Seltsame Entwicklung bei den Zinsen im Schatten der Aktienmärkte

Die Kreditrisikoprämien bei den Unternehmensanleihen steigen in den Himmel. Das ist nachvollziehbar, da die Gefahr von Zahlungsausfällen bei Schuldnern mit einer schlechten Bonität gestiegen ist. Zudem versiegt die Liquidität in diesem Segment rasch und Zwangsverkäufe, beispielsweise um Rückzüge von Anlagefonds zu decken, treiben die Prämien zusätzlich in die Höhe.

Nur schwer nachvollziehbar ist dagegen die Entwicklung bei den sicheren Staatsanleihen wie den Eidgenossen-Anleihen oder den US- Treasuries. Die Rendite der 10-jährigen Obligation der Eidgenossenschaft ist bis am 9. März auf -0.94% gesunken.

Die Angst vor dem Coronavirus und die Erwartung einer noch expansiveren Geldpolitik der Zentralbanken liess die Anleger in den Schutz des Staates flüchten. Soweit so gut. Bis am 19. März ist die Rendite dieser Obligation dann auf -0.17% gestiegen, den höchsten Stand seit Anfang 2019, als man noch von einer Zinserhöhung durch die SNB sprach. Am Freitag ist die Rendite wieder auf -0.30% gesunken. Die Suche nach den Gründen für die Bocksprünge bei den Zinsen ist schwierig.

Ist es die mangelnde Liquidität, die die Verkäufer keine Käufer mehr finden und deshalb die Preise absacken lässt? Bei den Unternehmensanleihen ist dies der Fall, bei den Staatsanleihen nicht. Der Markt für Eidgenossen und US-Treasuries funktioniert nach wie vor gut. Es ist möglich, dass grosse Investoren Staatsanleihen, insbesondere US-Treasuries, verkaufen mussten, um Verluste bei den Aktien und den Rohstoffen zu decken oder Margin Calls aus Derivatgeschäften zu erfüllen. Solche Zwangsverkäufe lassen die Rendite kurzfristig nach oben springen. Für einen Renditeanstieg über mehrere Tage und im erlebten Ausmass können sie jedoch keine Erklärung sein.

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Explodierende Staatsschulden

Naheliegender ist die Befürchtung, dass die nun anlaufenden staatlichen Rettungsprogramme in Milliardenhöhe die Staatsschulden explodieren lassen. Die zusätzlichen Ausgaben werden durch die Aufnahme neuer Schulden gedeckt werden müssen. Zudem werden die Steuereinnahmen der Staaten einbrechen, was die Budgetdefizite zusätzlich erhöhen wird. Die Ausgangslage der einzelnen Länder ist jedoch unterschiedlich. Während die Finanzlage in Italien schon vorher prekär war, ist das zusätzliche Verschuldungspotenzial der Schweiz oder Deutschlands, aber auch der USA, sehr gross. Zudem wird ein grosser Teil des zusätzlichen Angebots an Staatsanleihen durch die aktuellen und noch kommenden QE-Programme der Zentralbanken absorbiert werden.

Inflationsgespenst

Oder ist es die Angst vor einem Anstieg der Inflation, die verschiedentlich herum- geboten wird? In nächster Zeit werden die Inflationsraten aufgrund der eingebrochenen Rohstoffpreise und der schwachen Wirtschaft sinken. Es ist aber möglich, dass nach der Entspannung bei der Epidemie und der Wiederöffnung der Wirtschaft die Nachfrage nach Gütern auch dank den grossen staatlichen Hilfsprogrammen schnell wieder steigt. Diese Nachfrage trifft dann auf ein Angebot, dessen Produktion zuerst wieder hochgefahren werden muss und dessen Produktionsketten noch nicht vollständig wiederhergestellt sind. Dass dann die Preise einzelner Güter steigen werden, ist wahrscheinlich. Dass es in der Breite zu einem massiven Inflationsschub führen wird, aber nicht. Aus den inflationsgeschützten Anleihen lässt sich kein Anstieg der Inflationserwartungen erkennen.

Es ist eine Kombination der verschiedenen Faktoren, die die Zinsen bei den Obligationen nach oben und nach unten treibt. Die Meldungen über die Corona-Epidemie und deren Auswirkungen auf Wirtschaft und unser tägliches Leben ändern sich so rasch und in einem bisher nicht bekannten Ausmass, dass sämtliche Orientierungshilfen, die das Verhalten der Akteure an den Finanzmärkten bisher steuerten, ihre Bedeutung verloren haben. Erst wenn sich eine Rückkehr zu einer gewissen Normalität am Horizont abzeichnet, werden die Finanzmärkte und damit auch die Zinsen wieder berechenbarer werden.

 

Titelbild: OSORIOartist – shutterstock.com

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Mehr zu Dr. Thomas Stucki

Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 30 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von CHF 4,4 Milliarden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.

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