Die Zinsen sind zu tief – was die Taylor-Regel damit zu tun hat

Der Titel dieses Berichts mag angesichts des aktuellen Zinstrends und der Markterwartungen erstaunen. Die EZB wird mit grosser Wahrscheinlichkeit in der nächsten Woche den Leitzins senken. Die Fed ziert sich noch etwas, aber der Weg nach unten scheint auch bei ihr vorgezeichnet zu sein. Die SNB ist bekanntlich schon im März vorgeprescht.

Etwas anderes sagt die Taylor-Regel. Der amerikanische Ökonom John B. Taylor entwickelte 1993 eine Regel für den Zielwert des geldpolitischen Leitzinses. Bis zur Finanzkrise 2008 war der Taylor-Zins für viele Zentralbanken, auch für die SNB, eine wichtige Information bei der Gestaltung ihrer Geldpolitik. Nach der Finanzkrise wurde die Steuerung der Geldpolitik über die Zinsen weitgehend ausgehebelt.

Mit der Rückkehr zur Zinssteuerung sollte die Taylor-Regel wieder an Bedeutung gewinnen. Die Taylor-Regel besagt, dass sich der anzustrebende Leitzins aus dem neutralen Realzins, der erwarteten Inflationsrate und einem Korrekturfaktor zusammensetzt. Dieser wird durch die Inflationslücke und die Produktionslücke bestimmt.

Die Inflationslücke ist dabei die Differenz zwischen der Inflationsrate und dem Inflationsziel. Je höher die Inflation ist, desto höher muss der Leitzins sein. Die Produktionslücke wird als Differenz zwischen dem realen Wirtschafts- wachstum und dem Potenzialwachstum der Volkswirtschaft definiert. In der Anwendung der Taylor-Regel wird für die Schätzung der Produktionslücke oft die Arbeitslosenrate verwendet. Je angespannter der Arbeitsmarkt ist, desto restrik- tiver muss die Geldpolitik sein.

Zinsen gemäss Taylor-Regel weltweit zu tief

Die Taylor-Regel ist keine exakte Wissenschaft. Sie hängt stark von den verwendeten Daten ab. Sie ergibt aber ein Signal, ob die Geldpolitik zu expansiv oder zu restriktiv ist. Die Schätzung des Taylor-Zinses für die Schweiz ergibt einen Wert von 2.50%. Dieser Wert ist das Ergebnis bei einem angestrebten Realzins von 1% und einer Zielinflation in der Mitte des SNB-Bandes von 0% bis 2%. Angesichts der wieder gestiegenen Inflationsrate und der tiefen Arbeitslosen- rate kann die Geldpolitik der SNB somit als expansiv bezeichnet werden. Damit der Taylor-Zins auf den aktuellen Leitzins sinkt, müsste die Arbeitslosenrate in der Schweiz um 0.5% steigen oder die Inflation auf 0.8% sinken. Beides ist in nächster Zeit unwahrscheinlich und im ersteren Fall auch nicht erwünscht. Die Alternative ist, dass die SNB der Meinung ist, ein positiver Realzins sei nicht mehr erwünscht.

In den USA sieht es ähnlich aus. Der Leitzins der Fed sollte gemäss der Taylor- Regel bei 6.40% sein, deutlich über dem aktuellen Niveau. Damit eine Zinssenkung gemäss Taylor gerechtfertigt wäre, müsste die Arbeitslosenrate in den USA auf immer noch tiefe 4.5% steigen oder die Kernrate des PCE- Inflationsmasses von 2.8% auf 2.5% sinken. Beides ist in den nächsten sechs Monaten nicht ausgeschlossen.

Inflationsentwicklung massgebend

Die Tiefzinsphase des letzten Jahrzehnts hat die Wahrnehmung der Zinsen als Steuerungsinstrument und als Preis für das Geld verändert. Nicht nur an den Finanzmärkten, sondern auch bei den Zentralbanken. Negative Realzinsen werden akzeptiert und gelten schon fast als normal. Ob die Inflationsentwicklung diese neue Sichtweise auf Dauer zulässt, werden die nächsten Jahre zeigen.

 

Titelbild: nitpicker – shutterstock.com

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Mehr zu Dr. Thomas Stucki

Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 30 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von CHF 4,4 Milliarden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.

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