Steueroase Luxemburg? Irland? Cayman-Islands? - Nein! Niederlande!

Im Herbst 2014 ist Luxemburg, einer der kleinsten Staaten Europas, in aller Munde. Das Grossherzogtum steht wegen seiner Steuerpolitik schwer in der Kritik und wird von allen Seiten mit Vorwürfen bombardiert. Vor allem die anderen EU-Mitgliedsstaaten fordern ein Ende der laxen Gesetzgebung, die es international agierenden Konzernen ermöglicht, ihre Steuerlast gegen Null zu drücken. Nur kurze Zeit vorher hatte Irland nach jahrelangem Druck beschlossen, endlich seine Steuerschlupflöcher zu schliessen. Von den Niederlanden spricht dagegen kaum jemand – jedenfalls bisher.

Amsterdam, Prins Bernhardplein. Hier hat die Finanzzeitung „Het Financieel Dagblad“ ihren Sitz. Gegenüber befindet sich ein unscheinbarer Bürokomplex, in dem Konzerne wie Saab, Danone, Gazprom und über 2’000 weitere multinationale Konzerne residieren. Logos dieser Unternehmen sucht man an der Fassade allerdings vergeblich, ebenso auf den Briefkästen des „Amstelgebouw“. Und auf die kommt es doch besonders an, wenn man eine ordentliche Briefkastenfirma sein will.

Zwei Steuerexperten der Finanzzeitung untersuchen seit Jahren die Praktiken der Firmen von gegenüber, die durch die niederländische Steuergesetzgebung erst ermöglicht werden. In dem Gebäude arbeiten maximal 300 Leute, die meisten für die Treuhandfirma Intertrust. Diese bietet nach eigener Aussage eine hervorragende Business-Infrastruktur, sorgt für günstige Steuerbedingungen und liefert Service aus erster Hand. Intertrust steht, wie viele andere Treuhänder im Lande, bei den Multis hoch im Kurs.

Laut einer Studie des Insituts SEO Economisch Onderzoek gibt es in den Niederlanden mehr als 12’000 „besondere finanzielle Einrichtungen“ – so die offizielle Bezeichnung – die fast alle ohne eigene Mitarbeiter auskommen. Im Volksmund nennt man sie schlicht Briefkastenfirmen. Das hat gute Gründe. Denn das Land der Grachten, Tulpen und Coffee Shops ist wahrscheinlich das beliebteste und gefragteste Steuerparadies weltweit und lässt das berühmt-berüchtigte Grossherzogtum Luxemburg weit hinter sich.

Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC), jüngst durch die „Luxemburg Leaks“ in die Schlagzeilen geraten, hatte früher ebenfalls eine Niederlassung am Prins Bernhardplein. Didier Mouget, PwC-Chef in Luxemburg, hat die dortigen Praktiken seiner Firma in einem Interview mit dem Argument verteidigt, es gebe neben Luxemburg mindestens vier bis fünf weitere Staaten, die ähnliche Steuervergünstigungen ermöglichten. Als ein Beispiel nannte er die Niederlande.

Mouget hat nicht nur recht. Die Niederlande sind wohl sogar noch attraktiver für multinationale Unternehmen als Luxemburg, um ihre Profite dorthin umzuleiten und Steuerzahlungen zu vermeiden – ganz legal, versteht sich. Denn die niederländischen Finanzbehörden erheben auf bestimmte Einkünfte, die im Ausland erzielt wurden, nur geringe oder keine Abgaben. Dazu zählen neben Dividenden und Zinsen auch Erträge aus geistigem Eigentum, sprich: aus Lizenzen, Patent- und Markenrechten.

Ikea, Walmart, der italienische Ölkonzern Eni und 17 der 20 umsatzstärksten portugiesischen Unternehmen – um nur einige zu nennen – verlagern ihre Gewinne in die Niederlande. Für die beiden Experten der Finanzzeitung sind die Niederlande die Finanzdrehscheibe der Welt. Zahlen aus der o.g. SEO-Studie belegen das: Im Jahr 2011 wurden ca. 4’000 Milliarden Euro über die Briefkastenfirmen abgewickelt. Das ist das Fünffache des niederländischen Bruttosozialprodukts. Statistiken des IWF weisen das Land als einen der beiden grössten Empfänger und Geber direkter Investitionen weltweit aus – und das bei nicht einmal 17 Millionen Einwohnern.


Als Steueroase lassen die Niederlande Luxemburg weit hinter sich. (Bild: Artur Bogacki / Shutterstock.com)
Als Steueroase lassen die Niederlande Luxemburg weit hinter sich. (Bild: Artur Bogacki / Shutterstock.com)


Beindruckende Zahlen und Fakten liefert auch eine Studie von Citizens for Tax and Justice (CTJ), einer Nichtregierungsorganisation in den USA:

  • Von den 500 umsatzstärksten Konzernen besitzen 48 Prozent Finanzholdings in Holland, deutlich mehr als in Hongkomg, Singapur oder Luxemburg (34 Prozent).
  • Tochtergesellschaften von US-Firmen verbuchten hier in 2010 Gewinne von 127 Milliarden Dollar, wiederum mehr als in Luxemburg (55 Milliarden), auf den Bermudas (91 Milliarden) oder den Cayman Inseln (51 Milliarden).

In Amsterdam sitzt auch die Deutsche International Trust Company. Die Deutsche-Bank-Tochter bietet ein ähnliches Spektrum an Dienstleistungen wie die oben erwähnte Intertrust. Wohl mit Erfolg, denn mittlerweile haben auch deutsche Konzerne rund 800 Niederlassungen in Holland gegründet, um Steuervorteile abzuschöpfen.

Die Treuhändervereinigung Holland Quaestor bestreitet, dass es den Firmen nur um Steuerflucht gehe. Die meisten wollten lediglich eine Doppelbesteuerung vermeiden, was durch die bilateralen Abkommen des Staates erleichtert wird. Quaestor räumt allerdings ein, dass es auch Sündenböcke gibt, die noch nie Steuern gezahlt haben. Dem will der Lobbyverband mit der Einführung eines Qualitätssiegels entgegenwirken.

Auch die holländische Regierung will Briefkastenfirmen in Zukunft schärfer unter die Lupe nehmen. Der Begriff Steueroase ist unter Politikern nicht sehr beliebt. In 2013 hat das Parlament die Regierung dazu aufgerufen, eine derartige Qualifizierung abzulehnen. Der Antrag für die entsprechende Resolution kam von der Partei des Rechtspopulisten Wilders. Erst kürzlich noch erklärte der Staatssekretär für Finanzen, Eric Wiebes, „die Niederlande seien keine Steueroase“. Die Zahlen der SEO-Studie sprechen eine andere Sprache. Allein die Höhe der Dividenden, die an die Briefkastenfirmen überwiesen wurden, sind in den Jahren von 2004 bis 2012 um das Fünffache gestiegen: von 13,1 auf 72,7 Milliarden Euro.

 

Oberstes Bild: © kavalenkava volha – Shutterstock.com

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hat Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert und ist zusätzlich ausgebildeter Mediendesigner im Segment Druck. Er schreibt seit über 30 Jahren belletristische Texte und seit rund zwei Jahrzehnten für Auftraggeber aus den unterschiedlichsten Branchen.

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