Aktienmärkte: Verschnaufpause oder Start des Abstiegs?

Die Aktienmärkte haben seit dem letzten November im Stile eines Trail-Läufers neue Höhen erklommen. Der Swiss Performance Index hat mehr als 30% zugelegt, der technologielastige Nasdaq gar 40%. Den Startschuss gaben Meldungen über eine rasche Verfügbarkeit von Corona-Impfungen.

Angetrieben wurde der Lauf durch zusätzliche Hilfsgelder, insbesondere in den USA und der EU. Zusätzlichen Schub gaben sehr gute Quartalszahlen der Unternehmen für das erste und das zweite Quartal 2021. Seit Anfang September gerät der Steigerungslauf jedoch ins Stottern.

Der Swiss Performance Index hat 7% verloren, der Nasdaq rund 6%. Die Tagesschwankungen werden grösser und die Anlegerinnen und Anleger nervöser. Da stellt sich natürlich die Frage, ob es sich bei dieser Korrektur um eine Pause auf dem Höhenweg oder um den Beginn des Abstiegs handelt.

Auf der Suche nach den Gründen für die Börsenschwäche trifft man auf Verschiedenes. Der mögliche Konkurs des chinesischen Immobilienriesen Evergrande hat die Angst vor einem Einbruch des Wachstums in China geschürt. Mittlerweile ist es um diese Geschichte wieder ruhiger geworden, obschon sie nicht gelöst ist. Stark steigende Erdgaspreise und Warnungen vor einer Energiekrise im Winter schrecken auf.

In Europa hat sich der Gaspreis in einem Monat verdoppelt, nach- dem die Lieferungen aus Russland, gewollt oder ungewollt, abgenommen hatten. In den letzten Tagen drängte sich das Pokerspiel im US-Kongress um die notwendige Anhebung der Schuldenobergrenze und die Gefahr eines Zahlungsaus- falls der USA in den Vordergrund. All diese Themen haben gemeinsam, dass sie potenziell gefährlich sind, aber irgendwie nicht fassbar. Damit lassen sie viel Raum für Spekulationen zu. Die Wahrscheinlichkeit ist aber gross, dass sie in ein paar Wochen kein Thema mehr sind.

Alle Augen auf die Geldpolitik

Handfester ist die bevorstehende Anpassung der Geldpolitik der Fed. Obschon die Fed die formelle Ankündigung des Zurückfahrens ihres Kaufprogramms für Anleihen auf die nächste Sitzung im November verschoben hat, ist klar, dass sie die Käufe ab Ende Jahr bis Mitte 2022 schrittweise auf null zurückfahren wird. Dieser Schritt hat vor allem einen psychologischen Effekt. Realwirtschaftlich ist die Wirkung der Liquiditätszufuhr von monatlich 120 Mrd. US-Dollar angesichts der Grösse der US-Wirtschaft bescheiden. Wann die Fed mit Zinserhöhungen beginnen wird, hängt vor allem von der weiteren Entwicklung der Inflationsrate ab. Momentan schiebt sie den Inflationsdruck auf temporäre Faktoren wie die gestiegenen Rohstoffpreise und die Probleme in den globalen Lieferketten ab. Sollten die hohen Inflationsraten hartnäckiger sein und die Löhne verbreitet steigen, ist ein früherer als der bisher erwartete Zeitpunkt im Jahr 2023 für höhere Leitzinsen möglich. Aber auch dann werden die Zinsen noch lange auf einem Niveau bleiben, das konjunkturfördernd ist.

Umsicht geboten

Die beste aller Welten für die Aktienmärkte, die Kombination einer sich rasch aus einer Rezession erholenden Wirtschaft und sehr tiefen Zinsen, geht zu Ende. Der Nachholeffekt nach den Corona-Lockdowns ist vorbei. Die Konjunkturdaten werden in den nächsten Monaten gut ausfallen, aber schwächer als im hervorragenden zweiten Quartal. Das gleiche gilt für die Ergebnisse der Unternehmen. Die positiven Überraschungen nehmen deshalb ab, die Enttäuschungen zu. Insbesondere auf der Ebene der Einzeltitel werden die Kursschwankungen dadurch gross bleiben. Übertriebene Rückschläge geben jedoch auch die Möglichkeit, sich ergebende Opportunitäten wahrzunehmen und Aktien zuzukaufen. Um beim Bild des Trail-Läufers zu bleiben: Ihm steht ein gut begehbarer Gratweg bevor. Gefragt ist mehr Aufmerksamkeit und Konzentration als in den letzten Monaten. Die einzelnen Schritte müssen wohlüberlegt gemacht werden. Die Gefahr eines Absturzes ist aber nicht sehr gross.

 

Titelbild: ranjith ravindran – shutterstock.com

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