Ohne Wert und ohne Sinn – der aktuelle Niedrigzins

Wer Kapital verleiht oder Geld anlegt, erhält dafür aktuell einen historisch niedrigen Zins. Abgesehen davon, dass dieser Umstand für viele Kreditgeber und Sparer ein grosses Ärgernis darstellt, ist er ein kleines Kuriosum: Er führt nämlich sowohl den Begriff des Zinses als auch dessen ursprüngliche Funktion völlig ad absurdum …

Geht man davon aus, dass Nachwuchs häufig mit der Endung „-chen“ versehen wird, müssten die Erträge, die verliehenes oder angelegtes Geld aus sich selbst heraus produziert, „Geldchen“ heissen. Dieser Diminutiv wäre – in Summe betrachtet – sogar korrekt, denn grosse Beträge lassen sich auf diese Weise schon länger nicht mehr erzielen. Weil das Finanzgeschäft jedoch ein knallhartes Business ist, bedienen Banker sich stattdessen weiterhin des schon seit Jahrhunderten gebräuchlichen Begriffes „Zins“.

Zu den Gründen für die Einführung der Verzinsung bzw. die Zahlung von Zins gibt es viele verschiedene Theorien. Weil jede einzeln zu nennen und zu erläutern den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, verzichten wir auf entsprechende Ausführungen. Wesentlich kürzer und schneller zum Ziel führend ist die Erklärung des Wortes „Zins“ an sich: Es leitet sich vom lateinischen „census“ ab und bedeutet so viel wie „Vermögensschätzung“.

Dem so übersetzten Begriff ist zu entnehmen, dass der Zins schon zu antiken Zeiten wesentlich mehr war als eine Leihgebühr. Finanzbeauftragte berücksichtigten bei seiner Berechnung zugleich, dass sich der Wert des zur Verfügung gestellten Kapitals im Laufe der Rückzahlungsfrist ändern würde und dass das leihweise überlassene Geld nach einem, fünf oder zehn Jahren eine andere Kaufkraft haben könnte als zum Zeitpunkt der Aushändigung.

Bereits die alten Ägypter, Griechen und Römer hatten also beobachtet, dass auch beim Geld Angebot und Nachfrage den Preis regeln. Weil aber selbst diese fortschrittlichen Hochkulturen keine zukunftsweisende Glaskugel besassen, unterlag die Erhebung von Zins feststehenden Sätzen, die auf jahrelanger Erfahrung basierten. Zeitgenössischen Quellen zufolge schwankte die Verzinsung von Geld im Römischen Reich zwischen sechs und zehn % – einem Wert, von dem Anleger heute nur noch träumen können.

Auch den Menschen des Früh- und Hochmittelalters muss dieser Zins traumhaft vorgekommen sein, denn in jenen Epochen gab es – bedingt durch (land-) wirtschaftliche Notlagen – hohe Ausschläge nach oben. Dabei zogen vor allem jüdische und islamische Geldverleiher den Zorn auf sich, weil sie das in ihren Religionen herrschende Zinsverbot geschickt auslegten bzw. -lebten. Manch ein Darlehensnehmer kam bei Sätzen von 20 % aufwärts zeitlebens nicht von seinen Schulden herunter; allzu habgierige Gläubiger sahen ihr Geld dafür nur in Teilbeträgen wieder.


Das im Zeitalter der Renaissance aufblühende Bankwesen setzte dem haltlosen Treiben um Zins ein Ende. (Bild: travellight / Shutterstock.com)
Das im Zeitalter der Renaissance aufblühende Bankwesen setzte dem haltlosen Treiben um Zins ein Ende. (Bild: travellight / Shutterstock.com)


Das im Zeitalter der Renaissance aufblühende Bankwesen setzte dem haltlosen Treiben um Zins ein Ende. Ab jetzt galten wieder feste Sätze, die sich bei vier % einpendelten und Schuldnern damit eine reale Chance gaben, geliehenes Geld irgendwann einmal vollständig zurückzahlen zu können. Auch die Staatsanleihen stabiler Wirtschaftsmächte beliefen sich bis ins 19. Jahrhundert hinein auf einen Wert zwischen drei und fünf %, sodass rückblickend von einem durchaus gleichbleibendem Zinsniveau gesprochen werden kann.

Während der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg schnellten die Sätze und Beträge, die für einen Kredit aufgebracht werden mussten, allerdings erneut in kaum vorstellbare Höhen. Weil das in Umlauf befindliche Geld nicht einmal so viel wert war wie das Papier, auf das es gedruckt wurde, machten jedoch auch die Verleiher keinen guten Schnitt dabei.

Die Gegenwart bietet in Sachen Zins ein ähnlich trauriges Bild. In Folge aktueller Vorgaben der Europäischen Zentralbank weist so manche Anlage eine negative Bilanz auf. Grund dafür ist das momentan herrschende Missverhältnis zwischen Nominalzins und Inflationsrate, aus deren Differenz sich der sogenannte Realzins ergibt. Dessen Wert lässt erkennen, wie sich das angelegte Kapital entwickelt. Beläuft er sich auf weniger als null %, schrumpft das Vermögen statt zu wachsen.

Ein einfaches Beispiel soll Ihnen das Geschilderte verdeutlichen:

Sparer, die auf ein Anlagekapital von 100,00 EUR 1,5 % Zins erhalten, gewinnen per anno 1,50 EUR hinzu. Bei einer fiktiv gesetzten Inflationsrate von 2,5 % müssen sie pro 100,00 EUR Warenwert jedoch 2,50 EUR mehr zahlen als im Vorjahr. Der reale Verlust – errechnet aus Nominalzins abzüglich Inflationsrate – beträgt in diesem Fall einen ganzen Euro. Bei über mehrere Jahre anhaltendem Ungleichgewicht summiert er sich schnell auf grössere Beträge.

Mit ebenjener Situation sehen sich Sparer durch die derzeitige Niedrigzinspolitik konfrontiert. Im Zusammenspiel mit der vergleichsweise hohen Inflationsrate führt sie zu einem negativen Realzins-Wert, durch den eine Anlage zwangsläufig Verlust erleidet. Hochrechnungen beziffern die daraus resultierenden Einbussen für Sparer auf mehrere Milliarden Euro jährlich.

Damit wird der gewährte Zins seiner zugrundeliegenden Funktion – das angelegte oder verliehene Geld vor Wertminderung zu schützen – jedoch nicht mehr gerecht. Ein Grund mehr, die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt weiterhin kritisch im Auge zu behalten.

 

Oberstes Bild: © rangizzz – Shutterstock.com

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Mehr zu Christiane Dietering

Christiane Dietering hat eine handwerkliche, zwei kaufmännische und eine Autoren-Ausbildung absolviert. Sie arbeitet als freie Texterin, Rezensentin und Journalistin in den Themenbereichen Kunst und Kultur. Ihre Hauptauftraggeber sind Veranstalter von Musikaufführungen, Lesebühnen und Erotik-Events.

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