Zeige mir, wie du schreibst ... – Graphologie im Rahmen der Bewerbung

Die Suche nach geeigneten Mitarbeitern treibt mitunter seltsame Blüten, denn immer mehr Personalchefs wollen sich ein möglichst detailliertes Bild von zukünftigen Team-Mitgliedern machen. So sind Fälle bekannt geworden, in denen Bewerber beim Einstellungsgespräch nach ihrem Sternzeichen oder ihrer Vorliebe für Sportarten befragt wurden. Weil die Antworten aber allzu häufig der scheinbaren Erwartungshaltung angepasst wurden, greifen zahlreiche Verantwortliche auf ein angeblich sicheres Indiz für Charaktereigenschaften zurück – die Analyse der Handschrift …

Sie berufen sich dabei auf die Aussagen von Graphologen, nach deren Angaben das Schriftbild Rückschlüsse auf

  • Tatkraft,
  • Belastbarkeit,
  • emotionale Stabilität,
  • Selbstbewusstsein,
  • Anpassungs- und Kontaktfähigkeit sowie
  • Intelligenz

einer Person zulässt.

Als Anhaltspunkte dafür dienen Merkmale wie der Schwung oder der Rhythmus des Geschriebenen bzw. Anzeichen dafür, ob der Stift beim Schreiben oft abgesetzt oder verkrampft gehalten wurde. Das soll erkennen lassen, ob die Handschrift – und damit der Schreiber selbst – sanft und langweilig oder feurig und wild ist. So jedenfalls lautet die Anleitung in einem „Lehrbuch für Graphologie“.

Als Beweis für den direkten Zusammenhang zwischen Charakter und Schriftbild führen Graphologen die Tatsache an, dass jeder Mensch eine individuelle Handschrift hat, die ihr Aussehen im Laufe des Lebens nur wenig verändert. Lediglich bei emotional stark belasteten oder alkoholisierten Personen seien deutliche Abweichungen vom sonst üblichen Schriftbild erkennbar – wie eben auch Trauer, Wut oder Trunkenheit die Persönlichkeit vorübergehend verändern können.

Wissenschaftler bezweifeln die Gültigkeit dieser These – vor allem deshalb, weil bis dato noch immer keine systematisch-empirische Studie über einen solchen Zusammenhang vorliegt. Psychologen bestätigen zwar, dass sich aus der Handschrift einzelne Persönlichkeitsmerkmale ableiten lassen, bezweifeln aber, dass sich auf Basis manuell angefertigter Texte umfassende Charakterbilder erstellen lassen. Ihrer Aussage nach kann das Schriftbild höchstens Aufschluss über das Geschlecht und die körperliche Konstitution eines Schreibers geben.



Doch selbst das ist vage, weil die Handschrift auch von Art und Qualität des Schreibmaterials oder der Schreibunterlage abhängt. Hinzu kommen Einflüsse wie Zeitdruck oder Temperatur und nicht zuletzt sogar der Inhalt des Geschriebenen. So weisen Texte von hoher politischer oder ethischer Brisanz ein anderes Schriftbild auf als romantische Verse oder sachliche Mitteilungen.

Als Grundlage, die Befähigung für eine bestimmte Stelle zu ermitteln, taugt eine Schriftprobe des potenziellen Mitarbeiters also nicht. Sie kann aber Aufschluss darüber geben, wie genau er Anforderungen nimmt – einfach, indem er sie einreicht oder nicht.

 

Oberstes Bild: © millann – Shutterstock.com

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Mehr zu Christiane Dietering

Christiane Dietering hat eine handwerkliche, zwei kaufmännische und eine Autoren-Ausbildung absolviert. Sie arbeitet als freie Texterin, Rezensentin und Journalistin in den Themenbereichen Kunst und Kultur. Ihre Hauptauftraggeber sind Veranstalter von Musikaufführungen, Lesebühnen und Erotik-Events.

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