RAI eröffnet Zürcher Büro: ETH-Professor Marco Hutter über Robotik und KI
von belmedia redaktion Allgemein Europa News Studien Technologie
Bild: Marco Hutter steht zwischen zwei vierbeinigen Robotern
Am 15. September feierte das Robotics and AI Institute (RAI) in Zürich Oerlikon die Eröffnung der neuen Räumlichkeiten. Marco Hutter, ETH-Professor für Robotersysteme und Direktor des „RAI Institute Zurich“, spricht im Interview über die neuen Perspektiven, die das Forschungszentrum eröffnet, und wie es dazu kam.
Marco Hutter, Sie haben Ihr Pensum als Professor auf 50 % reduziert und sind neu 50 % als Leiter des Robotics and AI Institutes Zürich angestellt. Wie ist es dazu gekommen?
Ich wurde von Marc Raibert kontaktiert, dem Gründer von Boston Dynamics und Vater der modernen Laufrobotik.
Er verliess die Firma und plante in Boston ein neues, durch Hyundai finanziertes Forschungszentrum für Robotics und AI, das RAI Institute. Er wollte, dass ich bei RAI mitmache. Ich habe zugesagt – unter der Bedingung, dass wir etwas in Zürich aufbauen.
Nach Boston zu gehen hat Sie nicht gereizt?
Nein, mein Herz schlägt in der Schweiz. Und ich glaube, es ist eine gewaltige Chance für den Standort Zürich und die Schweiz, dass hier im Bereich der Robotik und künstliche Intelligenz etwas Grosses entsteht. So ging ich vor zwei Jahren während meines Sabbaticals in die USA und plante den Aufbau des Zürcher Büros von RAI.
Weshalb ist Marc Raibert auf den Vorschlag eingegangen?
Am RAI Institute wollen wir die Top-Talente der Forschung an der Schnittstelle von Robotik und künstlicher Intelligenz zusammenbringen, und da hat die ETH eine führende Rolle.
Auch unsere Forschungsgruppe hat sich speziell auf dem Gebiet der Laufrobotik und der Anwendung von Reinforcement Learning zur Fortbewegung einen Namen gemacht. Boston hat das MIT, Zürich die ETH – da passt es doch perfekt, dass ein Forschungsinstitut für Robotik an diesen beiden Top-Standorten zuhause ist.
Und was hat Sie an diesem neuen Job gereizt?
Das Institut bietet neue Möglichkeiten für unsere Forschung, aber auch Karrieremöglichkeiten für junge Forschende der ETH und der ganzen Welt. Es vereint die Vorteile der Forschung an einer Uni mit jenen bei einem Industrieunternehmen. Wir können erfahrene Forscherinnen und Forscher mit permanenten Verträgen zu marktgerechten Löhnen anstellen und so auch komplexe langfristige Forschungsprojekte durchführen.
Robotik ist bekanntlich sehr hardware-intensiv und braucht viel Engineering. Dafür steht uns beim RAI Institute ein grosses Team und die nötige Infrastruktur zur Verfügung.
Marco Hutter
Wie gross ist dieses Team?
Das ganze Institut hat heute weltweit mehr als 250 Mitarbeitende, in Zürich sind wir rund dreissig Personen, bald werden es fünfzig sein. Die beiden Standorte arbeiten speziell in der Infrastruktur stark zusammen: Wir haben beispielsweise eine Software-Gruppe, welche sich um die Infrastruktur für Machine Learning basierte Ansätze kümmert, und eine Hardware-Gruppe, welche die Roboter baut und wartet.
Das machen wir auch im Labor an der ETH, einfach in kleinerem Rahmen. An der ETH können wir Roboter nur bis zu einem bestimmten Reifegrad entwickeln. Im besten Fall können wir ein Start-up gründen, das beispielsweise wie ANYbotics die Roboter weiterentwickelt, die wir später als verbesserte Systeme wieder für Forschungszwecke einsetzen können.
