Schluss mit dem Wahnsinn – nicht jeder ist spitze!
von Olaf Hoffmann Allgemein Organisation
In einem solchen gesellschaftlichen Umfeld entwickelt sich eine allgemeine Grundhaltung, die davon ausgeht, dass immer nur die Besten gefragt sind. Es entsteht eine Art Leistungswahn, dem nur die gewachsen sind, die schon von klein auf an Leistung gewöhnt werden. Was aber wird aus den anderen?
Was bitteschön ist schon normal?
Normal ist, was gesellschaftlich akzeptiert wird. So viel als Grundsatz vorab. Bezogen auf die moderne Arbeitswelt bedeutet das, dass Spitzenkräfte ebenso normal sind wie einfache Arbeiter. Besserverdienende gehören genauso normal in eine Gesellschaft wie eher durchschnittlich bezahlte Arbeitskräfte. Männer und Frauen gleichermassen dürfen am Prozess der Wertschöpfung teilnehmen, und es gibt sehr gute, gute und schlechtere Schüler. Alles das ist normal.
Allerdings scheint diese Normalität zunehmend aus dem Fokus der Gesellschaft verdrängt zu werden. Verdrängt durch eine öffentliche Meinungsbildung, die davon ausgeht, dass möglichst jeder studieren müsse, wenn er etwas werden will. Verdrängt von der Erwartung von Unternehmern, nach denen jeder Beschäftigte ununterbrochen Spitzenleistungen erbringen muss. Verdrängt von Frauenqouten, Ausländerquoten, Freizügigkeit und, und, und.
In der Gesellschaft findet ein Verdrängungswettbewerb statt, der sich verheerend auf die Menschen selbst auswirkt. Dabei muss klar sein, dass die Spitze der Gesellschaft immer nur aus einzelnen wenigen Individuen bestehen kann (sonst wäre es ja keine Spitze), die breite Masse der Gesellschaft aber eher aus guten bis durchschnittlichen Zeitgenossen besteht und immer wieder auch eine Unterschicht da ist, die sich durch einen Mangel an Fähigkeiten und Fertigkeiten zur adäquaten Lebensgestaltung nach oben abgrenzt. Auch das ist normal.
Unternehmen brauchen die ganze Breite an Normalität
Wirtschaftlich erfolgreich agierende Unternehmen brauchen ein breites Spektrum an unterschiedlich ausgestatteten Mitarbeitern. Auch hier spiegelt sich die gesellschaftliche Realität wider. Da gibt es die Unternehmensspitze mit den Managern und Führungskräften, da ist die Gruppe der guten Mitarbeiter, die nicht selten mit besonderer Verantwortung ausgestattet sind. Und da ist die Masse der Arbeiter, die mit ihrer täglichen Arbeit massgeblich zum Unternehmenserfolg beiträgt.
Unternehmen, die immer nur die Besten der Besten haben wollen, werden schnell merken, dass ihnen die normalen fleissigen Arbeiter ausgehen, die letztlich die Aufgaben in der Produktion erfüllen müssen. Diese Wahrnehmung stellt nicht infrage, dass moderne Unternehmen Mitarbeiter mit einem hohen Wissen und Können brauchen. Aber eben jeden an seinem Platz.
Nicht überall im Betrieb müssen studierte Fachkräfte die Aufgaben wahrnehmen. Unabdingbar und wichtig sind auch die Facharbeiter und Hilfskräfte, ohne die so manches Unternehmen gar nicht funktionieren kann. Letztlich sind die hochqualifizierten Spezialisten doch nur die Basis dafür, dass eine durchgängig hochwertige Qualität der Leistungserbringung garantiert werden kann. Die eigentliche Leistung wird hingegen meist von normal begabten Mitarbeitern erbracht.
Stellen gezielt ausschreiben
Beschäftigt man sich mit Stellenausschreibungen in den unterschiedlichsten Medien, dann wird schnell klar, dass viele Personalverantwortliche mit völlig abwegigen Vorstellungen den ersten Schritt in der Mitarbeitersuche gehen.
In der Quintessenz so mancher Ausschreibungen werden Mitarbeiter gesucht, die 20 Jahre jung sind, einen anerkannten Studienabschluss vorweisen können, 30 Jahre Berufserfahrung mitbringen, jederzeit widerspruchslos flexibel einsetzbar sind und dafür möglichst wenig Geld haben wollen. Und das für ganz normale Stellen von Arbeitern in der Produktion. Hier werden absolut überzogene Vorstellungen erzeugt, die weitab von der Normalität des Lebens sind.
Wozu sollte ein Fliessbandarbeiter mit eher monotonen Arbeiten studiert haben? Woher soll ein 25-Jähriger die Lebens- und Arbeitserfahrung eines 50-Jährigen nehmen? Und warum sollten neue Mitarbeiter nicht auch mit normalen Arbeitszeiten und einem angemessenen Lohn „verwöhnt“ werden? Es gibt keine vernünftigen Gründe, warum nur noch die bestqualifizierten Männer und Frauen in einem Unternehmen beschäftigt sein sollten. Dann nämlich droht sogar der Zusammenbruch im produzierenden Bereich, weil dafür dann letztlich keine Mitarbeiter zur Verfügung stehen.
Befremdlichkeiten nehmen zu
Wenn ein Industrieunternehmen Fachkräfte für die Besetzung von Stellen in der Produktion sucht, müssen auch die Bewerbungsprozedere darauf abgestimmt sein. Die Ausbildungsergebnisse müssen hier zur ausgeschriebenen Stelle und der möglichen Entwicklung der Mitarbeiter passen. Mehr nicht. Für Fliessbandarbeiter im Schlachthof ist eine durchweg einwandfreie Rechtschreibung genauso wenig qualifizierend wie ein Studienabschluss im medizinischen Bereich. Hier braucht es eine Ausbildung im Lebensmittel verarbeitenden Gewerbe und vor allem die Fähigkeit, kräftig zuzupacken.
Was nützt einem Unternehmen eine makellose Bewerbung, wenn diese aus Angst vor einer Absage wegen einiger Rechtschreib- oder Formfehler nicht vom Bewerber selbst verfasst wurde? Rein gar nichts, da sie nicht die Kompetenz der Persönlichkeit widerspiegelt. Was nützt dem Unternehmen ein bereinigter Lebenslauf ohne Ecken und Kanten, nur weil der so besser wirkt? Ebenso nichts. Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit sollten besser anerkannt werden als ein nach aussen getragener Schein, der letztlich nichts mit der Realität zu tun hat.
Es wird Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Betrachtung von Leistung, Anspruch und Wirklichkeit. Nur so können die Unternehmen in einer Zukunft überleben, in der eben nicht ständig nur Spitze, sondern vor allem auch wieder normale menschliche Bedürfnisbefriedigung gefragt sein wird.
Oberstes Bild: Moderne Leistungsgesellschaft scheint einen wichtigen Aspekt des Lebens völlig ausser Acht zu lassen – die Normalität (Bild: Marko Tomicic / Shutterstock.com)