Schweizer Telekom-Callcenter (Teil 1): Endloswarteschleife oder qualifizierter Service?

In Zeiten der Online-Konkurrenz wird Kundenorientierung von den Unternehmen grossgeschrieben. In der Praxis findet sich „König Kunde“ auf der Suche nach Service und Beratung allerdings zunächst oft in einer Callcenter-Warteschleife wieder und reagiert darauf mit Unmut. Wenn er dann endlich mit einem Mitarbeiter sprechen kann und dieser für sein Problem nicht sofort eine Lösung hat, ist der Anrufer mit seiner Geduld meist am Ende. Das Resultat: Callcenter und ihre Angestellten haben bei sehr vielen Kunden einen schlechten Ruf.

Wie die Arbeit in einem Callcenter – in unserem Beispiel bei Schweizer Telekom-Anbietern – wirklich abläuft, ist nur den wenigsten Anrufern bewusst. In Erinnerung bleiben ihnen vor allem die Wartezeiten, zumal – anders als an der Kasse eines Supermarktes – jeder Hinweis fehlt, warum sie eigentlich warten sollen. Am anderen Ende des Telefons sitzen jedoch keinesfalls „faule“ und nur wenig qualifizierte Mitarbeiter, sondern Menschen, die in einem bis aufs kleinste Detail durchgeplanten System und unter hohem Leistungsdruck agieren.

Insgesamt etwa 20’000 Callcenter-Mitarbeiter in der Schweiz

Das erste Callcenter entstand übrigens 1968 in den USA, wo ein Gericht den Automobilhersteller Ford für eine Rückrufaktion verpflichtete, eine kostenlose Service-Hotline einzurichten. Heute setzt die Branche weltweit pro Jahr schätzungsweise 200 Milliarden US-Dollar um. Für das Jahr 2010 weist der „Swiss Contact Center Report“ etwa 32’000 Mitarbeiter aus, die in mehr als 900 Callcentern tätig waren. Ihre Zahl dürfte seitdem auf etwa 20’000 zurückgegangen sein, da unerwünschte Werbeanrufe von Unternehmen – also ein Teil des Outbound-Geschäfts der Center – seit April 2012 durch ein revidiertes Bundesgesetz unter Strafe stehen. Auch die Online-Services der Unternehmen machen den Callcentern Konkurrenz, bei vielen einfachen Fragen ersetzt ein Besuch auf der Unternehmenswebsite heute den telefonischen Kontakt.

Swisscom-Callcenter – eine Million Anrufe pro Monat

Allein die Callcenter der Swisscom werden in jedem Monat von etwa einer Million Menschen kontaktiert. Hinter den Kulissen arbeiten an mehreren Standorten fast 2000 Callcenter-Agenten. Die täglichen Anruf-Spitzenzeiten liegen nach zehn Uhr morgens sowie nach vier Uhr nachmittags. Besonders viele Anrufe gehen jeweils montags ein. Auch nach dem Launch neuer Produkte und Werbekampagnen, den monatlichen Rechnungsstellungsterminen sowie bei technischen Problemen steigt das Anrufvolumen sprunghaft an. Viele dieser Anruf-Hochs sind planbar. Schwierig wird es laut Pascal Jaggi, dem Leiter des Customer Support der Swisscom, immer dann, wenn es – beispielsweise bei den Kupfer-Breitbandkabeln – unvorhergesehene technische Störungen gibt. Daraus resultieren oft eine Anrufwelle und nicht vermeidbare Wartezeiten.


Wartezeiten – bei den Telekom-Unternehmen meist nur wenige Sekunden. (Bild: Gazlast / Shutterstock.com)


