Ist der Kunde noch König?

Wissen Sie noch wie der alte Handel funktionierte? Der Kunde kam ins Geschäft, hatte eine Vorstellung davon, was er wollte und wurde zumeist direkt bedient. Praktisch alle Tätigkeiten rund um den Einkauf, teils bis zur Lieferung nach Hause wurden von Angestellten übernommen. Da war der Kunde wirklich noch König.

Die sinkenden Gewinnmargen im Handel, steigende Kosten für Mitarbeiter und nicht zuletzt das Streben nach höheren Gewinnen führen dazu, dass der Kunde aus der Königsrolle zunehmend in die Rolle des Mitarbeiters schlüpft. Unbezahlte Kundenarbeit ist das Schlagwort im modernen Handel und weit darüber hinaus. Einige Fakten zur Kundenarbeit und Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Kunden selbst werden hier dargestellt.

Selbstbedienung fast überall

Heute ist Selbstbedienung die häufigste Form der Kundenarbeit. Im Supermarkt, im Restaurant und an der Tankstelle leistet der Kunde geldwerte Arbeit, die vor allem Angestellte einspart. Wir suchen im Supermarkt unsere Produkte selbst aus, schleppen im Restaurant unsere Speisen und Getränke selbst an den Tisch und verzichten an der Tankstelle auf den fast schon vergessenen Tankwart, der früher nicht nur Benzin zapfte, sondern dabei auch gleich noch Scheiben reinigte, Wischwasserstand und gegebenenfalls auch den Ölstand kontrollierte.

Selbst der Geldautomat ist nicht nur komfortabel, sondern spart auf den Banken auch so manchen Kassenangestellten ein. Unser Vorteil liegt in einer grösseren Selbständigkeit bei geringeren Wartezeiten, beschert den Unternehmen allerdings auch mehr Gewinn. Letztlich ist es immer weniger Kontakt zwischen Kunden und Unternehmen, der aber auch zu einer Entfremdung zwischen Leistung und Kunde führt. Der Kunde arbeitet, das Unternehmen kassiert.

Noch schnelleres Schnellrestaurant

Auch bei McDonalds wird Kundenarbeit zunehmend grösser geschrieben. Neben den Schlangen an den Ausgabeschaltern ziehen immer mehr Bestellterminals unter dem Slogan Easy Order in die Schnellrestaurants ein. Dort wählt der Gast am Terminal seine Speisen aus und holt diese nur noch am Schalter ab. Ein Stück Mehrarbeit für Kunden aber klugerweise verbunden mit weniger Wartezeiten. Auf diese Weise wird das System Selbstbedienung noch weiter spezialisiert.

Mach`s selbst!

Auch Ikea bietet ein prima Beispiel für mehr unbezahlte Kundenarbeit. Die Systemmöbel wie beispielsweise des beliebte Regal Billy bescheren dem Unternehmen einen Millionenumsatz. Dabei kauft der Kunde eigentlich nur Bretter und Schrauben und baut sein Regal letztlich selbst zusammen. Undenkbar in Zeiten, in denen Möbel noch komplett montiert in den Kundenhaushalt geliefert wurden oder von Fachleuten erst am Standort aufgebaut wurden. Der Kunde übernimmt praktisch hier einen grossen Teil der Montagearbeit und das völlig ohne Kosten für das Unternehmen. Ohne Kundenarbeit geht bei Ikea nur noch wenig.

Aber nicht nur Ikea hat das System verstanden. Auch viele andere Anbieter von Konsumwaren haben die Kundenarbeit fest in ihr System eingeplant. Bausätze für alle möglichen Produkte sparen den Herstellern Zeit und Kosten und machen den Kunden vermeintlich noch Spass. Das beginnt beim kleinen Geräteschuppen für den Garten und endet irgendwo beim Do-it-your-self-Eigenheim.

Auch Marketing wird zur Kundenarbeit

Selbst im Bereich des Marketings wird Kundenarbeit zum Nulltarif immer häufiger. Kunden bewerten Produkte, geben Empfehlungen und tragen so mehr oder weniger bewusst zum Marketing bei. In den Unternehmen wird nur noch ausgesiebt und gesteuert sowie Informationen gezielt gestreut; ein Grossteil der Marketingarbeit aber bleibt unbewusst, aber ohne Kosten, am Kunden hängen. Facebook befördert solche Prozesse, da hier auch per Like letztlich nur Empfehlungen ausgesprochen werden. Ein „Gefällt mir nicht“ gibt es ja nicht wirklich. So funktioniert ein Empfehlungsmarketing, das den Unternehmen jede Menge Kosten für die Werbung spart.

Auch der Bürger soll arbeiten

Selbst Kommunen haben den Wert der Kundenarbeit längst für sich erkannt. Was hier als bürgerfreundlich und komfortabel dargestellt wird, ist das einfache Einsparen von Kosten. Wer beispielsweise seiner Meldepflicht am Computer oder Smartphone nachkommen kann, spart zwar Zeit und Wege, die kommunalen Verwaltungen vor allem aber auch Angestellte. Immer mehr Gemeinden fragen bei ihren Bürgern nach, welche Leistungen die gern selbst übernehmen wollen. Diese Nachfrage wird natürlich geschickt unter einem Servicegedanken versteckt.

Selbst einfache kommunale Kontrollaufgaben werden an den Bürger weitergegeben. So lassen sich in einzelnen Gemeinden Schäden an kommunalen Anlagen via App an die Verwaltung übertragen. Das spart die Kosten für Mitarbeiter, die sonst selbst die kommunalen Anlagen regelmässig überprüfen müssten. Auch das ist eine Form unbezahlter Kundenarbeit, die immer mehr Lebensbereiche ergreift.


Das Internet als Leistungsplattform. (Bild: 6kor3dos / Shutterstock.com)


Das Internet als Leistungsplattform

Besonders im Internet sind die Kunden besonders fleissig. In tausenden Online-Shops stellen sie sich ihren Warenkorb selbst zusammen, bezahlen online und machen so den Handel im Ladengeschäft oftmals schon überflüssig. Das geht bis hin zu Lebensmitteln, die im Internet geordert werden. Im gleichen Atemzug ermöglicht der Online-Kunde das Anlegen riesiger Datensammlungen, die den Unternehmen bei der gezielteren Konsumentenwerbung helfen.

So übernimmt der Kunde im Internet gleich mehrere Jobs und fühlt sich dabei auch noch wohl. Und bezahlt wird gleich zweimal, einmal mit Geld und noch einmal mit wertvollen Informationen. Von der Auswahl über das Zusammenstellen der Waren, vom Bezahlen bis hin zur kostenlosen Werbung bietet sich hier der Kunde als multifunktionaler Mitarbeiter an. Das spart den Unternehmen jede Menge Geld und optimiert die Gewinne. Der unbezahlte Mitarbeiter Kunde macht`s möglich.

Kritisiert wird dieses System besonders von älteren Konsumenten. Die spüren die kommunikative Verarmung im Handel und fühlen sich beim anonymen Einkauf längst nicht mehr wohl. Allerdings ist das nicht die Kundengruppe der Zukunft und so werden solche Bedenken aus der modernen Unternehmensstrategie einfach ausgeblendet.

 

Oberstes Bild: © cristovao / Shutterstock.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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