Das neue Rechnungslegungsrecht als Steuerkatalysator

In diesem Bericht wird die geänderte Rechnungslegung unter steuerlichen Gesichtspunkten analysiert. Der vollständige Artikel zu diesem Thema wurde im März 2014 in einer Fachzeitschrift publiziert (am Ende finden Sie die Quellenangabe).

95% der Steuerentscheide gehen zu Lasten der Steuerpflichtigen, beim Bundesgericht sind es 90%. Dies geht nicht zurück auf eine formell oder materiell schlechte Ausgangslage der Steuerpflichtigen, sondern ist ein systemimmanenter Mangel des Steuerverfahrens und des Verfahrens vor den Steuergerichten. Alle Behördenmitglieder der Verwaltung und der Gerichte sind Staatsangestellte und grundsätzlich staatsfreundlich orientiert. Das neue Rechnungslegungsrecht wird an dieser Ausgangslage nichts ändern und trotz hehrer proklamierter Steuerneutralität Abgaben erhöhend wirken.

Nach OR 958 soll die Rechnungslegung die wirtschaftliche Lage des Unternehmens so darstellen, dass sich Dritte ein zuverlässiges Urteil bilden können. Die „fair presentation“ gewinnt damit den neuen tragenden Massstab. Stille Reserven wären damit nicht möglich.

Demgegenüber stehen die Materialien und die Botschaft, welche immer und immer wieder betonen, dass die Einführung des neuen Rechnungslegungsgesetzes steuerneutral sein soll.

Es gibt ein paar Rechtswohltaten der Steuerpraxis, welche den Gewinnausweis markant reduzieren: Warenlagerdrittel, Delkredere sowie Sofortabschreibung, um die wichtigsten zu nennen. Diese sind mit den Grundsätzen einer „true and fair view“ nicht in Einklang zu bringen.

In der Tat liegt damit folgende Ausgangssituation: Da das frühere Rechnungs­legungsrecht offener war, hatten steuerliche Rechnungslegungsvorschriften eher Platz in der Bilanz und Erfolgsrechnung, wobei die Rahmenbedingungen durch die Steuerverwaltung festgelegt wurden. Nach neuem Recht haben die gleichen steuerlichen Rechnungslegungsnormen streng genommen keinen Platz mehr, dürften aber von der Steuerverwaltung akzeptiert werden. A prima vista dürften die Steuerneutralitätsbekundungen umgesetzt werden. Wie weit dies in der weiteren Zukunft Anwendung finden wird, ist eine offene Frage, welche ihre Antwort im Fiskalhunger der öffentlichen Hand finden wird.

Auf dem Warenlager, ermittelt nach den Normen der Rechnungslegung und deren verschiedenen Methoden  (FiFo, LiFo, etc.), erlaubt die Praxis der Steuerverwaltung die Bildung eines Warenlagerdrittels. Somit kann ein Warenlager zu einem Verkehrswert von CHF 9 Mio. zu 6 Mio. bilanziert werden (als Beispiel). Um CHF 3 Mio. kann der Warenaufwand erhöht werden. Eine angenehme Rechtswohltat der Steuerpraxis. Sollte die Bildung im ersten Jahr nicht möglich sein, so kann diese Reserveposition sukzessive aufgebaut werden. Es ist selbsterklärend, dass damit der steuerbare Gewinn erheblich reduziert wird, damit wird aber auch der Gewinn der identischen Handelsbilanz gekürzt und entspricht nicht mehr der „fair presentation“.


Welche steuerlichen Folgen hat die geänderte Rechnungslegung? (Bild: © Marco2811 – Fotolia.com)

Gemäss Praxis der Steuerverwaltungen werden pauschale Delkredere auf Debitoren gewährleistet: 5% auf Debitoren, 10% auf ausländischen Debitoren und 15% auf ausländischen Debitoren in Fremdwährung, mit kantonalen Besonderheiten. Meistens wird diese pauschale Wertberechtigung auf dem Nettobetrag der Debitoren nach Abzug der effektiv gefährdeten Debitoren gewährt. Auch hier handelt es sich um die Bildung einer stillen Reserve, welche der „true and fair view“ widerspricht.

Weitere Öse von Steuerrecht zu „fair presentation“ ist die neu geforderte Bilanzierung, somit Aktivierung, von noch nicht in Rechnung gestellten Dienstleistungen. Bisher war diese Bilanzposition bei KMU im Dienstleistungsbereich selten zu sehen. Üblich war und ist, die per Geschäftsjahr in Rechnung gestellten Debitoren zu erfassen. Eine zusätzliche Bilanzposition „Angefangene Arbeiten“ war unüblich. Für eine steuerneutrale Erfassung bedarf es der individuellen Beratung. artax Fide Consult AG hat dazu Lösungsansätze entwickelt.

Nachdem die Krux von Steuerneutralität und „fair Presentation“ aufgezeigt worden ist, stellt sich die Frage, wie die Lösungsansätze für die erwünschte und durch die Materialien garantierte Steuerneutralität rechnungslegungskonform umgesetzt werden kann.

Erster Lösungsansatz: Wer unter Abweichung der Rechnungslegungsvorschriften des neuen Rechnungslegungsrechts die bisherigen Steuerwohltaten in Anspruch nehmen will, ist bei korrekter Umsetzung gezwungen, den Ausweis im Anhang aufzuzeigen. Damit wird die mögliche Gewinnaufrechnung im Steuerausweis geradezu impliziert, ist aber notwendige Folge einer korrekten Anwendung der Normen.

Der zweite Lösungsansatz liegt in der dualen Rechnungslegung: Es wird eine Bilanz erstellt nach den Normen des Steuerrechts und eine nach den Normen des Rechnungslegungsrechts, insbesondere ohne stille Reserven. Die Lösung ist radikal, aber glaubwürdig.

Den am Anfang erwähnte Fachartikel „Das neue Rechnungslegungsrecht als Steuerkatalysator“ finden Sie hier.

Erschienen im März 2014: Anwaltsrevue 3/14

Artikel von: artax Fide Consult AG / Mitglied von Morison International / www.artax.ch

 

Oberstes Bild: © DOC RABE Media – Fotolia.com

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Mehr zu Dr. iur. Bernhard Madörin

Seit 2000 ist Dr. iur. Madörin Partner und langjähriges Mitglied des Verwaltungsrates der artax Fide Consult AG. Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer hat er als Steuer- und Treuhandexperte die Gesamtverantwortung für die Bereiche Steuern, Recht und Unternehmungsberatung inne und kann heute auf rund 30 Jahre Berufserfahrung als Treuhänder und selbständiger Unternehmer zurückblicken.

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