Jeff Bezos und Amazon: Hat der Einzelhandel ausgedient?

Amazon-Chef Jeff Bezos gilt als visionärer Firmenlenker und spielt in einer Liga mit globalen Business-Legenden wie Steve Jobs. Sein Unternehmen ist ebenso wie Apple oder Microsoft aus einem Garagenshop hervorgegangen. Heute ist Amazon der weltweit grösste Online-Händler und das Zentrum eines wachsenden Imperiums von Firmen und eine globale Effizienzmaschine, die an der Schnittstelle von realer und virtueller Welt agiert.

Das Unternehmen mit dem gelben Logo kann fast als Synonym für Shopping im 21. Jahrhundert angesehen werden. Bezos hat unter dem Amazon-Dach alles vereint, was sich Kunden wünschen können: Bücher, Medien, Haushalts- und Unterhaltungselektronik, Kleidung, Kosmetikartikel oder Spielzeug. Zumindest in den USA gibt es bei Amazon inzwischen auch Tiefkühlpizza oder frische Lebensmittel. Wer für einen moderaten Jahresbeitrag das Prime-Programm des Unternehmens abonniert, bekommt die georderten Artikel in maximal zwei Arbeitstagen kostenlos ins Haus geliefert.

Kritiker fürchten – auf den ersten Blick nicht ganz zu Unrecht -, dass der stationäre Einzelhandel auf lange Sicht mit Amazon & Co. nicht erfolgreich konkurrieren kann. Jeff Bezos’ Unternehmensphilosophie scheint ihnen recht zu geben.

Jeff Bezos – „Mr. Gnadenlos“ aus Seattle

Ende 2013 ist unter dem Titel „Der Allesverkäufer“ eine Biografie des Amazon-CEOs erschienen. Der US-amerikanische Journalist Brad Stone bescheinigt Jeff Bezos darin ein „Arbeit über Alles“-Ethos sowie ausgeprägte Gnadenlosigkeit. Bezos sei von seiner Arbeit geradezu besessen und erwarte von seinen Mitarbeitern vom Manager bis zur Aushilfskraft in den Versandstationen des Konzerns die gleiche Haltung.

Gnadenlosigkeit war für den Firmenchef im Übrigen von Anfang an Programm – sein Unternehmen sollte ursprünglich „Relentless“ (Englisch für „gnadenlos“) heissen; die URL „relentless.com“ leitet Besucher noch heute auf die Internetpräsenz von Amazon. Stone beschreibt Amazon als eine Maschinerie, die rund um „Bezos’ Verstand errichtet ist“ und dessen „Genialität“ sowie den unbedingten Willen zum Erfolg über den grösstmöglichen Radius verstärken soll.


Amazon-Logo


Gegen Wettbewerber führt Bezos einen regelrechten Vernichtungsfeldzug, Geschäftspartner sieht er als externe Zuarbeiter, die mit denkbar schlechten Konditionen rechnen müssen. Der Kunde ist das geheiligte Zentrum seiner Welt, für dessen Zufriedenheit der Konzern alle Hebel in Bewegung setzt und im gleichen Atemzug Begehrlichkeiten weckt, welche die potentiellen Käufer noch gar nicht selbst verspüren. Bezos hat einmal formuliert, dass Energie und Motivation von Amazon nicht aus der Relation zum Wettbewerb erwachsen, sondern ausschliesslich daraus resultieren, dass sein Unternehmen „an den Kunden denkt“.

„Amerikanischer Alptraum“ für die Mitarbeiter

Der Aufstieg von Jeff Bezos, der übrigens aus kleinen Verhältnissen stammt, sowie Amazon als absoluter Star am Online-Shopping-Himmel verkörpern den „amerikanischen Traum“ in einem Ausmass wie nur wenige anderer moderne Biografien und Unternehmen. Für die Amazon-Mitarbeiter kann dieser Traum allerdings schnell zum Alptraum werden.

Mitarbeiter auf den unteren Ebenen behandelt der Konzern de facto als moderne Arbeitssklaven, die innerhalb des digital gesteuerten Normsystems von Amazon perfekt zu funktionieren haben. Jeder Arbeitsschritt ist bis ins Detail geregelt, selbst die Pausenzeiten werden auf die Sekunde ausgerechnet. Wer die Vorgaben nicht schafft, darf gehen. Die oft ohnehin nur aushilfsweise angestellten Mitarbeiter in den Versandzentren von Amazon werden unterdurchschnittlich bezahlt und nach einem Punktesystem bewertet, in dem bei sechs Punkten die Entlassung folgt.

