Die Zinsen suchen die Orientierung

Die Obligationenhändler haben keine einfache Aufgabe. Im Juni stieg der Zins für Franken-Obligationen mit einer Laufzeit zwischen 5 und 10 Jahren innert zwei Wochen von 0.60% auf 1.60%.

Die Fed hatte ihren Leitzins um 0.75% angehoben und die SNB erhöhte überraschend ihrerseits den Leitzins um 0.50%. Der Himmel schien die Grenze für die Zinsen zu sein.

Ende Juli waren die Renditen der gleichen Obligationen zurück bei 0.70%. Rezessionsängste schürten die Hoffnung, dass die Zentralbanken den Finanzmärkten wieder zu Hilfe eilen und schon im nächsten Sommer ihre Zinsen wieder senken werden. Einen Monat später sind wir fast wieder auf den Niveaus vom Juni, nachdem nun auch die EZB kräftig an der Zinsschraube dreht. Das hat Erwartungen geweckt, dass sich die SNB in zwei Wochen auch nicht Lumpen lässt. Eine weitere Zinserhöhung von 0.50% scheint gegeben, auf eine solche von 0.75% oder gar 1.00% wird spekuliert.

Die Finanzmärkte und damit auch die Obligationenmärkte neigen zu Übertreibungen, insbesondere bei Wendepunkten in der Geldpolitik und bei der Konjunktur. Die fundamentalen Rahmenbedingungen und Daten sind in solchen Phasen nicht griffig und schwierig zu interpretieren, was der Spekulation in allen Richtungen viel Platz offenlässt. Deshalb verwundern die starken Meinungswechsel und damit die starken Zinsschwankungen der letzten Wochen nicht. Auf der anderen Seite darf man sich von ihnen auch nicht zu stark beeinflussen lassen.

Priorität der Inflationsbekämpfung

Die Inflation in der Schweiz ist der SNB zu hoch und die zunehmende Breite des Inflationsgeschehens bringt sie in Gefahr, ihren gesetzlichen Auftrag zur Gewährung der Preisstabilität nicht mehr erfüllen zu können. Die SNB wird deshalb den Leitzins bis im nächsten Sommer zügig in den Bereich von 1.50% erhöhen. Wie hoch die einzelnen Zinsschritte auf diesem Weg ausfallen, ist dabei nicht so wichtig. Mit diesem Vorgehen sollte sie die Inflation in der Schweiz mittelfristig wieder unter die Marke von 2% drücken können. Helfen wird ihr dabei neben dem Basiseffekt, d.h. dem Wegfallen der hohen Preissteigerung in diesem Jahr beim Benzin und bei anderen Rohstoffen aus der Inflationsberechnung, die globale Abschwächung der Konjunktur und der damit verbundene Rückgang der Nachfrage von Gütern und Dienstleistungen.

Anlegen in Obligationen

Die Renditen der Obligationen haben einen rechten Teil der erwarteten Leitzinserhöhung der SNB bereits vorweggenommen. Eine inverse Zinskurve ist in der Schweiz selten, weshalb die Renditen der Obligationen im nächsten Jahr trotz der schwächeren Wirtschaft über dem Leitzins handeln werden. Eine Rendite von rund 1.50% bei einer Obligation mit einer Laufzeit von vier bis fünf Jahren kann dennoch als attraktiv bezeichnet werden. Bei 10-jährigen Obligationen von guten Unternehmen ist bei einer aktuellen Rendite von 1.80% das Verlustpotenzial bei weiter steigenden Zinsen auch nicht mehr so gross. Obligationen sind deshalb wieder eine Alternative zum Konto, auch wenn die Suche nach der Orientierung an den Zinsmärkten noch weitergeht und die zuvor erwähnten Übertreibungen nach oben und nach unten noch nicht vorbei sind.

 

Titelbild: Diego Grandi – shutterstock.com

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Mehr zu Dr. Thomas Stucki

Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 30 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von CHF 4,4 Milliarden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.

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