Hälfte der Versicherungsunternehmen hat keine Digitalisierungsstrategie

Die Digitalisierung droht die Versicherungsbranche weltweit zu überrollen. Gemäss dem „Global Digital Insurance Benchmarking Report 2015“ der internationalen Managementberatung Bain & Company fehlen noch rund 60 Prozent der Unternehmen entscheidende Elemente für eine erfolgreiche digitale Transformation. Dazu gehören ein klares digitales Zielbild inklusive Fahrplan oder ein umfassendes Verständnis der Risiken.

Der rasante Wandel im Kundenverhalten gibt den Takt für die Digitalisierung an. In der letztjährigen Bain-Kundenstudie, für die 160.000 Versicherungsnehmer in 18 Ländern befragt wurden, erklärten 79 Prozent, dass sie in den kommenden fünf Jahren digitale Kanäle für Interaktionen mit ihrem Versicherer nutzen wollen – von der Informationsbeschaffung über Service bis hin zur Schadensmeldung. Heute liegt der Wert bei 44 Prozent.

Darauf sind viele Versicherer nur bedingt vorbereitet. Anders als im Handel oder Retail-Banking wirken diese Veränderungen im langfristig angelegten Versicherungsgeschäft zeitverzögert. Der aktuellen Studie zufolge, für die Bain mehr als 70 Versicherer befragt hat, soll der Anteil der online verkauften Policen von 8 Prozent in Leben und 10 Prozent in Sach in den nächsten fünf Jahren auf 15 beziehungsweise 23 Prozent steigen.

Noch deutlicher verändern sich die anderen Wertschöpfungsstufen. So erwarten die Unternehmen, dass die Nutzung digitaler Medien in der Schadensabwicklung um 31 und im Service um 26 Prozentpunkte zunimmt – zulasten traditioneller Wege über Agenturen oder Servicecenter. Nahezu die Hälfte der Versicherungsunternehmen hat jedoch nach eigenem Bekunden keine Digitalisierungsstrategie.

„Viele Versicherer schaffen es kaum, mit ihren Kunden mitzuhalten, geschweige denn ihre Strategie für das digitale Zeitalter zu entwickeln“, erklärt Dr. Henrik Naujoks, Leiter der europäischen Praxisgruppe Finanzdienstleistungen bei Bain & Company und Autor der Studie. „Das öffnet einer neuen Generation technologieaffiner Unternehmen Tür und Tor, in diesen über Jahrzehnte abgeschotteten Markt einzudringen.“ Gerade in den angelsächsischen Ländern greifen Start-ups immer häufiger in die lukrativen Bereiche der Assekuranz-Wertschöpfungskette ein oder besetzen die Schnittstelle zum Kunden.


Die Zahlen: So arbeiten Versicherer an der Digitalen Transformation. (Bild: © Bain und Company)

Digitalisierungsindex zeigt Rückstände auf

Die Defizite der etablierten Häuser deckt der eigens für die Studie entwickelte Index auf, der die Fortschritte bei der Digitalisierung misst. Sach- wie Lebensversicherer erreichten im Durchschnitt weniger als 50 von 100 möglichen Punkten. Der Nachholbedarf ist demzufolge gross. Nur bei 40 Prozent der Sach- und einem Drittel der Lebensversicherer lassen sich Transaktionen in einem Kanal beginnen und in einem anderen abschliessen. Diese Barrieren resultieren aus der vielerorts fehlenden Automatisierung und dem Silodenken der Vergangenheit. Selbst das Ausstellen und Verlängern von Policen geschieht bei vielen Versicherern noch händisch, und Papierdokumente müssen erst einmal elektronisch erfasst werden.

Die sechs Dimensionen eines voll digitalisierten Versicherers

Die digitale Transformation adressiert sechs Bereiche, in denen die Versicherer Chancen und Herausforderungen systematisch angehen können.

  1. Verbesserte digitale Kundenreise
  2. Omnikanal-Vertriebs- und Servicemodell
  3. Optimierter Betrieb durch digitale Technologien
  4. Stärkere Nutzung von Advanced Analytics und Big Data
  5. Informationstechnologie für die digitale Transformation
  6. Eine agile, innovationsfähige Organisation

„Kein Versicherer ist in jeder Dimension führend, einige aber sind es bereits in einer oder zwei“, betont Dr. Florian Mueller, Versicherungsexperte bei Bain & Company und Co-Autor der Studie. „Die Unternehmen kennen ihren Nachholbedarf und werden investieren. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sie in jeder Dimension Fähigkeiten aufbauen.“

Basierend auf den Benchmarking-Ergebnissen hat Bain vier Wege identifiziert, die die befragten Versicherer für ihre digitale Transformation eingeschlagen haben:

  1. Advanced Analyzer. Rund ein Drittel der Befragten setzt auf den Ausbau analytischer Fähigkeiten. Big Data spielt dabei eine wichtige Rolle.
  2. Digital Distributor. 20 Prozent der Anbieter gelingt es, die Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt zu überwinden. Der Lohn ist eine höhere Kundentreue.
  3. Customer-centric Insurer. Loyale Kunden sind das Ergebnis der konsequenten Ausrichtung des Geschäftsmodells an den Bedürfnissen der Versicherten. Diesen Weg haben sechs Prozent der befragten Unternehmen gewählt.
  4. Effective Operator. Rund zehn Prozent der Versicherer nutzen digitale Werkzeuge vor allem, um Prozesse zu verschlanken und zu automatisieren. Im Wettbewerb haben sie so die bessere Kostenstruktur.



Ein Fünftel der Befragten beschreitet bisher keinen dieser Wege und verharrt auf einem niedrigen Digitalisierungslevel. „Je nach Ausgangslage muss jede Versicherung ihre massgeschneiderte Strategie dahingehend entwickeln, Mindeststandards zu erreichen oder sich zu differenzieren“, bilanziert Bain-Partner Naujoks. „Nur Stillstand verbietet sich. Denn die Innovationen von heute sind der Standard von morgen.“

 

Artikel von: Bain & Company
Artikelbild: © Vasin Lee – shutterstock.com

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Als gelernter Informatikkaufmann war für mich schon schnell klar, dass die Administration von verschiedenen Systemen zu meinem Gebiet werden sollte. Um aber auch einen kreativen Anteil in meinen Arbeitsalltag zu integrieren, verschlug es mich in die Welt des Web Content Management.

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