Für eine Krankmeldung wird beispielsweise ein Punkt vergeben. In den USA experimentiert Bezos inzwischen mit Robotern, die bei einfachen Tätigkeiten die menschliche Arbeitskraft ersetzen sollen. Auch das Management des Konzerns aus Seattle bleibt von der „Besessenheit“ sowie dem Arbeitsethos des Firmenlenkers nicht verschont. Ein Amazon-Manager fasst in Brad Stones Buch den Führungsstil von Bezos recht eindrucksvoll zusammen: Wenn jemand nicht gut sei, fresse dieser ihn auf und spucke ihn später wieder aus – wenn jemand gut sei, springe er ihm auf den Rücken und reite ihn zuschanden.


Das neue Versandszentrum von Amazon.de in Leipzig. (Urheber: Medien-gbr / Wikipedia / Lizenz: CC)


Trotz Amazon – Chancen für den Einzelhandel

„König Kunde“ goutiert weltweit das Werben und die Effizienzoffensive von Amazon durchaus. Die Umsätze von Amazon ebenso wie der Aktienkurs von Amazon befinden sich seit langem auf einem Höhenflug. Zumindest aus europäischer Perspektive stellt sich die „schöne neue Einkaufswelt“ trotzdem etwas differenzierter dar, als es Jeff Bezos gefallen dürfte.

Eine Studie des Schweizer Versandhandelsverbandes aus dem Jahr 2012 kommt beispielsweise zu dem Schluss, dass das Online-Business zwar insgesamt gesehen schneller wächst als der stationäre Einzelhandel, sieht für die Schweiz jedoch noch lange keinen Amazon-Effekt gegeben. Schweizer Versandhändler leiden demnach stärker unter dem Einkaufstourismus eidgenössischer Shopper in die Nachbarländer als unter den Wettbewerbern aus dem Internet.

Letztlich geht es bei Amazon und seiner Shopping-Vision für den globalen Kunden im Kern auch um die Befriedigung infantiler Wünsche. Der Klick auf den Einkaufsbutton garantiert, dass Wünsche und Bedürfnisse sofort befriedigt werden – in den Worten des Psychologen und Hirnforschers Hans-Georg Häusel funktioniert dieser Mechanismus ähnlich wie bei einem Dreijährigen, der unbedingt und sofort ein Eis verzehren will.

Vom stationären Handel wünschen sich Kunden jedoch deutlich andere Referenzen: Persönliche Beratung, individuelle Kommunikation, umfassende Produktinformation und zusätzlichen Service. Das Internet und damit auch Amazon dienen europäischen Käufern damit vor allem als ein Komplementär-Kanal, der den Einkauf im Geschäft jedoch bis auf Weiteres nicht ersetzt.

Eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger weist anhand der Daten von insgesamt 42’000 Kunden für den deutschen Einzelhandel nach, dass sogenannte Showroomer-Kunden, die sich im Laden über Preise und Produkte informieren, diese jedoch später online ordern, damit zwar ein Umsatzminus von rund sechs Milliarden Euro produzieren. Zukunftsweisend ist dagegen der umgekehrte Weg: Kunden, die ihre Waren nach einem Online-Preis- und Produktvergleich im stationären Handel kaufen, bringen dem Einzelhandel dagegen mit etwa 68 Milliarden Euro das Zehnfache an Umsatz.

Perspektivisch werden viele Kunden zwischen Internet und Einzelhandel pendeln. Für die stationären Händler kommt es daher darauf an, ihre Alleinstellungsmerkmale gegenüber der virtuellen Welt effektiv zu nutzen. Wie das funktionieren kann, zeigt exemplarisch die Firmenstrategie des Bamberger Unternehmers Hans Thomann, der sich erfolgreich als Europas grösster Musikalienhändler am Markt behauptet: Thomann setzt unter anderem auf ein Multi-Channeling, das sich die Synergien aus Internet und Ladengeschäften nutzbar macht – die Läden agieren dabei als Service- und Beratungs-Center – sowie hochwertige Eigenmarken, die es in der virtuellen Welt so nicht zu kaufen gibt.

 

Oberstes Bild: Jeff Bezos, 2005. (Urheber: James Duncan Davidson / flickr.com / Lizenz: CC)

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