Unternehmen werden bei der Bewerberauswahl kritischer

Fachkräftemangel, Masseneinwanderungsinitiative, Stellenboom und ein wahrer Wirtschaftsrausch – das alles ändert nichts daran, das immer mehr Schweizer Unternehmen zunehmend kritischer bei der Auswahl der Bewerber um einen angebotenen Job werden. Vor allem hochdotierte Stellen, die mit umfangreichen fachlichen und persönlichen Verantwortungen gespickt sind, werden lieber gar nicht als falsch besetzt.

Eine Fehlbesetzung kostet die Unternehmen immerhin nicht nur Zeit und Geld, sondern vor allem auch Einbussen beim Image und eventuell Kunden, Marktstellung und wichtige Positionen in der wirtschaftlichen Auseinandersetzung mit der Konkurrenz. Da ist es nicht sehr verwunderlich, dass Stellen lieber monatelang unbesetzt bleiben, als mit den falschen Kandidaten besetzt zu werden. Dennoch scheint hier die Gewichtung zu sehr auf den harten Fakten denn auf den vielbeschworenen Soft Skills zu liegen. Kündigt sich hier ein Wandel in der Schweizer Arbeitswelt an?

Kandidaten sollen den Anforderungen möglichst zu 100 % entsprechen

Heute werden Stellen am liebsten nur noch mit echten Wunschkandidaten besetzt. Der ins Visier genommene Kandidat sollte den Anforderungen aus der Stellenbeschreibung wenigstens zu 95 % entsprechen, lieber noch zu 100 %. So stellt sich die Situation derzeit am Schweizer Arbeitsmarkt dar, zumindest dann, wenn es um wichtige Stellen im Unternehmen geht. Jeder persönliche Abstrich am Anforderungsprofil wird negativ bewertet und verschlechtert die Einstellungschancen selbst für hoch qualifizierte Fachkräfte. Das erscheint ob des grassierenden Fachkräftemangels unlogisch zu sein, erklärt aber auch, dass der Kampf zwischen den Unternehmen um die besten Bewerber so hartnäckig geführt wird.

Hier geht es längst nicht mehr um Kompromisse, sondern um den knallharten Kampf um die besten Kräfte, die der Arbeitsmarkt zu bieten hat. Letztlich soll die Stelle möglichst langfristig und sicher besetzt werden. Das funktioniert aber nur dann, wenn die Anforderungen innerhalb kürzester Zeit zu mindestens 100 % erfüllt werden können. Da ist es kein Wunder, wenn bereits das Bewerberprofil den Anforderungen möglichst vollständig gerecht werden soll.

Keine Zeit für persönliche Entwicklungen

Für die persönliche Entwicklung der Beschäftigten innerhalb ihres Jobs hin zu den erwünschten Leistungen haben die Unternehmen immer weniger Zeit. Die Bewerber sollen möglichst „fertig“ in das Unternehmen kommen und dort quasi vom ersten Tag an genau die Leistungen und Erwartungen erfüllen, die das Unternehmen mit der entsprechenden Stelle verbindet.

Das wird schon dann klar, wenn etwa der Ton der Stellenbeschreibungen der letzten Jahrzehnte mit der aktuell vorherrschenden Form verglichen wird. Noch vor zehn Jahren enthielt eine Stellenbeschreibung nicht nur die unbedingt erforderlichen Voraussetzungen der Bewerber, sondern auch eine Art von Wünschen an den Bewerber. Damit wurde ein Entwicklungsziel vorgegeben, das natürlich möglichst schnell erreicht werden sollte. Soft Skills spielten noch eine relativ grosse Rolle; heute sind die zwar immer noch gefragt, werden in den Stellenausschreibungen aber kaum noch sonderlich abverlangt.


Eine Stellenausschreibung von heute ist eher ein klar definierter Katalog von Anforderungen. (Bild: Robert Kneschke / Shutterstock.com)
Eine Stellenausschreibung von heute ist eher ein klar definierter Katalog von Anforderungen. (Bild: Robert Kneschke / Shutterstock.com)


Eine Stellenausschreibung von heute ist eher ein klar definierter Katalog von Anforderungen, der sich schon eher wie eine Stellenbeschreibung liest. Einziger vakanter Posten bleibt hier das Gehalt. Hier darf, kann und muss noch verhandelt werden. Aber selbst an dieser Position scheitern dann letztlich viele Bewerber, die sonst scheinbar hervorragend die Anforderungen aus dem Stellenprofil erfüllen können. Ein paar Franken zu viel im Wunschgehalt können hier schon der Genickbrecher sein. Das stellt einen offensichtlichen Widerspruch zwischen den hohen Anforderungen und der verhandelbaren Position des Gehalts dar.

Erst wenn alles möglichst punktgenau stimmig ist, scheint eine Einstellung interessant zu werden. Ansonsten bleibt eine Stelle lieber ein paar Monate unbesetzt. Auf die mögliche Entwicklung einzelner Mitarbeiter will heute kein Unternehmen mehr warten.

Alle wollen die Besten

Der Kampf um die besten Bewerber hat fraglos auch für die Unternehmen seine schwierigen Momente. Auch wenn praktisch jeder den besten Bewerber haben will, kann dieser letztlich doch nur in einem Unternehmen eingesetzt werden. Hier spielen dann viele Faktoren eine Rolle. Vom Gehalt über die besten Standortbedingungen bis hin zum Kollegenkreis haben wirklich gute Bewerber viele Möglichkeiten, sich das am besten passende Unternehmen herauszusuchen. Vorausgesetzt, die Anforderungen der jeweiligen Stellenausschreibung können auch wirklich zu 100 % erfüllt werden. Manchmal reichen auch schon 95 % Übereinstimmung der Bewerberqualifikationen aus, darunter werden allerdings gute Jobs kaum noch vergeben.

Letztlich bedeutet das für die Besten natürlich auch gewisse Vorteile. Sie können sich in eine Verhandlungsposition begeben, die den meisten durchschnittlichen Bewerbern von vornherein versagt bleibt. Die Rede vom „Verkaufen der Arbeitskraft“ gewinnt hier eine völlig neue Dimension. Verkauft wird letztlich nicht nur die Arbeitskraft schlechthin, sondern auch Qualifikationen, Erfahrungen, Haltungen und nicht selten auch ein gutes Stück der eigenen Persönlichkeit. Letzteres liegt vor allem daran, dass die sogenannten Soft Skills bei vielen Stellenangeboten heute vollkommen draussen bleiben.

Wenn jedoch alle Unternehmen jeweils nur die besten Bewerber haben wollen, bleibt kaum noch Platz für die durchschnittlichen und manchmal nur um 10 % am Stellenprofil vorbeischrammenden Bewerber. In der Folge ist es nicht verwunderlich, dass auch nach dem Ergebnis der Initiative zur Masseneinwanderung immer noch viele Unternehmen auf die Arbeitsmärkte der Nachbarländer und teils weit darüber hinaus schielen. Für Unternehmen, die auf solche Bewerber angewiesen sind, bedeutet das manchmal auch den Schritt heraus aus dem Wirtschaftsstandort Schweiz. Damit ergibt sich eine weitere Verknappung von Spezialisten, die jetzt auch nicht mehr aus den abgewanderten Unternehmen heraus abgeworben werden können.

 

Oberstes Bild: © Bloom Design – Shutterstock.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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