Geldentwertung: Am Ende entscheiden die Löhne

Der Anstieg der Inflationsrate in den USA auf 6.2% und damit auf den höchsten Wert seit dreissig Jahren hat Wellen geworfen und die ohnehin vorhandene Unsicherheit betreffend Geldentwertung weiter geschürt. Eine wahre Inflation erlebten die warnenden Kommentare.

Die Finanzmärkte zeigten sich dagegen unbeeindruckt.

Die Zinsen der Anleihen sind gestiegen, befinden sich aber immer noch unter dem Niveau von Ende Oktober. Der US-Dollar konnte zum Franken zulegen, aber die Verluste des Vormonats nur ansatzweisen ausgleichen. Die Aktienmärkte nahmen die hohe Inflationsrate mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. Dass Elon Musk nach seiner Abstimmung auf Twitter für Milliarden US-Dollar Tesla-Aktien verkauft, ist interessanter.

Die Wahrheit liegt wie so oft dazwischen. Aufgrund der Inflationsentwicklung in Panik auszubrechen, ist nicht angebracht. Die Preiserhöhungen als statistischen Ausreisser mit kurzer Verfallzeit abzutun, ist auch nicht mehr opportun. Die Inflationsrate wird zwar massgeblich durch einzelne Segmente wie dem Benzinpreis, den Mietwagen oder den Gebrauchtwagen getrieben. Über die Umwälzung der höheren Inputkosten sind aber Preiserhöhungen bei einer breiten Palette von Produkten und Dienstleistungen zu sehen. Die Haupttreiber sind dabei neben der rasch und stark gestiegenen Nachfrage die hohen Rohstoffpreise und die Lücken in den Lieferketten.

Immer wieder die Rohstoffpreise

Stark steigende Rohstoffpreise waren in der Vergangenheit immer für einen raschen Anstieg der Inflationsrate verantwortlich. Die Preise für Erdöl und für Industrierohstoffe wie Kupfer oder Stahl haben sich im Vergleich zu den Niveaus vom Corona-Sommer 2020 verdoppelt oder wie im Fall des europäischen Erdgases gar vervielfacht. Wenn die Rohstoffpreise nicht mehr im gleichen Tempo weitersteigen, wird ihr Einfluss auf die Inflationsrate im Verlaufe des nächsten Jahres jedoch abnehmen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gross, da beispiels- weise die Förderkapazitäten beim Erdöl noch nicht das alte Niveau erreicht haben, weder in den Opec-Ländern noch in den USA. Ein Ende des Preisauftriebs ist auch beim Kupfer oder beim Holz zu sehen.

Diffuser und wahrscheinlich auch länger anhaltend ist die Lage bei den Transport- und Lieferproblemen. Die globale Logistik war vor Corona ein fein aufeinander abgestimmter Prozess, der durch die Lockdowns aus dem Gleichgewicht geworfen wurde, sowohl beim weltweiten Seetransport als auch in der lokalen Feinverteilung. Bis die Schiffe und die Container wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, dauert es noch Monate, wenn nicht Jahre. Die Probleme werden im nächsten Jahr deshalb nicht vollständig behoben sein, aber kleiner werden.

Höheres Inflationsniveau bleibt

Sowohl die steigenden Rohstoffpreise als auch die Lieferprobleme sind auf die Inflation bezogen temporäre Effekte. Dass sie die Zentralbanken nicht stark beunruhigen, macht Sinn. Gefährlicher für einen anhaltenden Inflationsdruck sind steigende Löhne. Davor haben die Zentralbanken Respekt. Anzeichen von verbreitet stark steigenden Löhnen gibt es bisher nicht. In den USA steigen die Löhne momentan durchschnittlich 3%-4%, was für amerikanische Verhältnisse normal ist. Über den historischen Werten liegen mit einem Plus von 6% die Lohnzuwächse der Jobwechsler. Das ist das Resultat der durch Corona ausgelösten Veränderungen in der Struktur der Wirtschaft mit Gewinnern und Verlierern. Obschon überdurchschnittlich viele Leute momentan ihre Stelle wechseln, ist ihr Anteil an der gesamten Beschäftigung immer noch überschaubar.

Solange die Lohnerhöhungen moderat bleiben, werden die Inflationsraten nicht ausser Kontrolle geraten. Sie werden im nächsten Jahr wieder sinken, die tiefen Niveaus von vor Corona jedoch nicht erreichen. Mit einer Inflationsrate zwischen 3% und 4% wird die Fed gut leben können, nachdem sich die Inflation über eine lange Zeit unter ihrem Zielwert von 2% bewegte.

 

Titelbild: Luis A. Orozco – shutterstock.com

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Mehr zu Dr. Thomas Stucki

Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 30 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von CHF 4,4 Milliarden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.

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