Medizintechnik: Eine Branche definiert sich neu
VON Daniel Lehrmann Dienstleistungen Finanzen
Eine jetzt veröffentlichte Studie aus dem vergangenen Herbst belegt, dass sich viele Unternehmen Sorgen machen – nicht nur in der Schweiz, sondern in globalem Massstab. In der Krise befindet sich die insgesamt hochprofitable Branche jedoch noch lange nicht. Strukturelle Veränderungen – Fusionen – sollen ihre Zukunft sichern.
Auf dem World Medtech Forum in Luzern hat das auf Health Care spezialisierte Beratungsunternehmen Executive Insight im September 2013 die Teilnehmer zu ihren Zukunftsaussichten befragt. Veröffentlicht wurde die Studie jetzt – mit zahlreichen weiteren Informationen unterlegt – unter dem Titel „Accelerating Transformation for Success“ („Beschleunigte Transformation für den Erfolg“).
Vordergründig herrscht in der Branche weltweit Skepsis. Vor allem US-amerikanische Unternehmen rechnen in den kommenden zwei Jahren sogar mit rückläufigen Margen. Auch die Stimmung in der Schweiz ist eher gedämpft. Der Spardruck im öffentlichen Sektor, Gemeinschaftseinkäufe der Kunden (Krankenhäuser, Arztpraxen, Krankenkassen) sowie die wachsende Konkurrenz von Billigangeboten schmälern den Gewinn der Unternehmen.
Die Branche insgesamt: exzellente Markt- und Aktienperformance
Aleksandar Ruzicic, einer der Co-Autoren der Studie, stellt jedoch heraus, dass die Klagen der Medtech-Firmen auf hohem Niveau erfolgten und die negativen Trends sehr relativ zu werten seien. Im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen fährt die Branche beachtliche Profite ein. Zwar liegen die Margen nicht mehr zwangsläufig im zweistelligen Bereich, selbst während der Finanzkrise hatten jedoch die wenigsten Unternehmen Verluste zu verzeichnen. Auch ein Blick auf die Kursentwicklung an der Börse zeigt ihre insgesamt hervorragende Performance. In Relation zum MSCI World Index sowie zum MSCI World Health Care Index haben Medtech-Aktien seit 2007 permanent sowohl den Gesamtmarkt als auch die Aktien aus anderen Gesundheitsbereichen geschlagen.
Parallel dazu haben in verschiedenen Sektoren der Branche Konzentrationsprozesse eingesetzt, die von der Öffentlichkeit bisher jedoch kaum wahrgenommen wurden. Durch die aktuellen Ankündigungen von Grossfusionen werden sie jetzt augenfällig – zunächst vor allem bei US-amerikanischen Medtech-Konzernen: Medtronic hat erst kürzlich Covidien für 42,9 Milliarden US-Dollar akquiriert, die Zimmer Holding übernimmt Bionet.
Grössenvorteile durch Fusionen
Durch die Fusionen schöpfen die in der Regel hochliquiden Firmen Grössenvorteile aus. Der Medtech-Branchenexperte Götz Gerecke von Boston Consulting konstatiert, dass sich Medtronic durch den Zukauf endgültig als globaler Player positioniere. Bereits zuvor habe der nach Johnson & Johnson zweitgrösste Gesundheitskonzern der USA Komplettlösungen inklusive Beratung und Ausbildung angeboten. Obwohl Medtronic einen Umzug in das steuergünstige Irland plant, steht hinter den Konsolidierungen aus Gereckes Sicht nicht nur das Ziel der Steueroptimierung. Mit Covidien habe Medtronic vielmehr ein komplementäres Unternehmen eingekauft, dessen Produktsortiment mit dem eigenen Portfolio nur an wenigen Stellen überlappe.
