem B2C-Bereich zwar deckungsgleich. Ein praktikables analytisches Instrumentarium dafür lässt sich für B2B jedoch meist nur auf individueller Basis definieren.

Die Frage nach dem optimalen Preis, nach Preisschwellen und Preis-Absatz-Funktionen für die B2B Produkt-Portfolios von Unternehmen sind in der Industriemarktforschung genauso wichtig wie im Geschäft mit privaten Konsumenten. Allerdings definieren sich die zu analysierenden Dimensionen hier in einem deutlich grösseren Spektrum. Die Unternehmen bieten ihren Business-Kunden sehr unterschiedliche Zahlungsmodalitäten an, zudem spielen Rabatte und inkludierte Zusatz-Services bei B2B-Geschäften eine sehr viel grössere Rolle. Generell gilt, dass Preise hier sehr viel stärker verhandelbar sind als im B2C-Segment und Transparenz durch die verschiedenen firmeninternen Rabattsysteme kaum gegeben. B2B-Preisforschung ist vor diesem Hintergrund mit grossen Herausforderungen verbunden, die individuelle – Firmen- oder bestenfalls branchenbezogene – Lösungen erfordern.

Neue Herausforderungen für B2B-Research

Weitere Research-Felder, in denen sich das Methoden-Arsenal der Industriemarktforscher noch in einem vergleichsweise frühen Entwicklungsstadium befindet, sind unter anderem Werbewirkungsforschung sowie Markenforschung (Industriemarken-Positionierung, Markenstärke, Imagepflege). Bei den Unternehmen als potenziellen Studien-Initiatoren ist die grundlegende Botschaft inzwischen jedoch angekommen: Auch in der B2B-Marktforschung geht es primär um Menschen mit ihren sehr spezifischen Anforderungen und Motiven und damit um eine vergleichsweise neue Sicht auf Kundenwünsche und Prozesse. Zudem gewinnt explizites Marketing auch im B2B-Bereich an Relevanz. Als Konsequenz daraus zeigen auch Branchen, in denen Marktforschung bisher so gut wie keine Rolle spielte – beispielsweise das Baugewerbe – heute wachsende Offenheit für neue methodische Konzepte und beginnen, der spezifischen Expertise von Marktforschern stärker zu vertrauen. Auf die Researcher selbst kommen damit allerdings völlig neue Anforderungsprofile zu, Holger Sicking benennt auch hier einige wesentliche Punkte:

  • Bei den Ergebnissen geht es meist weniger um statistische Durchschnittswerte als vielmehr um Einzelinformationen, beispielsweise um die Frage, welche Unternehmen potentielle Käufer einer neuen Produktionsanlage sind, wer dort die Kaufentscheidung fällen und welcher Personenkreis diesen Entscheidungsprozess beeinflusst. Im Übrigen ergeben sich aus solchen Fragestellungen für B2B-Marktforscher auch völlig neue Probleme im Hinblick auf Anonymität und Datenschutz.
  • Die strengen Kriterien für die Stichprobenbestimmung im B2C-Bereich verlieren für die Industriemarktforschung an Bedeutung – Industriemarktforschung ist in der Regel keine Massenforschung. Zum Teil sind hier auch Vollerhebungen möglich, die in der Consumer Research so gut wie ausgeschlossen sind.
  • Die Zielgruppen sind schlechter zu erreichen und weniger auskunftsbereit als private Konsumenten, zumal die abgefragten Informationen im Unternehmenskontext oft sensibel sind.
  • Respondenten könnten trotz grundsätzlicher Gesprächsbereitschaft befürchten, dass die Studie im Auftrag der Konkurrenz erhoben wird, was einen Einfluss auf die Validität von Daten und Informationen hat.
  • Interviewer müssen die Befragungsinhalte sehr gut kennen und in der Lage sein, mit den Befragten ein echtes – und fundiertes – Fachgespräch zu führen. Auch die Validität der erhobenen Daten wird deutlich stärker durch die Branchenqualifikation der Interviewer/Marktforscher beeinflusst.
  • Online-Befragungen spielen anders als im B2C-Segment in der Industriemarktforschung bisher kaum eine Rolle. B2B-Online-Panels sind bisher kaum vorhanden, bei E-Mail-Questionnaires sind die Rücklauf-Quoten sehr gering.

 

Oberstes Bild: © Maksim Kabakou – Fotolia.com

jQuery(document).ready(function(){if(jQuery.fn.gslider) {jQuery('.g-22').gslider({groupid:22,speed:10000,repeat_impressions:'Y'});}});