Was der Einzelhandel jetzt begreifen muss

Vor einigen Monaten prangte auf dem Titelblatt der renommierten „Wirtschaftswoche“ die Frage: „Wann platzt die Amazon-Bombe?“ Inhalt der Titelstory war die zunehmende Marktmacht der Versandhändler und ihre Auswirkungen auf den traditionellen Einzelhandel.

In der Tat ist es so, dass sich viele Artikel, welche beim Einkaufsbummel entdeckt wurden, im Internet günstiger finden lassen. Auch ist das Einkaufen von zu Hause aus äusserst bequem. Insofern ist die in dieser Wirtschaftszeitung geäusserte Besorgnis nicht von der Hand zu weisen. Doch das sind nun mal die Zeiten, in denen wir leben. Das Internet deswegen abzuschaffen wird wohl niemandem in den Sinn kommen. Was also tun, damit die Innenstädte nicht veröden?

Die Realität des Einzelhandels

Ein Kunde (der Autor dieses Artikels) betritt ein offensichtlich zwanzig Jahre lang nicht mehr renoviertes Uhrengeschäft in einer mittelgrossen Stadt in Südwestfalen, Deutschland. Die wenig motivierte Verkäuferin mittleren Alters schaut gelangweilt in der Gegend herum und würdigt den Kunden keines Blickes, geschweige denn eines Grusses. Der Kunde präsentiert eine Reihe Armbanduhren, für die er gerne neue Batterien eingebaut hätte. Die Verkäuferin wirft einen kurzen Blick darauf und murmelt anschliessend: „Für die habe ich kein Werkzeug, die muss ich einschicken und das ist eine Timex, da machen wir grundsätzlich nichts dran.“ Der Kunde verlässt ratlos das Geschäft.

Gleicher Kunde, gleiche Situation, eine andere Stadt, diesmal an der Nordseeküste: Der Kunde hat eine Reihe gebrauchter aber hochwertiger Uhren, die er anpassen und reinigen lassen will. Der Uhrmacher dieser Stadt präsentiert sich als gediegen-traditioneller Fachmann mit einem äusserst ansprechend und hochwertigen Verkaufsraum. Seine Uhren werden entgegen genommen, nach der Reinigung wird der Kunde angerufen und er möchte sie wieder abholen. Doch: Nachdem der Kunde bezahlt hat und er den Verschluss geöffnet hat, fallen ihm eklige Brocken alten Schweisses vom Vorbesitzer entgegen. Hatte der Kunde nicht gerade eben gutes Geld für die Ausführung eines unmissverständlich formulierten Auftrags ausgegeben? Natürlich wurde die Angelegenheit in Ordnung gebracht – dennoch: So etwas sollte nicht passieren, zeigt aber deutlich, wo das Problem wirklich liegt.

Traditionell muss nicht „erstarrt“ bedeuten

Geschichten wie diese wird jeder Leser dieses Artikels ebenfalls aus dem Nähkästchen plaudern können. Es besteht also offensichtlich eine gewaltige Lücke zwischen dem, was der Kunde erwartet und dem, was die Händler vielerorts zu leisten bereit sind. Auch wenn es den Ladenbesitzern noch so schwer fallen mag: Sie sind jetzt gefragt. Es müssen weder „neue Konzepte“ her, noch muss der Einzelhandel neu erfunden werden. Aber: Wenn jeder Einzelhändler das tut, was eigentlich selbstverständlich wäre, dann könnte schon viel erreicht werden. Der Kunde muss sich als Kunde respektiert, verstanden und ernst genommen fühlen. Das gilt für den preiswerten Bäcker genauso wie für den Edeluhren-Verkäufer.

Respekt ist der Beginn von allem

Die Respektbezeugung des Kunden beginnt, wenn er das Geschäft betritt: Ich habe diesen Ort gewählt und bin bereit Geld hier auszugeben. Dies ist die Message, welches beim Klingeln an der Ladentür vermittelt wird. Der Händler braucht jetzt nur noch zu tun, was von ihm erwartet wird: Präsenz zeigen und dem Kunden verkaufen, was er haben will. Doch damit scheinen viele überfordert.

Das beginnt bereits mit schmutzigen, ungepflegten oder veralteten Verkaufsräumen. Niemand fühlt sich zwischen vergilbten Tapeten und aufplatzendem Furnier wohl. Dann sollte der Händler den Kunden mit Interesse zur Kenntnis nehmen – auch wenn dieser sich vielleicht nur umschauen möchte. Es muss nicht gleich ein kostenloser Kaffee angeboten werden – ein freundlicher Gruss ist jedoch das absolute Mindestmass. Die Ware ansprechend verpacken und präsentieren ist auch für viele Händler kein unbedingtes Muss. Für die Kunden jedoch schon, weshalb bereits wenige Handgriffe über den Verkauf eines Produktes entscheiden können.

Schliesslich ist die Beratung und Kaufabwicklung nur über die Sympathie des Kunden wirklich erfolgreich abzuwickeln. Auch wenn der Händler im akuten Fall nicht weiterhelfen konnte – nach bestem Wissen beraten macht immer nachhaltigen Eindruck. Man vergrault einen Kunden nicht durch fehlende Ware, sondern nur durch fehlenden Sachverstand. Das schliesst den Umgang mit dem Kunden mit ein.


So sehr das Internet auch locken mag, der Einzelhandel hat doch einiges zu bieten. (Bild: JMiks / shutterstock.com)


Mit den Pfunden wuchern

So sehr das Internet auch locken mag, der Einzelhandel hat doch einiges zu bieten. Das ist nicht nur die individuelle Beratung. Vor allem die schiere Präsenz und Belebung der eigenen Heimatstadt ist auch für die Kunden ein Mehrwert. Die Heimatliebe der Anwohner einer Stadt ist ein Faktor, mit dem sich arbeiten lässt. Neben einem tiptop gepflegten Ambiente im Laden und auf Freundlichkeit und Kundennähe trainiertem Verkaufspersonal kann der Ladeninhaber noch mehr tun: Raus aus dem Geschäft und rein in die Stadt.

Kultur und Sport sind mehr als blosse Gelegenheiten, um ein paar Transparente aufzuhängen. Hier kann der Name des Geschäfts mit echter Leistung für die Heimatstadt verbunden werden. Ob Trikot-Sponsoring für die Mannschaften, aktive Mitgestaltung von Konzerten oder mal selbst in die kreative Trickkiste geschaut, womit man seiner Stadt etwas Gutes tun kann, es gibt so viele Möglichkeiten. Hauptsache man wird bekannt und mit mehr verbunden, als mit dem „Kramladen für irgendwas“.

 

Oberstes Bild: © Bikeworldtravel – shutterstock.com

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