Tens – die Welt wie Instagram erleben

Man muss nicht jedes Mal ein Erfinder sein um einen kurzzeitigen, aber phänomenalen Geschäftserfolg zu haben. Häufig reicht das Kombinieren von wenigen altbekannten Elementen, um ein neues, äusserst marktfähiges Produkt zu generieren.

Der Sommer steht vor der Tür, was neben Hose, Hemd und Schuh stets auch bei einem anderen Accessoire für ständige Innovationen und Modetrends sorgt. Die Rede ist von der in der heissen Jahreszeit unverzichtbaren Sonnenbrille.

Diese ist seit Jahrzehnten kein reines Funktionsprodukt zur Schonung der Augen mehr. Sie ist vielmehr ein Accessoire zur Demonstration der Teilnahme am Zeitgeist. Den endgültigen Durchbruch als stilgebendes Produkt hatte die Sonnenbrille vor ca. 30 Jahren.

Die Ü40-Generation wird sich mit Sicherheit noch an die in den 1980ern sehr populäre Krimiserie „Miami Vice“ erinnern. Neben coolen Polizisten, teuren Sportwagen und schönen Frauen hatte diese noch einen weiteren heimlichen Hauptdarsteller: die Ray-Ban, eine in jenen Tagen äusserst angesagte Sonnenbrille, welche bald zum Markenzeichen ultimativer Coolness avancierte. Sie war aber auch eines der ersten Produkte, welche begeistert von Fälscherwerkstätten rund um den Globus kopiert wurden.

So gab es in allen europäischen Städten und an den Stränden dieser Zeit bald kein Gesicht mehr, welches nicht durch eine Ray-Ban – oder eine billige Kopie – verziert wurde. Der durch Don Johnson alias Sonny Crockett initiierte Hype um diese Brille fand schliesslich im legendären „Isch Kuhl Man“ Werbespot eines Schokoladenherstellers seinen Höhepunkt. Und tatsächlich: Selbst ein bärtiger Alm-Öhi bekam durch das Aufsetzen dieses Trendprodukts eine humorvolle, aber dennoch ansprechende Wirkung.

Die Mode der Sonnenbrillen wurde durch die Ray-Ban erst richtig gezündet. Waren in den 1970ern vor allem die verspiegelten Pilotenbrillen der letzte Schrei, hat sich seit den 1990ern ein echtes Feuerwerk an Designs rund um das Nasenfahrrad gegen starken Sonnenschein gebildet. Dies trieb zuletzt eher skurrile Auswüchse. Die von der Hollywoodprominenz etablierten und von der internationalen Jugend begeistert aufgenommenen D+G-Interpretationen der Blendschutzhelfer hatten eine starke Puck-die-Stubenfliege-Attitüde.


Nun kommt wieder eine neue Sonnenbrille auf den Markt, die das Zeug hat, den Sommer im Sturm zu erobern. (Bild: mazura1989 / Shutterstock.com)
Nun kommt wieder eine neue Sonnenbrille auf den Markt, die das Zeug hat, den Sommer im Sturm zu erobern. (Bild: mazura1989 / Shutterstock.com)


Nun kommt wieder eine neue Sonnenbrille auf den Markt, die das Zeug hat, den Sommer im Sturm zu erobern. Dabei ist sie im Design gar nicht mal so spektakulär. Ein Kunststoffgestell mit eher mittelgrossen Gläsern, lieferbar in vier verschiedenen Farbtönen, das war´s auch schon mit der „Tens“. So heisst die neue Brille, um die bereits in den sozialen Medien ein heisser Wind weht. Ihr Geheimnis liegt jedoch in ihrer Funktion.

Im Gegensatz zur schauwertsteigernden Wirkung der vorangegangenen D+G-Libellenaugen, haben die jungen Tens-Entwickler das Sehen und nicht das Gesehenwerden in den Fokus ihrer Entwicklung gestellt. Als Inspiration dienten ihnen die zahllosen auf Facebook, Twitter und Co. geposteten Bilder, welche mit dem charakteristischen „Instagram“-Filter bearbeitet wurden. Dieser verleiht Fotos eine besonders kontrastreiche und dramatische Atmosphäre.

Die Wirkung dieser Bilder ist besonders intensiv und hebt die Kunst amateurhaft erzeugter Fotografien auf ein neues Niveau. Die Welt um sich herum nun jederzeit – zumindest tagsüber – in dieser Dramatik erleben zu können, war die Idee der Entwickler der Tens. „Die Welt zehnmal besser aussehen lassen“ lautet der Marketingkern dieses Start-ups.

Dies scheint, zumindest den Aussagen der bisherigen Testkäufer nach zu urteilen, auch absolut zu gelingen. Obwohl es nur der professionell produzierte Werbefilm für das Produkt ist, scheint das Grinsen ins Gesicht der Darsteller nur so eingemeisselt zu sein. Mit 60 Dollar oder 54 Franken liegt die Tens in einer bezahlbaren Range für ein Trendprodukt. Versand- wie Einzelhandel scharren bereits ungeduldig mit den Füssen, um die Tens ins Programm aufnehmen zu können.

Die Tens ist ein typisches Beispiel dafür, was mit modernen Mitteln möglich ist. Vor allem das soziale Marketing hat mit diesem Produkt seine durchschlagende Kraft gezeigt. Finanziert wurde das Tens-Projekt nämlich keineswegs durch eine Bank. Bei dem Gespräch wäre man gerne Zeuge gewesen, wenn zwei junge, unbekannte Tüftler einen Kredit über Tausende Franken für ein äusserst erklärungsbedürftiges Produkt erhalten möchten.

Aber das 21. Jahrhundert bietet eben andere Wege. Die Crowdfunding-Plattform Indiegogo war Geburtshelfer für dieses Projekt. Knapp 10’000 Britische Pfund wurden benötigt. Über 180’000 Pfund wurden in Form von Vorbestellungen generiert. Da kann man nur sagen: Hut ab!

Besonders pikant wird der sich abzeichnende durchschlagende Erfolg der Tens, wenn man bedenkt, dass ein deutscher Designer eigentlich schon 2012 ein ähnliches und besseres Produkt in petto hatte. Die vom Berliner Markus Gehrke entwickelte „Instaglasses“ hatten neben Filtern für die gleiche Funktion wie die Tens ein wirklich interessantes Design und zudem eine eingebaute Kamera.

Doch wie so häufig konnten die Deutschen zwar hervorragend Produkte entwickeln, beim gekonnten Marketing verliess sie aber der Mut und das Geschick. Anders ist es kaum zu erklären, dass die Welt vorwiegend mit deutschen Erfindungen betrieben, das Geld damit jedoch hauptsächlich andernorts verdient wird.

Vielleicht ändert die Tens etwas an der Angst vor der eigenen Courage, welche im deutschsprachigen Raum so manchen Tüftler von der Präsentation seiner Idee abhält. Quasi aus dem Nichts ein Produkt zu erschaffen, das einen über Nacht zum Millionär werden lässt – eigentlich war es nie so einfach wie heute.

 

Oberstes Bild: © Busyok Creative – Shutterstock.com

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