Viva Helvetia – und die Helvetismen gleich mit!

Offiziell weist die in der Schweiz gebräuchliche Schriftsprache nur wenige Unterschiede zu der anderer deutschsprachiger Länder oder Regionen auf. Dennoch sorgt sie in der Korrespondenz mit Geschäftspartnern aus Deutschland oder Österreich manchmal für Verwirrung, denn regelkonformes Schweizer Hochdeutsch hat einige Besonderheiten zu bieten – die so genannten Helvetismen …

Als Leser aus der Schweiz haben Sie wahrscheinlich bereits in diesem kurzen Abschnitt einen Punkt gefunden, der Sie stört. Oder sind es zwei? Oder sogar drei? Natürlich müssen Sie Ihre Sprache geografisch nicht näher eingrenzen. Aus Ihrer Sicht bedienen Sie sich eines ganz normalen Wortschatzes, den Sie nach für Sie geltenden Regeln der Grammatik und Aussprache anwenden. Wollen Sie sich brieflich mitteilen, richten Sie sich nach den orthografischen Anforderungen des in der Schweiz üblichen Schriftdeutsch. Was also ist so besonders daran, dass wir dem von Ihnen angewendeten Schweizerhochdeutsch einen eigenen Beitrag auf unserer Plattform widmen?

Sehen Sie, das zum Beispiel: Sie sprechen und schreiben eben kein Schweizer Hochdeutsch, sondern Schweizerhochdeutsch, denn in Bezug auf Ortsbezeichnungen haben Sie ein ziemlich vereinnahmendes Wesen. Folglich essen Sie statt Schweizer Käse auch lieber Schweizerkäse und sind auf Exportartikel wie diesen oder das berühmte Schweizermesser vermutlich stolz wie ein Schweizergardeoffizier. Das sei Ihnen gegönnt – immerhin handelt es sich dabei ja um Errungenschaften Ihres eigenen Landes. Da macht es fast gar nichts, dass Sie das Bestimmungswort gleich zum Bestandteil des Grundwortes machen. Das ist eben Schweizerart.

Etwas seltsamer mutet es in anderen deutschsprachigen Regionen an, dass Sie sich auf gleiche Weise sogar fremden Eigentums bemächtigen – und das auch noch im öffentlichen Raum. Einen im Touristenzentrum Basel befindlichen und nach der deutschen Stadt Ötlingen benannten Verkehrsweg weist die zuständige Behörde selbstbewusst als Oetlingerstrasse aus. Wie Sie sehen, verzichtet sie dabei nicht nur auf eine Trennung zwischen den einzelnen Wörtern, sondern auch auf die Schreibweise des Eigennamens. Immerhin sind Ihre Landsleute in dieser Hinsicht konsequent genug, auch Schweizer Ortsbezeichnungen ohne Umlaut im Anlaut zu schreiben. So kommt es, dass Sie an der Bahnstation Aetzikofen aus dem Zug steigen müssen, obwohl Sie nach Ätzikofen wollen.


Bei manchen Begriffen halten sich viele Eidgenossen bereits seit 1948 an bundesweit geltende Empfehlungen zum Umlaut. (Bild: Bernd Jürgens / Shutterstock.com)
Bei manchen Begriffen halten sich viele Eidgenossen bereits seit 1948 an bundesweit geltende Empfehlungen zum Umlaut. (Bild: Bernd Jürgens / Shutterstock.com)


Zum Glück – oder zur Verwirrung – Ihrer bundesdeutschen, österreichischen und sonstigen deutschsprachigen Korrespondenzpartner stellen Ihre Mitmenschen die Schreibweise jedoch nicht immer um. Ein in der Schweiz ansässiger Raffineriebetrieb liefert statt Oel ganz gewöhnliches Öl – selbst dann, wenn es aus einem Ort wie Überthal kommt. Bei manchen Begriffen und Flurnamen halten Sie und die übrigen Eidgenossen sich nämlich bereits seit 1948 an bundesweit geltende Empfehlungen zum Umlaut.

Der flüssige Brennstoff erreicht Ihren Geschäftspartner aus Deutschland oder Österreich allerdings nicht in dem Maße, in dem er ihn bestellt hat, sondern grundsätzlich nur in dem von Ihnen bestätigten Masse. In welcher Hinsicht hierbei Grund zur Verwirrung oder Erheiterung besteht, müssen wir Ihnen allerdings etwas näher erläutern. Als Schweizer ignorieren Sie nämlich das in der sonstigen deutschen Schriftsprache gebräuchliche „Eszett“ (ß) – und damit die lautmalerische Abgrenzung zum gewöhnlichen „ss“.

Deutschen und Österreichern sowie den deutsch sprechenden Minderheiten in anderen Ländern zeigt der Buchstabe ß an, dass sie den davor stehenden Vokal lang zu sprechen haben. Dies macht vor allem bei Mengen einen kleinen, aber feinen Unterschied. Es ist demnach nicht unerheblich, ob Sie von „Massen“ oder von „Maßen“ schreiben. Bei einem ganzen Tankwagen voll Öl mag diese Eigentümlichkeit des Schweizer Hochdeutsch noch durchgehen. Kündigen Sie einem ausländischen Gast in der Einladung aber an, mit ihm „in Massen“ trinken gehen zu wollen, könnte das bei ungeübten Korrespondenzpartnern einen falschen Eindruck erwecken.

Auch die einer Bestellung folgende Rechnung sorgt in Deutschland oder Österreich oft für Augenreiben. Doch in der Regel stört Ihre Geschäftspartner nicht der dort ausgewiesene Betrag, sondern die Schreibweise von dessen Zahlen: Wo andere Nationen im Rahmen einer offenen Forderung konkret auf den Punkt kommen, gehen manche Ihrer Landsleute gleich in die Luft: Sie benutzen zur besseren Lesbarkeit vielstelliger Zahlen den hochstehenden Apostroph als Trennzeichen. Nach einer Lieferung im Wert von zehntausend Schweizer Franken stellen sie also eine Rechnung über 10’000 Franken. aus.

Vielleicht überlegen Sie, angesichts so vieler Unterschiede, doch lieber zum Telefon zu greifen und die Sache direkt zu besprechen? Ihr Gesprächspartner würde in einem solchen Fall natürlich nicht bemerken, ob Sie einen Umlaut verändern, ein Leerzeichen auslassen, Zahlen apostrophieren oder sonstige Eigenheiten des Schweizer Hochdeutsch anwenden. Er könnte aber trotzdem stutzen, denn einzelne Wörter Ihrer Sprache sind nur in der Schweiz gebräuchlich und bedürfen deswegen gegebenenfalls einer zusätzlichen Erklärung.

Das aber – seien Sie versichert – trägt im Zweifelsfall eher zu einer Festigung Ihrer Geschäftsbeziehungen nach Deutschland oder Österreich bei, denn wer lernt nicht gern etwas Neues über seinen Partner hinzu?

 

Oberstes Bild: © Fredy Thuerig – Shutterstock.com

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Mehr zu Christiane Dietering

Christiane Dietering hat eine handwerkliche, zwei kaufmännische und eine Autoren-Ausbildung absolviert. Sie arbeitet als freie Texterin, Rezensentin und Journalistin in den Themenbereichen Kunst und Kultur. Ihre Hauptauftraggeber sind Veranstalter von Musikaufführungen, Lesebühnen und Erotik-Events.

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