Leiten ohne Leiden

Immer mehr Führungskräfte in der Schweizer Wirtschaft leiden, statt zu leiten. Besonders in der unteren und mittleren Führungsebene ist ein regelrechter Verschleiss an Kadern zu beobachten, der aber auch nicht vor der oberen Führungsriege Halt macht. Die Ursachen für das meist stille Leiden der Entscheider sind vielfältig.

Falsch gedachtes und ebenso falsch gemachtes Karrierestreben, ein fehlerhaftes Rollenverständnis, Überforderung und völlig überzogene Erwartungen gehören hier ebenso zum Alltagsgeschäft wie ein übergrosses Engagement in der Leitungsverantwortung. Damit Leiten nicht zum dauerhaften Leiden wird, lohnt es sich, die eigenen Fähigkeiten, die Rolle im Gesamtgefüge und die Erwartungen an Führungskräfte näher unter die Lupe zu nehmen.

Leiten kommt nicht von ungefähr

Wer einmal in einer Leitungsposition landet, hat sich das auf irgendeine Weise verdient. Sei es die spezielle Ausbildung im Studium, sei es eine besondere Fähigkeit oder sei es einfach nur die Tatsache, dass an als Unternehmensgründer ohnehin der Chef ist. Leitungspositionen werden in aller Regel an die übertragen, die dafür für fähig gehalten werden. Oftmals ist dabei zum Beginn einer Leitungskarriere gar nicht klar, ob sich die ausgewählten Personen tatsächlich für die Rolle als Führungskraft eignen. Letztlich kommt es hier nämlich nicht nur auf Wissen und Erfahrung, sondern in erster Linie auch auf Softskills an, die das Leiten von Menschengruppen überhaupt erst möglich machen. Dass die persönliche Eignung der Führungskräfte mit einem guten Mass an Sach- und Fachverstand einhergehen sollte, versteht sich eigentlich von selbst. Würden alle Führungspositionen mit diesen Hintergedanken besetzt werden, wäre das Leiden in den Schweizer Unternehmenshierarchien sicherlich ein leichteres.

Das richtige Verständnis der Führungsrolle

Leiter sind dies in der Regel nicht über den gesamten Tag hinweg. Die Leitungstätigkeit spielt sich vornehmlich in der beruflichen Sphäre ab. Daher ist es für Führungskräfte wichtig zu wissen, dass sie in dieser Zeit eine Rolle einnehmen, die nicht zwingend ihre Persönlichkeit bestimmt. Das richtige Rollenverständnis hilft bei der täglichen Leitungsarbeit genauso wie im übrigen Leben selbst. So müssen sich Leiter darüber bewusst sein, dass sie in erster Linie anleiten und dazu gewisser Qualitäten bedürfen. Zu diesen Qualitäten gehören Empathie für die Unterstellten, eine klare Abgrenzung nach unten, aber auch nach oben und die Fähigkeit, vorgegebene Zielstellungen im Verantwortungsbereich umzusetzen.

Dazu kommt je nach Hierarchieebene ein gutes Mass an fachlichem Sachverstand, ohne den eine qualifizierte und zielführende Leitung ohnehin nicht wirklich funktioniert. Mehr nicht, aber auch nicht weniger! Letztlich muss aber immer klar sein, dass hier eine Rolle gespielt wird, die nicht wenig mit der Lebensgeschichte des Einzelnen zu tun hat. Leiter werden meist nur die, die schon frühzeitig gelernt haben, sich in grösseren oder kleineren Gruppen überzuordnen und dort Inhalte des Zusammenseins definieren konnten. Dazu gehört eine gesunde Portion Selbstbewusstsein und das Wissen um die eigenen Fähigkeiten.

Eigene Fähigkeiten richtig einschätzen

Massgeblich für den Erfolg in der Leitungsrolle ist das richtige Einschätzen der eigenen Fähigkeiten. Nur wer sicher weiss, was er wirklich kann, wird sich auch als Führungskraft entsprechend positionieren können. Dabei sind auch Fähigkeiten und Fertigkeiten einem ständigen Reifeprozess ausgesetzt. Lernen bedeutet auch für Führungskräfte immer wieder die besondere Herausforderung. Wer seine Fähigkeiten überschätzt, wird besonders als Entscheider immer wieder an seine Grenzen stossen und mehr oder weniger deutlich darunter leiden.

Falsch eingeschätzte Fähigkeiten führen oftmals dazu, dass die eigentlichen Aufgaben nicht mit Souveränität gelöst werden können. Das wirkt sich auf das Verhältnis zu den Untergebenen genauso negativ aus wie auf die Anerkennung in der Hierarchie. Wer seine beruflichen und persönlichen Fähigkeiten richtig einschätzen will, sollte diese zumindest auch einmal über einen längeren Zeitraum hinweg einer belastbaren Prüfung unterzogen haben. Der Glaube, etwas zu können, entspricht nur selten der Realität. Hier ist es oftmals auch hilfreich, sich die Wahrnehmung von Familienangehörigen, Mitarbeitern und Freunden zunutze zu machen. Die sehen Sie nämlich anders, als Sie sich selbst sehen.


Klare Abgrenzungen schaffen. (Bild: ioks / shutterstock.com)


Klare Abgrenzungen schaffen

Als Leiter ist man einem doppelten Druck ausgesetzt. Dieser Druck kommt zum einen von unten und zum anderen von oben. Ist man dieser Doppelbelastung nicht gewachsen, stellt sich über kurz oder lang ein gewisser Leidensdruck ein, der irgendwann ein Ventil zum Ausgleich sucht. Meist werden dann Unterstellte als Prellbock für das eigene Unvermögen herangezogen. So kommt es schnell zu Ungerechtigkeiten, die das Bild vom Leiter in den unteren Chargen erheblich trüben. Im Endeffekt wird der Erwartungsdruck von unten noch grösser oder die unterstellten Mitarbeiter lehnen die Führungsperson offen ab.

Ist dann das Vertrauensverhältnis erst einmal nachhaltig beeinträchtigt, lässt sich nur noch schwer am Erreichen der gesteckten Ziele arbeiten. Auch Führungskräfte, die dem Druck von oben nicht gewachsen sind, stossen schnell an ihre Grenzen. Meist wird dann ein zu legeres Verhältnis zu den Unterstellten gepflegt, um sich wenigstens hier auf der sicheren Seite wähnen zu können. Wichtig für Leiter, egal in welcher Hierarchiestufe ist, sich sowohl nach unten als auch nach oben klar abzugrenzen. Das betrifft auch die Abgrenzung gegenüber Aufgabenstellungen und Verantwortlichkeiten, die mit der eigenen Führungsposition gar nicht wirklich verknüpft sind.

Werden diese Grundregeln des Leitungsverständnisses auch im Alltag umgesetzt, wird aus dem Leiten eine Lust, die nicht Gefahr läuft, dem Frust des Leidens zu unterliegen.

 

Oberstes Bild: © Shawn Hempel – shutterstock.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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