"Whatever it takes": Wie Mario Draghi die Wende in der Euro-Krise brachte
VON Janine El-Saghir News
An den Märkten schlug Draghis Rede seinerzeit ein wie ein Blitz. Der Euro stabilisierte sich, die Zinsen für Staatsanleihen aus den Krisenländern fielen, die Börsenkurse befanden sich plötzlich steil im Aufwind. Die Befürworter des Euro waren begeistert. Beispielsweise bescheinigte der deutsche Volkswirt Holger Schmieding Draghi nicht nur die Magie der Worte, sondern auch, dass er die europäische Währung gegen eine „irrationale Marktpolitik“ vereidigt habe.
Juli 2012: Höhepunkt der Euro-Krise
Im Juli 2012 erreichte die Euro-Krise ihren Höhepunkt – mit der Perspektive, dass der Euro-Rettungsfonds ESM in nächster Zukunft kippen könnte. Über das Ausscheiden einzelner Länder aus der Währungsunion wurde immer heftiger spekuliert. Die Kurse der Anleihen aus den Peripherieländern der Euro-Zone verfielen, gleichzeitig kletterten ihre Risikoaufschläge in immer kritischere Höhen. Für zehnjährige Schuldverschreibungen musste Italien 6,4 und Spanien sogar 7,4 % zahlen. Griechische Papiere hatten nach dem Schuldenschnitt ihre Marktrelevanz endgültig verloren. Verluste durch Staatsanleihen brachten ausserdem die Aktienkurse vieler Banken in Bedrängnis.
Draghi: Euro-Rettungsversprechen im Alleingang
In dieser Situation hielt Mario Draghi die vermutlich wichtigste Rede seines Lebens – übrigens frei und nur anhand einiger handschriftlicher Notizen. Unmittelbar zuvor hatte er Marktdaten studiert und diverse Meetings mit Bankern absolviert. Ein EZB-Funktionär erklärte im Nachhinein, dass wohl auch Draghi selbst die Wirkung seiner Worte nicht vorhergesehen hatte. Seine Botschaft, dass die EZB „alles Notwendige tun“ würde, um den Euro zu erhalten, und das dies genug sein würde, kam an den Märkten von Anfang an als indirekte Garantiezusage dafür an, dass die EZB notfalls für sämtliche Staatsschulden haften würde.
Unmittelbar danach sanken die Risikoaufschläge auf die Staatsanleihen der Krisenstaaten, ihre Kurse stiegen. Überrumpelt fühlten sich allerdings die 22 Ratsmitglieder der Notenbank; Draghi hatte sein Versprechen im Alleingang abgegeben. Zwar hatte er sich in seiner Rede zweimal auf „unser Mandat“ berufen – Zweifel daran, ob er dessen Grenzen damit nicht überschritten habe, blieben und verstärkten sich zum Teil nach Draghis Ankündigung des OMT-Programms im September 2012.
Offene Fragen im Hinblick auf das demokratische Mandat für OMT
Mit den Outright Monetary Transactions (OMT) kann die EZB durch notfalls unbegrenzte Ankäufe von Staatsanleihen die Position der Krisenländer stützen, sofern diese darauf beim ESM einen Antrag stellen. In Anspruch genommen wurde das Programm bisher noch nicht, es dürfte jedoch erheblich zur Marktberuhigung beigetragen haben. Gleichzeitig entzündet sich vor allem daran die Kritik an der Geldpolitik der EZB.
Zu den schärfsten Kritikern von Draghis Strategie zählt bis heute der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann. Er und sein Institut befürchten, dass das OMT-Programm die Unabhängigkeit der Geldpolitik der EZB gefährden könnte. Aus seiner Sicht verwischen die Krisenmassnahmen der Zentralbank trotz ihres kurzfristigen Erfolgs die Grenzen zwischen Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Durch die Käufe von Staatsanleihen würden die Risiken zwischen den einzelnen Ländern umverteilt, wofür der Steuerzahler hafte. Für ein solches Prozedere habe die EZB kein demokratisches Mandat.
Inzwischen beschäftigt diese Frage sowohl das deutsche Verfassungsgericht als auch den Europäischen Gerichtshof. Von Marktteilnehmern und europäischen Spitzenpolitikern, darunter auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, erhielt Draghi indessen Rückendeckung.
OMT als Sicherheitsnetz für Investoren
Letztlich wirkt das OMT-Programm als Sicherheitsnetz für Investoren, von dem auch die Peripherieländer der Euro-Zone profitieren. Die Renditen für südeuropäische Staatsanleihen sind heute kaum höher als die für US-amerikanische Papiere. Italien und Spanien zahlen trotz hoher Staatsverschuldung für zehnjährige Anleihen nur noch Zinsen in Höhe von 2,6 respektive 2,8 %. Im Übrigen sind die italienischen Staatsschulden mit 2,1 Billionen Euro (136 % des BIP) heute die höchsten in Europa – mit steigender Tendenz und durch kein nennenswertes Wirtschaftswachstum unterlegt. Auch die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Programm verunsichern die Marktteilnehmer nicht. Das Vertrauen in die Garantie der EZB ist offensichtlich ungebrochen.
Die Gefahr einer Neuauflage der Krise ist alles andere als gebannt
Mario Draghi hält sich heute – zwei Jahre nach seiner Londoner Rede und dem Start von OMT – zugute, dass er die europäische Währungsunion gerettet habe. In seinen Worten: Die EZB habe „unbegründete Ängste“ vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone im Keim erstickt. Zudem scheint es so, als habe Europa ab 2013 die schlimmste Rezession seit der Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er-Jahre endlich überwunden. Allerdings geht die wirtschaftliche Erholung gerade in den Krisenstaaten quälend langsam vor sich. Mit der EZB-Geldpolitik hat Draghi den betroffenen Ländern zwar Zeit gekauft, damit aber auch den Reformdruck sehr weitgehend abgemildert.
Inzwischen mehren sich die Stimmen aus der Peripherie der Euro-Zone, aber auch aus Frankreich, die lahmende Konjunktur durch neue geldpolitische Massnahmen respektive massenhafte Käufe von Staatsanleihen anzukurbeln. Frankreich und Italien fordern inzwischen grösseren Spielraum bei hohen Haushaltsdefiziten – also das erneute Aufweichen der Regeln des europäischen Stabilitätspakts.
Draghi betont, dass auch eine weitere Lockerung der europäischen Geldpolitik durch das EZB-Mandat gedeckt wäre. Unter Experten geht dagegen die Befürchtung neuer spekulativer Blasen und damit einer möglichen Neuauflage der Krise um.
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