Warum Griechenland strukturell nicht auf die Beine kommt

Nachdem die neue griechische Regierung die Weiterführung des Spar- und Reformprogramms verweigert, ist die Debatte über die griechischen Perspektiven wieder in allen Medien präsent. Im Fokus stehen dabei der Schuldenberg der Griechen und die Möglichkeit ihres Ausstiegs aus dem Euro.

Die strukturellen Ursachen der griechischen Misere werden in den aktuellen Diskussionen dagegen kaum betrachtet. Der Konsens in der EU ist bisher, dass Griechenland nur dann mit weiteren Hilfen rechnen kann, wenn es sich dem von der EZB, der EU-Kommission und dem IWF verordneten Sparkurs beugt, was unter anderem impliziert, dass das Land seine Schuldenkrise durch zu grosszügige Ausgaben selbst verursacht hat. Der Schweizer Ökonom und Wirtschaftsjournalist Thomas Fuster nähert sich dem Thema in einem Artikel für die „NZZ“ dagegen von einer anderen Seite: Demnach hat Griechenland nicht primär mit einem Schuldenproblem, sondern mit mangelnder Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen.

Interne Abwertung als Folge des Euro-Beitritts

Fuster schreibt, dass die Probleme Griechenlands unter anderem aus dem Euro resultieren. Nach dem Beitritt zur europäischen Währungsunion stand das Mittel einer externen Währungsabwertung zur Korrektur von Wettbewerbsschwächen nicht mehr zur Verfügung. In den vergangenen Jahren blieb Griechenland angesichts von Rezession und Schuldenlast nichts anderes übrig, als auf eine interne Abwertung zurückzugreifen, durch die Senkung von Löhnen und Preisen also eine Deflation herbeizuführen. Die griechische Inflationsrate ist bereits seit 2013 negativ, im Dezember 2014 hatte sie bei – 2,6 Prozent gelegen.

Der „reale effektive Wechselkurs“ indiziert einen Anstieg der Produktivität

Die positive Kehrseite dieses Trends besteht darin, dass griechische Produkte und Dienstleistungen seit 2009 im internationalen Vergleich deutlich billiger geworden sind. Fuster zieht zur Erläuterung hier den „realen effektiven Wechselkurs“ heran, der als Produktivitätsindikator betrachtet wird, da er das Niveau von Preisen und Lohnstückkosten in verschiedenen Ländern vergleicht. Für Griechenland ist das Ergebnis dieser Kalkulation durchaus überraschend: Im internationalen Vergleich ist das Land seit dem Krisenjahr 2009 nicht nur deutlich billiger geworden, sondern hat – beispielsweise im Vergleich zu Deutschland – auch fast seine gesamte, seit der Euro-Einführung schrittweise verlorene Wettbewerbsfähigkeit wiedergewonnen. Theoretisch hätte daraus als Auslöser für weiteres Wirtschaftswachstum resultieren müssen, der im Fall Griechenlands allerdings ausgeblieben ist.


Yanis Varoufakis – seit dem 27. Januar 2015 ist er Finanzminister der Regierung unter Alexis Tsipras. (Bild: Kostas Koutsaftikis / Shutterstock.com)


Die griechischen Exportpreise sind zu hoch

Zwar gibt es in diesem Kontext durchaus positive Zahlen: 2014 ist die griechische Wirtschaft um 1,7 Prozent gewachsen, ihre Exporte haben sogar um zehn Prozent zugelegt. Das Problem dabei: Die Preise griechischer Exporte sind laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Capital Economics seit 2009 trotz sinkender Preise auf dem Binnenmarkt nicht gefallen, sondern kontinuierlich angestiegen. International ist die Wettbewerbsfähigkeit griechischer Produkte – nicht zuletzt im Vergleich mit den Exporten anderer südeuropäischer Krisenstaaten – nach wie vor begrenzt. Laut Fuster haben die Leistungsbilanzüberschüsse der Jahre 2013 und 2014 ihre Ursache nicht in florierenden Exporten, sondern im Einbruch der Einfuhren des Landes, da die Nachfrage nach und die Kaufkraft für importierte Waren seit der Schuldenkrise nicht mehr gegeben ist. Seit 2008 sind die griechischen Exporte nur um 1,5 Prozent gewachsen, die Importe dagegen um 35 Prozent zurückgegangen. Dass die Exportquote am Bruttoinlandsprodukt im gleichen Zeitraum angestiegen ist, liegt vor allem am Einbruch des BIP, das in diesem Zeitraum um 24 Prozent geschrumpft ist.

Schwacher Exportsektor mit geringen Wertschöpfungs-Potenzialen

Die Gründe dafür, dass die Exporte das Wirtschaftswachstum Griechenlands nur in sehr beschränktem Masse treiben können, finden sich in verschiedenen Faktoren. Sowohl die griechische Exportwirtschaft als auch der Binnenmarkt des Landes sind im internationalen Vergleich seit jeher klein. Anders als in Ländern wie Irland oder der Slowakei ist eine stärkere internationale Ausrichtung der Wirtschaft bisher ausgeblieben. Fuster beschreibt Griechenland als eine „kleine geschlossene Volkswirtschaft“, deren Exportindustrie vor allem von Schiffstransporten und Tourismus lebt. Zwar stellen Erdölprodukte 40 Prozent der griechischen Exporte – Griechenland fördert jedoch selbst kein Erdöl, sondern agiert hier lediglich als Umschlagplatz. Die meisten anderen Exportgüter sind Agrarprodukte, Rohwaren oder Massengüter, deren Herstellung nur mit geringer Wertschöpfung, jedoch hoher Arbeitsintensität verbunden ist.



Fazit: Ein neues Wirtschaftsmodell ist überfällig

Die Exportstrukturen Griechenlands sind damit einer Einschätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zufolge typisch für einkommensschwache Länder. Erforderlich für eine nachhaltige Entwicklung ist ein neues Wirtschaftsmodell, das bisher ungenutzte ökonomische Kapazitäten aktiviert, die traditionelle Binnenmarktorientierung aufbricht und in der Lage ist, eine wertschöpfungsorientierte Exportindustrie zu etablieren. An diesem Punkt beginnt allerdings auch das griechische Dilemma: Zur Bewältigung dieser Aufgaben braucht Griechenland Investoren, für die entsprechende Projekte jedoch nur dann attraktiv sind, wenn die interne Abwertung sich auch in niedrigeren Exportpreisen niederschlägt. Kurz: Es geht um eine strukturelle Entwicklung, die vor allem die internationale Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands im Blick behält. Eine offene Frage ist, ob diese bei Aufrechterhaltung der Bindung an den Euro möglich ist oder ob die Rückkehr zu einer stark abgewerteten Drachme die besseren Entwicklungschancen bietet.

Ebenso fraglich ist, inwiefern die Syriza-Regierung in Athen diese Anforderungen begriffen hat und sie in konkretes wirtschaftspolitisches Handeln umsetzt. Bisher ging es Alexis Tsipras und seiner Regierungsmannschaft vor allem um das Erreichen eines Schuldenschnitts und die Re-Etablierung eines staatlich dominierten ökonomischen Modells, in dem echte strukturelle Änderungen keine Rolle spielen. Brandaktuell ist allerdings eine Meldung vom vergangenen Sonntag, nach der der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras für sein Land keine neuen Hilfskredite, sondern Zeit verlangt, um eigene Reformvorhaben auf den Weg zu bringen.

 

Oberstes Bild: Es ist fraglich, inwiefern die Syriza-Regierung in Athen die Anforderungen der EU begriffen hat. (© Ververidis Vasilis / shutterstock.com)

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