Wie geht es eigentlich dem Schweizer Mittelstand? Teil 1

Ein starker Mittelstand gilt als ein Garant für wirtschaftliche Prosperität und politische Stabilität in einer gegebenen Gesellschaft. Auch in der Schweiz bildet er seit Jahrzehnten das „soziale Rückgrat“. Allerdings mehren sich hierzulande wie in vielen anderen Ländern – trotz im internationalen Vergleich hoher Einkommen und positiven Prognosen für die Schweizer Wirtschaftsleistung – Ängste vor einer Erosion des Mittelstandes und sozialem Abstieg.

Wie begründet diese Sorgen sind, untersucht die „Neue Zürcher Zeitung“ in einem Artikel, der sich wesentlichen ökonomischen und sozialen Eckdaten des Schweizer Mittelstandes widmet. In vielen Bereichen gibt sein Autor – der NZZ-Journalist Matthias Müller – jedenfalls aus heutiger Sicht Entwarnung. Trotzdem zieht Müller ein ambivalentes Fazit: Trotz des insgesamt positiven Bildes ist die Gefahr des Niedergangs des Mittelstandes und einer tendenziellen Spaltung der Gesellschaft auch für die Eidgenossen virulenter, als es in der öffentlichen Debatte wahrgenommen wird.


Dies ist ein Bericht in zwei Teilen:

– Teil 1: Die Globalisierung treibt soziale Abstiegsängste an
– Teil 2: Gute Qualifikation sorgt für die Stabilität des Mittelstandes


Begriffsverwirrung um den Mittelstand

Die weitaus meisten Schweizer definieren sich über ihre Zugehörigkeit zum Mittelstand. Im Einzelfall mag es bei vielen hier auch um etwas Understatement gehen – zumindest in ihren öffentlichen Äusserungen werden Schweizer eher vermeiden, sich zur Oberschicht zu zählen. Zur Unterschicht will sicher niemand gern gehören – wer gibt schon gerne zu, dass seine Lebensumstände prekär sind oder kurz davor stehen, es zu werden. Die Frage ist allerdings, welche sozialen Gruppen aus einer objektiven Perspektive zum Mittelstand gerechnet werden können.
In diesem Bereich herrscht einige Begriffsverwirrung: Die Ökonomie definiert Begriff und Zugehörigkeit primär über die Einkommensverteilung. Dieser Definition liegt die Idee zugrunde, dass Angehörige des Mittelstands in den entwickelten Ländern mit ihrem Einkommen gut und unabhängig leben, die Hilfen des Sozialstaates nicht brauchen, in einem gewissen Masse Eigentum – beispielsweise das eigene Auto, eine Eigentumswohnung oder ein Haus – erwerben und auch ihren Nachkommen einen materiell positiven Start ins Leben bieten können. Das durch Avenir Suisse publizierte Buch von Daniel Müller-Jentsch „Der strapazierte Mittelstand“ weist dieser sozialen Schicht bestimmte Berufskarrieren – Facharbeiter, Angestellte oder Kleinunternehmer – sowie bestimmte Bildungswege zu. Noch komplizierter wird es, wenn wir einmal über unsere Grenzen schauen. Deutsche verstehen unter dem „Mittelstand“ vor allem mittelständische Unternehmer, in sozialer Hinsicht sprechen sie dagegen eher von der „Mittelschicht“.