Am RAI Institute haben wir die Möglichkeit, alles an einem Ort zu bündeln, von der Idee bis zur Umsetzung. Dank einem Rahmenvertrag, den wir mit der ETH abgeschlossen haben, eröffnen sich einzigartige Chancen für Forschende wie auch für Studierende.
Wenn Forschende beim RAI Institute mehr Möglichkeiten haben, konkurrieren Sie damit nicht die eigene Professur?
Wer ein klassisches Doktorat machen möchte, ist an der ETH am besten aufgehoben. Doch was kommt danach? Viele unserer Top-Doktorierenden, welche weiterhin Forschung im Bereich Robotik und AI bleiben wollen, wandern in die USA ab. Die letzten Jahre haben wir es geschafft, durch die Gründung von Startups einen Gegenpol dazu aufzubauen. Diese sind vom Jobprofil her ebenfalls sehr attraktiv.
Wer aber weiterhin Forschung betreiben wollte, musste eine akademische Karriere einschlagen oder die Schweiz verlassen. Nun bietet das RAI Institute Abgängerinnen und Abgängern in Zürich eine neue Zukunftsperspektive. Ich sehe also keine Konkurrenz, sondern etwas Komplementäres.
Doch Ihre Kapazitäten als Professor verringern sich um 50%. Hat dies nicht auch Auswirkungen auf die Anzahl Studierender, die Sie betreuen können?
Im vergangenen Jahr hat sich für die ETH nicht viel geändert – ich habe einfach mehr gearbeitet [lacht]. Mittlerweile ist mein ETH Labor zehn Jahre alt, und wir haben Strukturen entwickelt, die gut funktionieren.
Ich habe einen Stellvertreter, der als Senior Researcher einen hervorragenden Job macht. Wir haben gute Postdocs und als Gruppe einen Ruf, der es uns erlaubt, Leute mit einer gewissen Reife anzuziehen. Insofern sollte das Engagement bei RAI keine negativen Auswirkungen auf die ETH haben.
Im Gegenteil: Das Vorhaben wird die ETH in der Robotikforschung weiter voranbringen. Einerseits bietet es Studierenden Stellen für Internships und Master- oder Doktoratsarbeiten, die durch erfahrene Forschende betreut werden. Darüber bietet das RAI Zusammenarbeitsmöglichkeiten nicht nur für mein Labor, sondern auch für andere Professuren an der ETH.
In welcher Form?
Neben der Rahmenvertragsvereinbarung mit der ETH hat das RAI Institute auch einen Donationsvertrag mit der ETH Foundation USA abgeschlossen. Ein Research Framework Agreement (RFA) ermöglicht eine direkte Zusammenarbeit zwischen der ETH und dem RAI auf ausgewählten Themen, während die Donation zusätzlich neue Forschungsprojekte an der ETH im Bereich Robotik finanziert. So entsteht ein Netzwerk, das Innovation fördert und die ETH als führende Institution in Europa weiter stärkt.
Ihre Doppelrolle als Professor und Leiter des Zürcher Büros des RAI Institutes bringt auch Governance-Fragen mit sich.
Diese Thematik haben wir bewusst bereits in einer sehr frühen Phase mit der ETH und dem RAI aufgenommen, um die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Auch forschungstechnisch und räumlich gibt es eine sehr gute Abtrennung. Alles, was am RAI passiert, was ich und die dort angestellten Ingenieure in Oerlikon schaffen, gehört dem RAI-Institut. Auf der anderen Seite steht die klassische Forschung, die an der ETH passiert. Alles, was ich da mache, gehört der Hochschule.
Besteht keine Gefahr, dass sich die Forschung an der ETH nach den Interessen des RAI Institutes richtet?
Das sehe ich gar nicht, im Gegenteil: Bei RAI kann ich Ressourcen in jenen Bereichen aufbauen, die mich forschungstechnisch interessieren. Zudem erlaubt die Zusammenarbeit mit der ETH sowie die open-source Beiträge von RAI, dass auch ETH-Forschenden diese Sache nutzen können.
