Sanktionen gegen Russland? Die Schweiz hält sich zurück

Die Entscheidung des Bundesrates von Ende März ist eindeutig: Es wird wegen der Ukraine-Krise vorerst keine expliziten und singulären Sanktionen der Schweiz gegen Russland geben. Das Land grenzt sich damit von den getroffenen Massnahmen der EU und der Vereinigten Staaten ab und beschreitet eigene Wege.

Allerdings hat der Bundesrat in seinem Communiqué auch klargestellt, dass die Regierung alles tun werde, um eine Umgehung der Sanktionen durch einzelne russische Staatsbürger oder Unternehmen via Schweizer Staatsgebiet zu verhindern. Ausserdem seien alle Einschränkungen, die die EU im Rahmen des Schengener Abkommens beschlossen hat, auch in der Schweiz anzuwenden. Dieses Abkommen hat die Schweiz bekanntlich mit unterschrieben. Ebenso behalte man sich je nach der weiteren Entwicklung der Lage vor, die bisher von USA und EU verhängten Strafmassnahmen gegen Russland ganz oder teilweise anzuwenden.

Die Gründe für die Zurückhaltung der Regierung sind in mehreren – politischen und ökonomischen – Bereichen zu suchen. Zum einen pocht die Schweiz auf ihre seit jeher angestammte Neutralität. Bisher hat sich das Land stets nur an internationalen Aktionen beteiligt, die von der UNO abgesegnet waren. Dies wird wegen Russlands Vetorecht im Sicherheitsrat aber bezüglich der Ukraine nicht passieren. Darüber hinaus hat die Schweiz zur Zeit die Präsidentschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) inne, was zusätzlich eine neutrale und bedachtsame Haltung in der Krise um Ukraine und Krim erfordert.

Zum anderen spielt die wirtschaftliche Verbandelung zwischen der Eidgenossenschaft und Russland eine höchst wichtige Rolle bei der Entscheidung des Bundesrates. Immerhin wickelt der östliche Partner 80 Prozent seines Rohölhandels hier ab – und dies ist nur ein einzelner bedeutender Faktor der ökonomischen Zusammenarbeit. Letztere wird übrigens nicht so sehr an der bilateralen Handelsbilanz deutlich, sondern an der immensen Präsenz der Russen. Über 20 der wichtigsten Oligarchen haben ihren Wohnsitz in oder ein enges geschäftliches Verhältnis mit der Schweiz – darunter allerdings auch zwei, die auf den europäischen und amerikanischen Sanktionslisten stehen.

Eine kürzlich erschienene Studie deckt auf, dass mehr als 2’000 russische Staatsbürger Positionen als Inhaber, Geschäftsführer, Verwaltungsrat oder Prokurist in Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz bekleiden. Russisches Kader gibt es in insgesamt 1’800 Firmen, hauptsächlich aus den Branchen Rohstoffe, Finanzdienstleistungen und verbundenen Zweigen wie Unternehmensberatungen oder Grosshandel. Diese intensiven Verflechtungen bilden für die Schweiz ein nicht zu unterschätzendes Klumpenrisiko. Zwar gibt es noch keine Hinweise auf negative Auswirkungen der derzeitigen Sanktionen. Sollten EU und USA allerdings ihre Strafmassnahmen verschärfen, hätte das erhebliche Konsequenzen für die Wirtschaft bzw. für den Standort als Zentrum internationaler Vermögensverwaltung. Dann könnte die Eidgenossenschaft schnell zwischen allen Stühlen sitzen.

Insgesamt leben rund 13’000 Russinnen und Russen im Land, das entspricht 0,16 Prozent der Bevölkerung. Viele von ihnen arbeiten als ausgewiesene Spezialisten in ihren Bereichen, was dadurch ermöglicht wird, dass Russland kein EU-Mitglied ist. Auch Firmengründer mit ausreichend Kapital können sich in der Regel problemlos niederlassen. Die meisten russischen Staatsbürger haben einen akademischen Abschluss und sind in der Schweiz in hohen und höchsten Führungsgremien tätig – damit ist die Elite des Landes hier gut bis sehr gut vertreten.


Schon jetzt steht aber fest, dass die von den europäischen Sanktionen betroffenen Russen keine neuen Kundenbeziehungen zu Schweizer Banken aufbauen können. (Bild: Pincasso / Shutterstock.com)


Schon jetzt steht aber fest, dass die von den europäischen Sanktionen betroffenen Russen keine neuen Kundenbeziehungen zu Schweizer Banken aufbauen können. Haben sie bereits ein Konto, dürfen sie es allerdings weiterhin behalten, so ein Kenner der Bundesverwaltung. Der Bundesrat hofft, dass die Schweiz mit ihrem Beschluss als Vermittler und Moderator in der Ukraine-Krise im Spiel bleibt.

Jedenfalls sucht sie im Zuge der OSZE-Präsidentschaft oder auch auf dem kürzlich in Den Haag abgehaltenen Atom-Gipfel den Dialog mit allen involvierten Staaten, auch und natürlich mit Russland. Versuche der Deeskalation sind der einzige Weg für die Eidgenossenschaft, ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen in der Zusammenarbeit mit Russland, aber auch mit den westlichen Verbündeten in der Waage zu halten.

Trotz Dialogbereitschaft und Sanktionsverzicht wird das russische Vorgehen in der Ukraine vom Bundesrat in aller Schärfe verurteilt. Die Annexion der Krim verstosse eindeutig gegen internationales Recht sowie völkerrechtliche Verträge und gültige Prinzipien. Eine kleine Pikanterie am Rande: Die Schweiz und Russland wollten in diesem Jahr eigentlich ein besonderes Jubiläum feiern, nämlich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 200 Jahren.

Der Bundespräsident hat zu diesem Anlass noch keine abschliessende Entscheidung getroffen, will aber nicht um der alleinigen Beziehungspflege nach Russland reisen. Eine Reise und einen offiziellen Besuch bei Präsident Wladimir Putin werde es nur geben, wenn die Chance besteht, den Dialog bezüglich der Ukraine-Krise aufrecht zu erhalten. Die Schweizer Regierung will die Tür für Gespräche jedenfalls nicht einseitig zuschlagen.

 

 

Oberstes Bild: © Peteri – Shutterstock.com

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hat Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert und ist zusätzlich ausgebildeter Mediendesigner im Segment Druck. Er schreibt seit über 30 Jahren belletristische Texte und seit rund zwei Jahrzehnten für Auftraggeber aus den unterschiedlichsten Branchen.

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