Globalisierung bedroht den Mittelstand der industrialisierten Länder

Fakt ist: Diese bisher eher gut situierte soziale Schicht ist in den vergangenen Jahren in den industrialisierten Ländern immer stärker unter Druck geraten, was sich unter anderem in zunehmenden sozialen Abstiegsängsten äussert. Die befürchtete Richtung wird von bestimmten Entwicklungen in den „unteren“ Bereichen der Gesellschaft vorgegeben: Im Zuge der Globalisierung und der fortschreitenden Auslagerung von einfachen, arbeitsintensiven Produktionsabläufen in Niedriglohnländer verloren bisher vor allem gering qualifizierte Arbeitnehmer in immer grösserem Umfang ihre Jobs. Inzwischen erreichen derartige Szenarien jedoch auch den Mittelstand. In vielen Schwellenländern existiert inzwischen ein Reservoir gut ausgebildeter Arbeitskräfte, die für vergleichsweise wenig Lohn auch anspruchsvolle und komplexe Tätigkeiten – beispielsweise Buchhaltungs- oder Programmieraufgaben – übernehmen. Die technische Basis dafür ist durch die modernen Kommunikationstechnologien gegeben. Damit ist auch die Konkurrenz von qualifizierten Arbeitnehmern endgültig global geworden. Während in den aufstrebenden Volkswirtschaften breite Bevölkerungsschichten von der Globalisierung profitieren, nimmt in den westlichen Gesellschaften die Angst vor den negativen Folgen der neuen globalen Arbeitsteilung zu.


Auch in der Schweiz sind die Debatten um die Aufstiegshoffnungen und Abstiegsängste seit Jahren relevant. (Bild: Lledo / Shutterstock.com)
Auch in der Schweiz sind die Debatten um die Aufstiegshoffnungen und Abstiegsängste seit Jahren relevant. (Bild: Lledo / Shutterstock.com)


Der Schweizer Arbeitsmarkt: Bis auf Weiteres entspannt

Zurück zur Schweiz: Die Debatten um die Aufstiegshoffnungen und Abstiegsängste sind seit Jahren auch hierzulande relevant. Selbst das Bundesamt für Statistik (BfS), das sich mit eigenen Wertungen sonst eher zurückhält, warnte in seiner Publikation „Die ‚Mitte’ im Fokus“, dass die mittleren Einkommensgruppen staatstragende Funktionen hätten und aus ihrer Schwächung Gefahren für den Wohlstand und den sozialen Frieden resultieren. Einen ersten Hinweis auf die Befindlichkeit des Schweizer Mittelstandes liefern die Arbeitsmarktstatistiken der letzten Jahre. Im internationalen Vergleich konnte sich die Schweiz hier bisher aussergewöhnlich gut behaupten. Wie in anderen entwickelten Ländern gilt auf dem Schweizer Arbeitsmarkt die Regel, dass die Erwerbstätigen mit der besten Qualifikation auch die besten Chancen haben. Im vergangenen Jahr lag die durchschnittliche Erwerbslosenquote in der Schweiz bei 4,4 %.

Gut Qualifizierte haben auf dem Arbeitsmarkt die besseren Chancen

Überdurchschnittlich oft arbeitslos waren jedoch Personen, die nur einen Bildungsabschluss der Sekundarstufe I oder weniger hatten – ihre Erwerbslosigkeit lag 2013 bei knapp acht %. Von den Erwerbstätigen mit einem Abschluss der Sekundärstufe II, zu denen vor allem die Absolventen einer Berufslehre zählen, waren nur 4,3 % arbeitslos. Unter Hochschulabsolventen weist Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (Sake) – eine Studie des BfS – dagegen nur drei % Arbeitslose aus. In anderen Volkswirtschaften hat der Mittelstand deutlich grössere Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Beispielsweise liegt die Arbeitslosenquote in Frankreich aktuell bei 10,3 % – mit im Vergleich zum Vorjahr stark steigender Tendenz.

Schweizer Arbeitnehmer belegen im internationalen Vergleich sowohl im Hinblick auf ihre Beschäftigungschancen und ihr Lohnniveau einen Spitzenplatz. Erst in diesem Jahr hat eine OECD-Studie nachgewiesen, dass die Schweiz im Hinblick auf das Einkommen ihrer Bürger nach Norwegen und Luxemburg unter allen OECD-Staaten den dritten Rang belegt.

Deutlich wird angesichts der Arbeitslosenzahlen und einiger anderer Statistiken, die wir in einem zweiten Teil besprechen: Dem Schweizer Mittelstand geht es der Tendenz nach gut – auch wenn sein unterer Rand zum Teil heute stärker unter Druck gerät.

 

Oberstes Bild: © SSokolov – Shutterstock.com

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