EZB pausiert Zinssenkungen: Brivio warnt vor Wirkungslosigkeit

Nach acht Zinssenkungen in Folge setzte die Europäische Zentralbank (EZB) heute zu einer Pause an. Dazu Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank: „Die EZB anerkennt damit, dass auch eine weitere Lockerung nichts an den Herausforderungen der Eurozone geändert hätte. Weder wären Konjunkturimpulse zu erwarten gewesen noch ein Einfluss auf die Zollunwägbarkeiten oder die Verschuldungsproblematik.“ Das sei auch aus Schweizer Sicht wenig erfreulich, so Brivio.

Die Europäische Zentralbank (EZB) pausierte heute am 24. Juli beim Zinssenkungszyklus. Der massgebliche Einlagezinssatz liegt weiterhin bei 2 Prozent. Zuletzt senkten die europäischen Währungshüter die Leitzinsen acht Mal in Folge.

Uneindeutige Ausgangslage

Das Pausieren war im Vorfeld nicht unumstritten, da auch die Ausgangslage alles andere als eindeutig war:

  • Einerseits legten das weiterhin schwache Eurozone-Wirtschaftswachstum, die – insbesondere gegenüber dem Dollar – anhaltende Stärke des Euro und die wachsende Gefahr eines Unterschreitens der Zielinflationsmarke eine weitere Lockerung der geldpolitischen Zügel nahe.
  • Andererseits ist die Teuerung besonders bei Lebensmitteln und Dienstleistungen weiterhin deutlich erhöht, das Wort des für einen restriktiven Kurs bekannten österreichischen Ratsmitglieds Robert Holzmann hat auch an seiner Zinssitzung immer noch Gewicht (auch wenn das Lager seiner „Mitfalken“ mit dem bereits erfolgten Ausscheiden von Klaas Knot und Olaf Sleijpen deutlich kleiner geworden ist), und die Gefahr eines vorschnellen Aktivismus ist angesichts der Zollstreit-Unwägbarkeiten hoch. Diese Überlegungen sprachen zumindest für ein Pausieren des Zinssenkungszyklus.

Unsicherer Inflationsausblick als Zünglein an der Waage

Somit gab und gibt es sowohl Gründe für als auch gegen eine erneute geldpolitische Lockerung. Dazu Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank: „Dass die EZB den Contra-Argumenten den Vorzug gab, ist insbesondere vor dem unsicheren Inflationsausblick zu einem gewissen Grad nachvollziehbar: Ob der Zollstreit mit den USA eskaliert, ist nach wie vor ungewiss. Kommt es zu einem Drehen der tarifären Spirale und die EU erhebt umfangreiche Gegenzölle, dürfte dies dem Preisauftrieb erneut Vortrieb verleihen. Das Stillhalten der EZB haben wir dementsprechend erwartet und beurteilen es als folgerichtig.“


Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank

Hinzu komme, so Brivio, dass eine erneute Zinssenkung nichts an den grundsätzlichen Problemen im Euroraum geändert hätte. Die Wirtschaft ächzt unter den bekannten strukturellen und regulatorischen Problemen, die durch den starken Euro verschärft werden. Das Eurozone-Schwergewicht Deutschland steuert nach zwei Jahren mit schrumpfender Wirtschaft bestenfalls auf ein Mini-Wachstum zu, die bereits nur bescheidene Konjunkturdynamik Frankreichs verliert zusätzlich an Fahrt, und das Wachstum in Italien dümpelt weiter auf einem sehr tiefen Niveau vor sich hin. „Des Ungemachs nicht genug, stehen zusätzlich astronomisch hohe Verteidigungsausgaben zur Erreichung des 5-Prozent-NATO-Ziels an. Diese werden die vielerorts schon arg angespannte Haushaltssituation noch mehr in Schieflage bringen“, erklärt Brivio.

Wo bleibt die Wirkung?

„Angesichts dieser Herausforderungen wäre auch eine Lockerung der geldpolitischen Zügel wirkungslos verpufft“, ist Brivio überzeugt. „An den strukturellen Schwächen in vielen wachstumsschwachen Mitgliedsländern vermag auch die x-te geldpolitische Lockerung nichts zu ändern. Ebenso wenig wird damit die Brüsseler Regulierungswut gemindert, noch werden die Unsicherheiten und Probleme rund um die angestrebte Energiewende kleiner.“

„Weiter bringt auch ein niedriges Zinsumfeld nichts, wenn die heute bereits hohe Steuerlast der Unternehmen durch immer neue Steuererhöhungen stetig ansteigt, wie dies auch in den jüngsten Budgetplanungen der EU-Kommission wieder vorgesehen ist“, ergänzt Brivio. Und schliesslich haben Leitzinssenkungen kaum mehr Einfluss auf die Kapitalmarktzinsen, wie die anhaltend erhöhten Risikoprämien bei den Staatsanleihen zeigen.

Kaum Impact für die Schweiz

„Aus diesen Gründen ist auch aus Schweizer Perspektive die heute eingelegte Pause mit Zurückhaltung zu beurteilen“, resümiert Brivio. „Denn auch diese dürfte dem Euro zum Franken nicht nachhaltig Luft verschaffen, zumal wir für September bereits mit der nächsten EZB-Zinssenkung rechnen. Doch selbst wenn die Frankfurter Zinspause länger Bestand haben sollte, zeichnet sich keine Erholung bei EUR/CHF ab. Das Währungspaar hat sich dem geldpolitischen Einflussbereich weitgehend entzogen und ist vielmehr von den genannten Schwierigkeiten im Euroraum getrieben. Anleger werden in diesem Umfeld weiterhin den Schutz im sicheren Schweizer Hafen suchen.“

Solange sich daran nichts ändert, mindern auch Zinssenkungen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) kaum etwas am anhaltend hohen Aufwertungsdruck, unter dem der Franken zum Euro steht. „Wir rechnen daher nach wie vor damit“, so Brivios Fazit, „dass die SNB nicht in negatives Terrain vorstossen wird – unabhängig davon, ob die EZB im September die Zinsen weiter senkt oder nicht. Die Schweizer Währungshüter müssen wohl oder übel die Frankenstärke hinnehmen und können höchstenfalls mit punktuellen Devisenmarkt-Interventionen allzu starke Euro-Einbrüche abfedern. Damit geht einher, dass wir vorerst keine Erholungsanzeichen für den Euro verorten und EUR/CHF daher beim aktuellen Niveau in einem engen Seitwärtskanal erwarten.“

 

Quelle: Migros Bank
Bildquellen: Bild 1: => Symbolbild © ArDanMe/Shutterstock.com; Bild 2: => Migros Bank

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