Wartezeiten – bei den Telekom-Unternehmen meist nur wenige Sekunden

Ansonsten ist die gefühlte Wartezeit oft erheblich länger als die tatsächliche Zeitspanne, bis der Anrufer einen Callcenter-Agenten erreicht. Beim Mobilfunkanbieter Orange – der Nummer drei der Schweizer Telekom-Anbieter – liegt die durchschnittliche Wartezeit bei etwa 25 Sekunden. Vier von fünf Kunden werden innerhalb von 40 Sekunden verbunden. Die Telekom-Anbieter geben derzeit etwa 3 % Ihres Umsatzes für ihre telefonischen Service-Center aus. Der durchschnittliche Anruf dauert zehn Minuten, die Callcenter-Betreiber kostet er rund zehn Franken. Seine Kapazitäten ausschliesslich auf die Spitzenzeiten auszulegen, kann sich kein Unternehmen leisten. Auch die optimale Auslastung der Callcenter-Agenten erfordert Planungsarbeit. Unter einer zu knappen Budgetierung und zu grossem Arbeitsdruck leidet die Motivation der Mitarbeiter. Erfahrungswerte zeigen, dass eine Auslastung von 75 % am besten ist, so dass auch etwas Zeit für fachliche Kommunikation oder eine informelle Pause bleibt.

Callcenter-Agenten: anspruchsvolle digitale Arbeit unter hohem Leistungsdruck

Ein einfaches Arbeitsumfeld haben Callcenter ihren Mitarbeitern nicht zu bieten. Ihre Tätigkeit ist für das Unternehmen absolut transparent: Die Vorgesetzten wissen von jedem Angestellten, wann er eingeloggt ist, welchen Anteil seiner Arbeitszeit er am Telefon verbringt und wie viel Zeit er für jeden einzelnen Anruf braucht. Auch durch das Feedback der Kunden wird ihre Leistung permanent bewertet. Das Arbeitsprozedere selbst ist anspruchsvoll: Die Tätigkeit im Callcenter besteht nicht nur aus Telefonaten, sondern ist heute im Kern digitale Arbeit. Die Mitarbeiter wechseln an ihren Computern ständig zwischen verschiedenen Benutzeroberflächen hin und her. Bei einem Anruf erhalten sie durch das System alle vorhandenen Informationen über den jeweiligen Kunden inklusive einer Dokumentation seiner früheren Service-Fälle. Jeder Kontakt wird als sogenannter Service-Request in die Systeme eingepflegt. Swisscom-Agenten arbeiten dafür mit etwa 200 verschiedenen Fragekategorien – um hier den Überblick nicht zu verlieren, ist komplexes fachliches Wissen nötig.

Komplexe Beratung – auch für „historische“ Geräte

Oft beraten die Telekom-Callcenter ihre Kunden auch zu komplexen technischen Fragen. Noch spannender ist zumindest in der Telekom-Branche eine andere Seite des Berufs: Die Agenten müssen nicht nur die Funktionen der neuesten, sondern auch die der ältesten Geräte kennen. Im Sunrise Callcenter Zürich gibt es aus diesem Grund Vitrinen mit „historischen“ Mobiltelefonen und Modems, die laut Auskunft von Callcenter-Chef Mario Wegmüller bei den Kunden immer noch im Einsatz sind. Die Callcenter-Agenten arbeiten in der Regel in spezialisierten Teams. Neueinsteiger bearbeiten oft vergleichsweise einfache Kundenanfragen zu Rechnungen sowie den diversen Service-Paketen. Bei Problemen mit dem Internetanschluss kommt dagegen ein Spezialist zum Zug. Für die Mitarbeiter ergibt sich daraus auch ein wichtiger Motivationsfaktor: Entsprechend ihren Fähigkeiten haben sie bei den Telekom-Anbietern grundsätzlich die Möglichkeit, die Skills für neue Arbeitsfelder zu erlernen. Die Telefonnavigation vor dem eigentlichen Gespräch – also der Teil des Prozederes, der viele Kunden nervt – dient übrigens dem sogenannten „Skill Based Routing“ respektive der Weiterleitung an das jeweilige Experten-Team. Dass die meisten Anrufer die „Tipperei“ nicht goutieren, ist den Unternehmen allerdings bewusst. Der Telekom-Anbieter Orange hat sich im vergangenen Jahr deshalb dazu entschieden, darauf zu verzichten. Die Weiterleitung an die Experten übernimmt stattdessen ein menschlicher Operator. Im Hinblick auf die Kundenzufriedenheit wäre es erfreulich, wenn dieses Beispiel Schule machen würde.

 

Oberstes Bild: © dotshock – Shutterstock.com

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