Berufsausbildung: Kontroversen um das Titel-Chaos

Die Debatte um die Bezeichnung von Berufsbildungsabschlüssen in der Schweiz findet kein Ende. International sind Inhalt und Bedeutung der Ausbildungswege oft nicht nachvollziehbar. Viele Experten meinen, dass das Titel-Chaos die Karrierechancen von Absolventen der höheren Berufsbildung bremst und zu einer immer stärkeren Akademisierung führt.

Die bildungspolitische und gesellschaftliche Diskussion darüber ist sieben Jahre alt. Seinerzeit forderte der Schweizerische Verband für Weiterbildung (SVEB), die Abschlusstitel „eidgenössischer Berufsfachausweis“ und „eidgenössisches Diplom“ durch international verständliche Bezeichnungen zu ersetzen. Jetzt hat der Nationalrat eine Motion angenommen, die dazu führen soll, dass ein entsprechender Erlassentwurf erfolgt. Eingebracht wurde sie vom Sozialdemokraten Matthias Aebischer. Sie greift die Forderungen des Gewerbeverbandes, der Mehrheit der Berufsverbände sowie des Arbeitgeberverbandes auf. Eine Lösung scheint trotzdem nicht in Sicht. Im Gegenteil: Durch die Annahme der Motion Aebischer verschärft sich offenbar die Debatte um das Titel-Chaos.

Graben die traditionellen Titel der höheren Berufsbildung das Wasser ab?

Bundesrat Johann Schneider-Ammann – FDP-Politiker und Vorstand des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung – gilt seit jeher als der entschiedenste Gegner von Änderungen der Berufsabschlusstitel. Auch das nachgeordnete Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) zeigte sich gegenüber der Idee einer direkten internationalen Vergleichbarkeit bisher wenig aufgeschlossen. Bildungsexperten monieren inzwischen, dass durch die gesetzlichen und bürokratischen Blockaden den höheren Fachprüfungen das Wasser abgegraben werde. Viele Schulabgänger entscheiden sich statt für eine höhere Berufsbildung gleich für ein Hochschulstudium – von einem Abschluss als Bachelor oder Master versprechen sie sich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Zudem ist es in einigen Fällen möglich, die Titel „Certificate of Advanced Studies“ oder „Master of Advanced Studies“ auch ohne Abschlussprüfung zu erwerben, bei den höheren Fachprüfungen besteht zum Teil jeder dritte Kandidat das Examen nicht.

„Eidgenössisches Diplom“ oder „Professional Master“?

Als international nachvollziehbare Titel gelten der „Professional Master“ und der „Professional Bachelor“. Für zielführend hält das SBFI diese Bezeichnungen jedoch bisher nicht. Seine Strategie besteht vielmehr darin, die eidgenössischen Abschlüsse durch Diplomzusätze – von Kritikern als „Packungsbeilage“ verspottet – zu ergänzen und in der öffentlichen Meinung durch Marketing aufzuwerten. Der zuständige Staatssekretär Mauro Dell´Ambrogio erklärte, dass die Diplomzusätze europaweit standardisierte Informationen enthielten und potenziellen Arbeitgebern entsprechende Hinweise auf die Kompetenzen des Bewerbers vermitteln sollten. Ausserdem arbeite das SBFI derzeit an international verständlichen englischen Übersetzungen der Berufsabschlüsse – inklusive einer stärkeren Betonung ihrer Swissness.

Warten auf grössere Offenheit und schnellere Prozesse

SVEB-Direktor André Schläfli wirft dem Bundesrat und dem SBFI dagegen vor, den Vorschlag seines Verbandes für international verständliche Titel ohne echten Gegenvorschlag abzulehnen. Zudem weise der SVEB seit Jahren auf die Ungleichbehandlung von Hochschul- und Berufsausbildung hin, ohne dass seitens des SBFI Gegenmassnahmen erfolgten. Die Reformwilligen setzen jetzt darauf, dass sich aus der Restrukturierung der Behörde Impulse für grössere Offenheit und schnellere Prozesse ergeben.

