Vier Megatrends, die die Weltwirtschaft verändern

Weltwirtschaft und Weltgesellschaft befinden sich in einem rasanten Wandel, dessen Tempo immer schneller wird. Ein aktuelles Buch definiert vier globale Megatrends, die bisher gültige ökonomische und soziale Paradigmen radikal verändern werden.

Richard Dobbs, James Maniyka und Jonathan Woetzel sind Direktoren des McKinsey Global World Research Institute. Ihrem aktuellen Buch „No Ordinary Disruption: The Four Forces Breaking All The Trends“ („Kein normaler Bruch: Die vier Kräfte, die alle Trends verändern“) liegen lange Jahre Forschungs- und Beratungstätigkeit zugrunde.

Ihre Ausgangsthese besteht darin, dass unsere wirtschaftlichen und sozialen Paradigmen – oder „Intuitionen“ – in einer Zeit entstanden sind, als die Weltwirtschaft sich als ausgesprochen freundlich präsentierte. Aus ihrer Sicht ist diese Zeit der „grossen Moderation“ jedoch endgültig vorbei. In der Weltwirtschaft herrscht bereits jetzt ein raues Klima, das künftig noch härter werden dürfte.


Richard Dobbs, James Manyika und Jonathan Woetzel (von links nach rechts), die Autoren des Buchs „No Ordinary Disruption: The Four Forces Breaking All the Trends“. (Bildquelle: mckinsey.com)

Woher wir kommen und wohin wir gehen

Über Jahrzehnte konnten die Akteure in der Wirtschaftswelt mit steigenden Gewinnen, niedrigen Kapitalkosten sowie ausreichenden materiellen und personellen Ressourcen kalkulieren. Die jeweils jungen Generationen konnten zumindest in den auch politisch weitgehend stabilen Industrienationen mit grösserem Wohlstand als ihre Eltern rechnen. Heute bietet sich ein grundsätzlich anderes Bild, das durch knapper werdende Ressourcen, volatile Rohstoffpreise und einen schrumpfenden Arbeitsmarkt geprägt ist. Die Möglichkeiten einer dauerhaften Arbeitsmarktintegration sind für viele Menschen mit geringen Qualifikationen bereits jetzt nicht mehr gegeben. Auch die Kosten für Kapital und damit für Investitionen könnten perspektivisch steigen.

Die McKinsey-Chefs beschreiben innerhalb dieser Entwicklungen vier Megatrends – den Aufstieg der Schwellen- und einiger Entwicklungsländer, die Beschleunigung der Technologieentwicklung, eine alternde Weltbevölkerung und eine globale Wirtschaft, in der sich die Ströme von Kapital, Handel, Daten, aber auch von Menschen immer mehr vernetzen. Die drei Autoren schreiben, dass die Auswirkungen dieser Veränderungen die Einflüsse der industriellen Revolution bei weitem übersteigen – immerhin galt letztere bisher als die grösste wirtschaftliche und soziale Revolution seit dem Übergang zu einer sesshaften Produktions- und Lebensweise in der frühen Steinzeit. Im Vergleich zum Fortschreiten der industriellen Revolution verlaufe der aktuelle Wandel zehn Mal schneller, seine Auswirkungen hätten einen 3’000 Mal grösseren Einfluss.


Der Aufstieg der Schwellenländer ist ein Megatrend der Zukunft. (Bild: Shanghai – © J. Patrick Fischer – Wikimedia – CC)

Trend No. 1 – Aufstieg der Schwellenländer und Urbanisierung

Die dynamischen Zentren der Weltwirtschaft werden sich laut Dobbs, Maniyka und Woetzel immer stärker in die Schwellenländer verlagern, auch einige bisherige Entwicklungsländer erhalten im Verlauf dieser Prozesse Aufstiegschancen. Die drei Experten rechnen vor, dass zur Jahrtausendwende 95 Prozent der weltweit wichtigsten Konzerne ihren Hauptsitz in den USA oder Europa hatten. Bis 2025 dürfte etwa die Hälfte der Unternehmen mit Jahresumsätzen von mehr als einer Milliarde US-Dollar nach China oder in andere Schwellenländer abgewandert sein. Diese Entwicklung hat perspektivisch einen gewaltigen Urbanisierungsschub zur Folge, der sich nicht auf bereits heute prosperierende neue Metropolen wie Shanghai, Mumbai oder Dubai City beschränken, sondern auch viele bisher allenfalls mittelgrosse Städte erfassen wird. Im Welthandel werden diese neuen urbanen Entitäten künftig eine zentrale Rolle spielen.



Trend No. 2 – Technologischer Wandel und Big Data

Der technologische Wandel hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant beschleunigt, seine entscheidenden Impulse erhielt er durch die mikroelektronische Revolution seit dem Beginn der 1970er Jahre. Die Autoren nennen einige Beispiele, die das Tempo der Technologieentwicklung sowie der massenhaften Etablierung neuer Kommunikationsformen illustrieren. Nach der Erfindung des Telefons dauerte es beispielsweise über 50 Jahre, bis etwa die Hälfte der US-Amerikaner einen Telefonanschluss besass. Als Facebook online ging, hatte das soziale Netzwerk bereits nach einem Jahr etwa sechs Millionen Nutzer, nach sechs Jahren erreichte die Zahl der Facebook-Accounts die Milliardengrenze. Zwei Jahre nach dem Launch von Apples iPhone gab es für das Gerät etwa 120’000 Apps, Anfang Januar 2015 waren im Apple Store über 1,4 Millionen Apps verfügbar.

