IBMs neue Software analysiert die Persönlichkeit - neue Ausblicke für Online-Werbung

Werbung ist umso effektiver, je exakter sie auf die Zielgruppe zugeschnitten ist. Dieser altbekannten Marketing-Maxime waren bislang enge Grenzen gesetzt, da es nicht möglich war, ohne persönliche Kenntnis einer Person ein psychologisches Profil von ihr zu erstellen. Bis jetzt. IBM arbeitet an etwas, das einer Orwellschen Utopie entsprungen zu sein scheint – und eine neue Ära der Online-Werbung einläuten könnte.

Die Software soll die Twitter-Aktivitäten von Nutzern analysieren und daraus Rückschlüsse auf deren Psyche ziehen. Aus diesen Informationen wiederum könnten dann massgeschneiderte Anzeigen und Produktvorschläge erstellt werden, die in ihrer Genauigkeit alles bisher Dagewesene übertreffen.

Das Besondere an IBMs Neuentwicklung ist, dass sie nicht nur blosses Klickverhalten einbezieht. „Wir müssen tiefer gehen als die Verhaltensanalyse, wie sie von Amazon durchgeführt wird“ sagt Michelle Zhou, Leiterin der User Systems and Experience Research Group am kalifornischen Almaden-Forschungszentrum von IBM. Dazu sollen soziale Netzwerke, allen voran Twitter, als Datenbasis für tiefenpsychologische Analysen herhalten. Die zu erforschenden Persönlichkeitsmerkmale sind die „grossen fünf“ der psychologischen Forschung: Extrovertiertheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigeit, Neurotizismus, und Offenheit für Erfahrungen.Darüber hinaus ordnet das Programm einer Person Werte (wie Hedonismus oder Konservatismus) sowie Bedürfnisse (wie Neugier oder Harmoniebedürfnis) zu. Die Software soll letztlich Fragen beantworten wie etwa „Wozu fühlt sich die Person generell hingezogen?“ oder „Wie emotional widerstandsfähig ist die Person?“.

Grosse Chancen für das Online- und Offline-Business

Aktuell wird laut Zhou das Programm mit IBM-Kunden getestet, deren Unternehmen von der Neuentwicklung profitieren könnten. Welche das sind, will sie nicht sagen – worin der Nutzen bestehen wird, schon: So könnten E-Mail- oder Social Media-Anzeigen besser personalisiert oder der Werbeinhalt, der einer Person beim Einloggen in Twitter oder Facebook angezeigt wird, passender ausgewählt werden. Dabei wird IBM natürlich auch testen, wie effektiv die aufgrund der Programmanalyse angepassten Inhalte ihre Wirkung tun. Bedarf besteht besonders im Bereich E-Mail-Marketing definitiv, denn hier liegt die Konversionsrate nur bei 0,34 Prozent. Zum Vergleich: Telefonwerbung bringt es auf 13 Prozent Erfolgsquote. „Unsere Hypothese ist, dass die Konversionsrate ziemlich hoch liegen wird“ sagt Michelle Zhou.


Beispiel einer Persönlichkeitsanalyse durch die IBM-Software. (Quelle: IBM)


Doch nicht nur im Online-Bereich könnte die neue Software Unternehmen nützlich sein. Jede Art von Customer Relation Center profitiert davon, die Persönlichkeitszüge der Kunden genau zu kennen. Für Fluggesellschaften etwa könnte sich daran entscheiden, welche Entschädigung Sie den Passagieren für einen verspäteten Flug anbietet. Studien haben gezeigt, dass extrovertierte Menschen eine Belohnung erwarten, zum Beispiel 10’000 Vielflieger-Punkte, während die Gewissenhaften eher effizient denken und lieber sofort den genauen Starttermin wissen wollen. Auch Callcenter-Mitarbeiter würden wertvolle Informationen an die Hand bekommen, die ihnen einen angemessenen Umgang mit dem Kunden ermöglichen: eher sachlich, faktenorientiert oder engagiert-einfühlsam.

Mit Persönlichkeitsprofilen die Zukunft voraussagen

Zwar existiert bereits Software, die Social Media-Aktivitäten analysiert. Die bestehenden Programme sind jedoch darauf fokussiert, die Interaktionen von Unternehmensvertretern mit Kunden zu begleiten oder den generellen Tonfall einer Diskussion zu subsummieren. Das Erstellen von Individualprofilen ist ein Novum. Entwickelt wurde IBMs neuester Wurf dadurch, dass Daten von Personen mittels klassischer Fragebögen erhoben und diese Informationen dann mit den Twitter-Aktivitäten der Probanden verglichen wurden. Eine Software „lernte“ schliesslich, die Persönlichkeitsmerkmale der Personen mit bestimmten Wortmustern in Verbindung zu bringen. Aus diesen Datensätzen wurde schliesslich ein Modell entworfen, das Wesenszüge allein aus Tweets schliessen kann.

Ein erster Test mit 300 Personen, die ihren Twitter-Account für die Analyse zur Verfügung stellten und sich gleichzeitig einer psychologischen Befragung unterzogen zeigte laut Zhou „eine Übereinstimmung in fast 80 Prozent der Fälle“. Bei Menschen wie Journalisten, die Twitter in einer speziellen Weise nutzen, war die Korrelation allerdings nicht so hoch. Dennoch, so Zhou, sei die Software ein grosser Fortschritt für Unternehmen, die sich in jedem Fall derzeit auf wesentlich unpräzisere Analysewerkzeuge stützen müssten. Ausserdem liesse sich das Programm auch so adaptieren, dass es auf andere Daten zurückgreifen könne, zum Beispiel auf Callcenter-Transkripte oder Kundenservice-Chatprotokolle. Man müsse nicht die gesamte Persönlichkeit eines Menschen korrekt analysieren, um ihm wirksamere Werbung präsentieren zu können, so die IBM-Testleiterin.

Gestützt werden Zhous Argumente von Andrew Schwartz, Forscher an der Universität von Pennsylvania. Er hat sich in einer grossen Studie mit dem Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Facebook-Aktivität befasst. Sein Fazit: “Es erscheint zutreffend, dass die Kenntnis einer Persönlichkeit hilfreich wäre für die Präsentation von Werbung, welche die Wellenlänge des Empfängers besser trifft.“ Der Hauptgrund: Wer die Wesenszüge einer Person kennt, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre zukünftigen Aktionen voraussagen.

Zu hoffen bleibt bei allem Fortschritt nur, dass der Datenschutz nicht auf der Strecke bleibt – und der Gedanke an einen „gläsernen Menschen“ nur eine oberflächliche Assoziation.

 

Oberstes Bild: © TOM – Fotolia.com

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