Baissen sind Teil des Börsenlebens

Die meisten Aktienindizes sind seit Anfang Jahr mit rund 10% im Minus. Der Nasdaq in den USA hat fast 30% eingebüsst. Die Kurse der Aktien bekannter Firmen wie Tesla oder Amazon haben sich halbiert. Andere Titel wie Netflix oder die Kryptobörse Coinbase wurden noch ärger gerupft.

Vielerorts wird das Ende der glitzernden Börsenwelt ausgerufen. Die Argumente wie die steigenden Zinsen, die ausufernde Inflation oder die hohen Rohstoffpreise sind hinlänglich bekannt. Dabei wird oft vergessen, dass Perioden mit grösseren Kursverlusten bei den Aktien immer wieder vorkommen und zum Leben als Anleger und Anlegerin dazu gehören.

Wer erinnert sich noch an die Asienkrise 1998, als der Swiss Performance Index 35% einbüsste. Durch die momentane Schwäche der Technologieaktien wird das Platzen der Dot-Com-Blase 2001 wieder aus der Schublade genommen. Die Baisse dauerte drei Jahre und liess die Aktien in der Schweiz 50% sinken. Stärker ist die Erinnerung an die Finanzkrise 2008 mit einem Kursrückgang von ebenfalls 50%. Vergessen sind dagegen die Baissen und ihre Auslöser von 2011 und 2016, obschon jeweils ein Viertel des Börsenwerts verloren ging. Der Corona-Crash 2020 mit seinem Minus von 25% ging so schnell vorbei, dass er sich gar nicht in die Erinnerung einbrennen konnte. Diese Aufzählung zeigt, dass stark fallende Aktienkurse öfters vorkommen. Dass sie vergessen gehen, hängt damit zusammen, dass die Verluste früher oder später immer wieder aufgeholt wurden.

Solide Basis

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auch die aktuellen Kursverluste wieder aufgeholt werden, auch wenn der Glaube daran angesichts der Fülle der negativen Meldungen im Moment schwerfällt. Die Frage ist nur, wie schnell es gehen wird und ob auf dem Weg dorthin noch eine Kurve nach unten genommen wird. Die Pessimisten bringen vor, dass die Zentralbanken die Aktienmärkte nicht mehr mit tiefen Zinsen und mit viel zusätzlichem Geld retten werden. Die Finanzminister sind tief verschuldet und können auch nicht mehr mit Hilfsgeldern aushelfen. Eine rasche Rückkehr zu den alten Höchstständen wie bei Corona werden wir deshalb kaum sehen. Die Ausgangslage ist aber besser als bei den grossen Börsencrashes 2001 und 2008. Im Unterschied zu den Dot-Com-Highflyern der Jahrtausendwende sind die Geschäftsmodelle der meisten Technologiefirmen heute real und nicht blosse Versprechen, die nie eingelöst werden. Sie verdienen viel Geld damit. Im Unterschied zu 2008 steht das globale Finanzsystem nicht am Rande des Abgrunds. Die Banken müssen nicht gerettet werden.

Die Konjunktur entscheidet

Wie es an den Börsen in den nächsten Monaten weitergehen wird, hängt vor allem von der Konjunkturentwicklung ab. Die Volkswirtschaften der Industrieländer haben sich mit Ausnahme von China von den Corona-Einbrüchen erholt. Sie gehen nicht angeschlagen in die Phase der wirtschaftlichen Abschwächung. Das gilt insbesondere für die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen in den USA, aber auch in der Schweiz. Der Puffer zur Rezession und damit zu drastischen Gewinneinbrüchen bei den Unternehmen ist gross. Sollte es dennoch zu einer Rezession und zu steigenden Arbeitslosenraten kommen, werden die Rohstoffpreise erfahrungsgemäss deutlich sinken und die Lohnforderung gemässigter werden. Die Inflationsraten werden in einem solchen Umfeld rasch sinken und den Zentralbanken Spielraum für eine wieder expansivere Geldpolitik geben. Davon profitieren wiederum die Aktienmärkte. Wohin es die Aktienkurse in den nächsten Monaten zieht, ist unsicher. Vorsicht bei neuen Käufen ist somit angebracht. Der Aufschwung an den Börsen wird aber kommen. Diesen sollte man nicht verpassen, weshalb es genauso wenig angebracht ist, seine Aktien zu verkaufen.

 

Titelbild: whiteMocca – shutterstock.com

author-profile-picture-150x150

Mehr zu Dr. Thomas Stucki

Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 30 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von CHF 4,4 Milliarden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.

jQuery(document).ready(function(){if(jQuery.fn.gslider) {jQuery('.g-22').gslider({groupid:22,speed:10000,repeat_impressions:'Y'});}});