Introvertiert? Wie diese Eigenschaft ein entscheidender Erfolgsfaktor werden kann

Zwar sind wir inzwischen glücklicherweise in der Ära der „Soft Skills“ angekommen. Erfolg definiert sich nicht mehr (ausschliesslich) über Ellbogen-Mentalität und Killer-Instinkt. Dennoch sind einige Eigenschaften immer noch mit einem gewissen Tabu belegt, wenn es um Einstellungskriterien und gewünschte Mitarbeiterqualitäten geht. Denn je wichtiger soziale Kompetenz wird, desto mehr Wert legen Personaler auf die interpersonellen Fähigkeiten prospektiver Mitarbeiter. Introvertiertheit und Schüchternheit, um einen eher altmodisch klingenden Ausdruck zu gebrauchen, werden in diesem Zusammenhang zu eher problematisch eingestuften Wesenszügen.

Dies ist jedoch ein gravierender Fehler, den sowohl Geschäftsführer als auch Personalverantwortliche und nicht zuletzt die Betroffenen selbst gründlich überdenken sollten. Denn meist bringen introvertiert veranlagte Menschen entscheidende „sekundäre“ Eigenschaften mit, die für jedes Unternehmen gewinnbringend sein können. Es ist nicht nur essenziell für die Gestaltung einer produktiven und fruchtbaren Unternehmenskultur, dass eher zurückhaltenden Mitarbeitern ein eigener Raum zugestanden wird und entsprechende Bewerber eine angemessene Berücksichtigung finden. Es ist auch für Sie selbst, wenn Sie zu den eher bedächtigen Menschen zählen, essenziell, dass Sie eine eigene Sprache und Herangehensweise finden, um die Ihnen ganz eigenen wertvollen Eigenschaften in Ihr Unternehmen einbringen zu können.

Nachfolgend werden die essenziellen Charakterzüge aufgelistet, die introvertierte Menschen häufig auszeichnen – und es wird erläutert, wie jene sich für jedes Unternehmen erschliessen lassen.

Introvertierte Menschen denken tiefgängiger und sorgfältiger

Wer weniger Zeit damit verbringt, nach aussen zu glänzen, hat mehr Ressourcen zur Verfügung, um nach innen zu reflektieren. Dieser konstante Evaluierungsprozess wird vom Denkenden selbst manchmal als Belastung wahrgenommen. Das geschieht aber weniger um des Prozesses selbst willen als ob der Tatsache, dass Gedanken irgendwann beginnen, sich um sich selbst zu drehen. Viel konstruktiver kann diese Ressource genutzt werden, um langfristig zu entwickelnde Projekte oder strukturell tiefgehende Herausforderungen anzugehen, die parallel einer Vogelperspektive als auch einer Liebe fürs Detail bedürfen.

Pragmatiker und extrovertierte Menschen neigen dazu, angesichts von Problemen auf schnelle, sofort wirksame und deutlich sichtbare Lösungen zu fokussieren. Das kann ungeheuer wertvoll sein, um den operativen Betrieb aufrechtzuerhalten. Es führt aber oft auch dazu, dass Symptome eher als Ursachen beseitigt werden. Introvertierte Menschen hingegen sind an komplexe Denkprozesse gewöhnt, die zur kausalen Wurzel vordringen und nachhaltigere Lösungen produzieren.

Fast immer ist das Tempo dieser analytischen Prozesse allerdings langsamer als die tägliche Arbeitsgeschwindigkeit. Um diese Diskrepanz abzufedern, eignen sich unternehmensinterne Thinktanks besonders gut, deren Ergebnisorientierung und Erfolgsquote explizit anders definiert wird als das „Alltagsgeschäft“. In einem solchen Raum blühen introvertierte Mitarbeiter oft förmlich auf. Wenn Sie das Gefühl haben, für Ihr Unternehmen in einem solchen Rahmen grundsätzliche Entwicklungsarbeit leisten zu können, dann überwinden Sie Ihre Abneigung gegen Eigenwerbung und schlagen Sie ein Modell vor, dass Ihre analytischen oder detailliert-organisatorischen Fähigkeiten voll einbringt.