In einigen Therapiegebieten sei die Konzentration bereits weit fortgeschritten. Nach der Übernahme von Bionet ist die Zimmer Holding bei Hüft- und Knieprothesen nach DePuy Synthes beispielsweise die Nummer zwei im Markt. In anderen Bereichen bestehen Potenziale für Fusionen – etwa bei Hörgeräten oder Diabetes-Therapien und damit in Bereichen, in denen auch Schweizer Firmen an exponierter Stelle tätig sind.
Neue Geschäftsmodelle: Wert von Leistungen statt reine Kostenoptimierung
Nach Einschätzung der Berater werden die strukturellen Veränderungen in der Medtech-Branche durch die Ausrichtung auf den Wert von Leistungen im Gesundheitswesen angetrieben, die unter anderem vom Harvard-Professor Michael Porter postuliert wird. Aus seiner Sicht lösten eine solche wertfokussierte Perspektive und damit auch neue Geschäftsmodelle in den Unternehmen die reine Kostenbetrachtung ab.
Welche Änderungen dies in der Praxis bringt, zeigt Medtronic ebenfalls exemplarisch. In den USA betreibt der Konzern inzwischen eigene Katheter-Labors, die es Krankenhäusern als Komplettpakete offeriert. Zwar werde die Durchsetzung dieses Trends bislang durch die generell geringe Kostentransparenz des Gesundheitswesens limitiert – die fortschreitende Digitalisierung ermögliche jedoch auch in diesem eine Optimierung von Prozessen und damit den effizienten Einsatz von Ressourcen. Berater Gerecke erwartet hier Einsparpotenziale von bis zu einem Viertel. Zum Teil sind die Kunden – beispielsweise Krankenhäuser – in dieser Hinsicht progressiver als die Unternehmen selbst, grundsätzlich seien jedoch beide Seiten für solche Kooperationen offen.
Rückkehr in die „entwickelten Märkte“ und Commoditisierung?
Beatus Hofrichter, Strategieberater bei der Beratungsfirma ConCep+ und ebenfalls einer der Studienautoren, stellt einen anderen Punkt heraus: Angesichts der belastenden Markt- und Wirtschaftstrends lassen die Medtech-Unternehmen grössere strategische Vorsicht walten. Ihren Wachstumsanspruch realisierten sie in den vergangenen Jahren vor allem durch Expansionen in die Schwellenländer, wo sie für die regionalen Märkte günstiger produzieren können.
Auf lange Sicht dürften sie jedoch gezwungen sein, auch in die „entwickelten Märkte“ zurückzukommen. Zudem werde die frühere „Innovationsprämie“ der Branche stetig kleiner: Reine Wertverbesserungen reichen für das Erzielen höherer Preise nicht mehr aus. Perspektivisch erwartet Hofrichter angesichts bereits sehr guter Produkte eine Commoditisierung, die – wie in vielen anderen Branchen auch – auf exzellente Marktfähigkeit ohne preisliche Extreme abzielt.
Die Medtech-Branche in der Schweiz
Auch wenn sich die Konsolidierungsdebatte bisher auf US-amerikanische Medtech-Unternehmen fokussiert: In keinem anderen Land spielt die Branche eine so prominente Rolle wie in der Schweiz. Im Medtech-Sektor waren 2011 über 51’000 Mitarbeiter beschäftigt. Mit einem Anteil von 2,1 % des Bruttoinlandsproduktes lag deren Wertschöpfung doppelt so hoch wie in anderen Ländern. 5,5 % der Schweizer Exporte stammen aus der Medtech-Branche, auch hier belegt sie im globalen Massstab einen unangefochtenen Spitzenplatz. Die Marktführerschaft haben Schweizer Medtech-Firmen beispielsweise bei Zahnimplantaten (Straumann und Nobel Biocare) oder Hörgeräten (Sonova) inne.
Die Auswirkungen der globalen Branchenkonsolidierung dürften also auch hierzulande spannend werden – durchaus mit positivem Ausblick und der Erwartung, dass die Schweizer Medtech-Industrie ihre Rolle hält und ausbaut.
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