Aber wie sind Kollaborationen zwischen Ihrer Professur und RAI geregelt?
Wir haben einen Rahmenvertrag mit dem RAI Institute abgeschlossen, der es uns erlaubt, gezielt einzelne Projekte zwischen ETH und RAI zu lancieren. Besonders spannend ist das für meine Doppelrolle als Professor an der ETH Zürich und Mitarbeiter bei RAI Zürich: In diesem Kontext haben wir ein sogenanntes Joint Lab Agreement vereinbart.
Dabei handelt es sich weniger um ein physisches Labor, sondern vielmehr um eine rechtliche Konstruktion, die vor allem dazu dient, Fragen rund um geistiges Eigentum klar zu regeln. Beide Parteien, ETH Zürich und RAI Zürich, haben das Recht, Ergebnisse aus ausgewählten gemeinsamen Projekten entweder gemeinsam oder unabhängig voneinander zu publizieren. Ebenso behalten beide die Möglichkeit, diese Ergebnisse kommerziell zu verwerten.
Alle Forschungsergebnisse, die im Rahmen dieses Abkommens unter meiner Leitung entstehen, werden gemeinschaftlich von der ETH Zürich und RAI Zürich gehalten. Das schafft eine transparente Grundlage für innovative Zusammenarbeit, und stärkt gleichzeitig die Position der ETH als führende Forschungsinstitution im Bereich Robotik.
Doch wenn Sie nun entscheiden müssen, welche Idee Sie wo umsetzen. Welche Kriterien spielen da eine Rolle?
Die Frage ist immer, in welchem Kontext die Idee entstanden ist und welche die richtigen Leute und das richtige Umfeld sind, um ein Projekt zu realisieren.
Bei Industriekooperationen im Bereich Robotik stellt sich immer auch die Frage nach der militärischen Nutzung von Forschungsresultate. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie gemeinsam mit einer amerikanischen Firma Forschung betreiben?
Das RAI Institute ist auf wissenschaftliche Forschung ausgerichtet, mit einem klaren Fokus auf zivilem Fortschritt und Innovation. Diese Ausrichtung ist uns besonders wichtig, denn sie ermöglicht eine transparente Zusammenarbeit mit der ETH und anderen Partnern.
Gerade in Zeiten, in denen die Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung zunehmend diskutiert wird, setzen wir bewusst ein Zeichen für verantwortungsvolle Wissenschaft. So hat das RAI Institute auch eine spezifische Forschungsgruppe, die sich mit ethischen und gesellschaftlichen Fragen rund um die Robotik auseinandersetzt.
Sie sind nun seit einem Jahr für RAI Zürich tätig und konnten gestern die Räumlichkeiten einweihen. Welche Reaktionen haben Sie bisher erhalten?
Die Räumlichkeiten sind top und die Forschenden scheinen überglücklich. Aber auch zum RAI-Setup grundsätzlich gab es an der ETH und im Departement viele sehr positive Rückmeldungen. Wir müssen im Bereich Robotik und AI neue Wege einschlagen, um das grosse Interesse von Studierenden in diesem Bereich zu stillen und gleichzeitig das hohe Ausbildungsniveau zu halten.
Heute stemmt ein kleiner Anteil von Robotikprofessoren eine unverhältnismässig hohe Anzahl Bachelor-, Semester- und Masterarbeiten. Da hilft es, wenn die erfahrenen Forscher am RAI zusätzlich unterstützen können.
Gab es auch Reaktionen ausserhalb der ETH?
Ich beobachte, dass der Standort Zürich an Attraktivität gewinnt. All die Firmen, die nach Zürich kommen, kreieren eine positive Spirale – und das RAI ist sicher auch ein Element darin. Das verbessert auch die Situation für unsere Startups, für die es die letzten Jahre einfacher wurde, Risikokapital aufzutreiben.
Quelle: ETH Zürich/Roland Baumann
Bildquelle: RAI Institute/Victor Reijgwart