Introvertierte Menschen sind exzellente Beobachter

Das bedingt ihre manchmal selbst gewählte, oft von aussen generierte Positionierung „am Rand“. Viele Personaler, Projekt- und Abteilungsleiter empfinden diese Stellung oft als Renegatentum, welches das Teamgefühl und die Homogenität der Gruppe infrage zu stellen scheint. Das Gegenteil ist der Fall: Oft nehmen introvertierte Menschen durch ihre ausgeprägte Fähigkeit zur Beobachtung gepaart mit ihrem analytischen Verstand die wertvolle Rolle des von aussen Beobachtenden ein, der gleichzeitig eine loyale Beziehung zum Kern hat. Das unterscheidet ihn essenziell vom extern rekrutierten Unternehmensberater, der zwar die gleiche Rolle einnimmt, ohne aber mit dem Team innerlich verbunden zu sein.

Introvertierte Mitarbeiter haben meist ausserordentlich fein gestimmte Antennen, mit denen sie Nuancen und Stimmungen wesentlich schneller registrieren als ihr Umfeld. Diese Sensibilität für Zwischentöne und die Ergebnisse ihrer vielschichtigen Beobachtungsgabe können eine grundsätzliche Bereicherung für viele Evaluierungsprozesse innerhalb eines Unternehmens bedeuten.

Wichtig ist dabei allerdings, dass diese Qualitäten nicht von Vorgesetzten instrumentalisiert werden, um Einschätzungen vorzunehmen, die dann für Kollegen und Teams negative Konsequenzen haben. Viel zweckdienlicher ist es, introvertierten Mitarbeitern einen speziellen Platz bei Supervisions-, Mediations- und Team-Building-Prozessen einzuräumen, da mit einer multi-facettierten Beobachtungsgabe auch eine besonders ausgeprägte Neutralität und emotionale Sensibilität einhergehen. Oft hilft dies umgekehrt auch dabei, Integrationsprozesse in Gang zu bringen, die sowohl dem Team als auch dem eher zurückhaltenden Mitarbeiter helfen, einander wertzuschätzen und zu kooperieren.

Introvertierte Menschen hören exzellent zu

Sich bei Gesprächen eher im Hintergrund zu halten und nicht aktiv zu partizipieren bedeutet nicht automatisch, nicht Anteil nehmend dabei zu sein. Tatsächlich merken sich eher passiv und manchmal sogar desinteressiert scheinende Menschen sehr viel mehr Details innerhalb einer Unterhaltung als Gesprächsteilnehmer, die eher Wert auf den gelingenden Transport der eigenen Botschaft legen. Ruhige, scheinbar verschlossene Menschen sind oft in der Lage, mit ausserordentlicher Feinfühligkeit ganze Dialoge einschliesslich der mitschwingenden emotionalen Tonalitäten und Zwischentöne zu internalisieren und abzuspeichern.


Introvertierte Menschen hören exzellent zu. (Bild: bikeriderlondon / Shutterstock.com)


Diese Fähigkeit lässt sich ausgezeichnet bei Terminen mit neuen Kunden oder Geschäftspartnern nutzen. Auch bei Meetings, in denen mehrere Parteien mit divergenten Interessenlagen eine gemeinsame Lösung zu finden versuchen, ist derartig sensibles Zuhören eine enorme Hilfe, um die tatsächliche Agenda jedes Teilnehmers zu eruieren und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. In fast allen Fällen deckt dabei die natürliche und lange herausgebildete Empathie introvertierter Menschen vorher unberücksichtigte Interessenlagen auf.

 

Oberstes Bild: Introvertierte Mitarbeiter besitzen oft exzeptionelle Fähigkeiten (auremar / Shutterstock.com)

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Mehr zu Caroline Brunner

Caroline Brunner ist freiberufliche Online-Journalistin mit Fokus auf Arbeitspsychologie, Entrepreneurship, Kommunikation, Karriereplanung, Nachhaltigkeit und Verbraucherthemen.

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