Mit der Entwicklung der digitalen Technologien wächst auch die globale Datenflut. Seit 2011 ist unter Wirtschaftslenkern und IT-Experten zunehmend von „Industrie 4.0“ die Rede – die vollautomatisch gesteuerten Fabriken werden die Arbeitswelt in den kommenden Jahrzehnten ein weiteres Mal grundlegend verändern. Die Informationstechnologien bieten etablierten Firmen und Start-ups völlig neue kommerzielle Möglichkeiten. Gleichzeitig verkürzen sie den Lebenszyklus von Unternehmen und Geschäftsmodellen, was seitens des Managements unter anderem schnellere Entscheidungsprozesse und eine entsprechende Ressourcenplanung erfordert.


Die meisten Industrieländer haben mit der Überalterung ihrer Bevölkerungen zu kämpfen. (Bild. © Alexander Raths – shutterstock.com)

Trend No. 3 – Demografischer Wandel

Die Bevölkerung der Welt wächst zwar noch immer deutlich, trotzdem haben die meisten Industrieländer mit der Überalterung ihrer Bevölkerungen sowie einem manifesten Bevölkerungsrückgang zu kämpfen. Inzwischen hat sich dieser Trend auch auf China ausgeweitet, in absehbarer Zeit könnte er auch Lateinamerika erreichen. Für die Wirtschaft der betroffenen Länder ergeben sich daraus dramatische Folgen – durch den demografischen Wandel könnten sie mittel- und langfristig ihr Wachstumspotenzial verlieren. Hinzu kommen explodierende Kosten für die Pflege und Betreuung älterer Menschen.


Die zehn Länder mit der jeweils grössten Bevölkerung in den Jahren 1950, 2000 und 2013 sowie Prognose für 2050 und 2100 (in Millionen Einwohner)
Einwohner in Millionen 1950 2000 2013 2050* 2100*
China 544 1.280 1.386 1.385 1.086
Indien 376 1.042 1.252 1.620 1.547
USA 158 285 320 401 462
Indonesien 73 209 250 321 315
Brasilien 54 175 200 231
Pakistan 144 182 271 263
Nigeria 123 174 440 914
Bangladesch 132 157 202
Russland 103 147 143
Japan 82 126 127
Deutschland 70
Großbritannien 51
Italien 46
Äthiopien 188 243
Philippinen 157
Tansania 276
Dem. Rep. Kongo 262
Uganda 205

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Trend No. 4 – Die Welt vernetzt sich immer stärker

Die globale Vernetzung der Wirtschaftswelt wirkt sich bereits heute aus – und geht ebenfalls zu Lasten der Industrienationen respektive der bisherigen wirtschaftlichen Zentren. Eine der wichtigsten Handelsregionen ist heute Asien. Im vergangenen Jahrzehnt ist der Handel zwischen den Schwellenländern und auch zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern explodiert. Auch hier liefern die Autoren Zahlen. Demnach ist das Handelsvolumen zwischen China und Afrika von neun Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 2011 Millionen US-Dollar im Jahr 2012 gewachsen. Der weltweite Kapitalfluss sei im gleichen Zeitraum um das 25-fache angestiegen. Verwerfungen an den Finanzmärkten ziehen heute immer auch die Gefahr globaler Krisen nach sich. Hinzu komme die globale Migration – im Jahr 2009 habe über eine Milliarde Menschen ihr Heimatland verlassen, worunter sowohl Arbeitsmigranten als auch Flüchtlinge fallen, die sich wegen politischer und militärischer Gewalt oder aus blanker Not zu diesem Schritt entschliessen mussten.

Adaption an eine neue Realität

Anhand ihrer Analyse kommen die McKinsey-Autoren zu dem Schluss, dass Firmenlenker und politische Entscheidungsträger sich nicht mehr auf die „Intuitionen“ und Erfahrungen der Vergangenheit verlassen dürften. Wenn sie nicht schaffen, sich an die neue Realität durch Anpassung an die neuen Gegebenheiten und die Entwicklung entsprechender Strategien zu adaptieren, dürfte ihnen in Zukunft kaum noch Erfolg beschieden sein.

Omnipotente Wachstumsideologien oder echte Lösungen für eine neue Weltwirtschaft?

Relativ im Dunkeln bleibt allerdings, worin diese Adaption an eine neue Realität bestehen müsste. Unternehmen ist angesichts der Verschiebung der globalen Zentren wohl am ehesten zu raten, dass sie sich auf ihre Präsenz in den neuen dynamischen Regionen fokussieren. Komplexe Lösungen für die weltgesellschaftlichen Probleme sind damit allerdings nicht verbunden. Auf dem St. Gallen Symposium standen bereits im Jahr 1972 die „Grenzen des Wachstums“ zur Debatte. Die Ideen für eine neue Weltwirtschaft kommen nach wie vor nicht aus den Regierungssitzen oder aus den Chefetagen der Konzerne. Auch das McKinsey-Buch zum Thema beschränkt sich vor diesem Hintergrund vor allem auf die Beschreibung von Symptomen, die für die Konzerne und die Industrienationen potentiell negative Folgen haben könnten. Es bleibt damit – bei aller Kritik daran – den omnipotenten Wachstumsideologien der Vergangenheit verhaftet.

 

Oberstes Bild: © mibPhoto – Fotolia.com

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