Das SBFI war Anfang 2013 aus der Fusion des Staatssekretariats für Bildung mit dem früheren Bundesamt für Berufsbildung und Technologie entstanden und durch seine interne Reorganisation für lange Zeit gelähmt. Entscheidungen wurden nach Ansicht von Insidern allerdings schon lange vor der Fusion nicht mehr getroffen, sondern auf einen Zeitpunkt nach der Wahl des Chefs des SBFI vertagt, dessen Stelle im Februar 2012 ausgeschrieben worden war.

Konkurrenzsituationen und bürokratische Blockaden

Anfang dieses Jahres bezeichnete der ehemalige Preisüberwacher und SP-Nationalrat Rudolf Strahm die Arbeitsweise des SBFI sogar als „Nullentscheid-Maschinerie“. Verbandschef Schläfli bescheinigt der Behörde zwar, dass es dort auch viele engagierte und konstruktive Mitarbeiter gebe, sieht ebenso wie viele andere den Titel-Streit jedoch nur als ein Teilproblem. Vielmehr gehe es darum, dass die höhere Berufsbildung insgesamt zeitgemäss entwickelt werden müsse. Im Hinblick auf die Berufsabschluss-Titel kritisiert Strahm in diesem Kontext auch, dass der Auftrag des SBFI für das Gutachten zum „Professional Bachelor“ ausgerechnet an eine Fachhochschule ging. Angesichts der unterschwelligen Konkurrenz zwischen der höheren Berufsbildung und den Fachhochschulen handle es sich dabei um eine „völlig inkompetente Platzierung“, bei der ein „reines Gefälligkeitsgutachten“ herausgekommen sei.


Entscheidend ist das Qualifikationsniveau und nicht der Bildungsweg. (Bild: Creativa / Shutterstock.com)
Entscheidend ist das Qualifikationsniveau und nicht der Bildungsweg. (Bild: Creativa / Shutterstock.com)


Swiss Marketing: Entscheidend ist das Qualifikationsniveau und nicht der Bildungsweg

Nach der Annahme der Motion Aebischer sind viele Experten zuversichtlicher als bisher, dass die neuen Titel auch gegen den starken Widerstand der Fachhochschulen eine Chance bekommen. Peter Petrin, der Vizepräsident und Bildungschef von Swiss Marketing (SMC), äusserte sich dagegen etwas kryptisch. Aus seiner Sicht sollten die Begriffe Bachelor und Master einem bestimmten Qualifikationsniveau zugeordnet werden. Heute geben sie Auskunft darüber, an welchen Bildungsinstitutionen sie erworben wurden. Sein Verband wünsche sich nun einen „Output-orientierten Ansatz“ – Absolventen, die bestimmte Qualifikationen auf einem geforderten Niveau erreichen, sollten diese Titel unabhängig von ihrem Bildungsweg erhalten.

„Gleich lange Spiesse“ für Schweizer Berufsleute im Vergleich zum Ausland

Um dieses Ziel geht es letztlich auch Matthias Aebischer, vor dem Hintergrund, dass die Schweizer Berufsleute hervorragend ausgebildet sind und damit auch gegenüber Berufsbildungsabsolventen in vielen anderen Ländern punkten – der SP-Nationalrat will, dass die Schweizer hier mit „gleich langen Spiessen“ kämpfen können. Eine Lösung ist bisher nicht absehbar. Das SBFI arbeitet inzwischen an einem nationalen Qualifikationsrahmen für die Berufsbildungsabschlüsse, dieser Einstufungsprozess könne „bis zu drei Jahre“ dauern. Nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass die höhere Fachprüfung in dieser Zeit noch stärker unter Druck gerät.

 

Oberstes Bild: © auremar – Shutterstock.com

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