Nichts bringt mehr Gefahren mit sich als motivierte Mitarbeitende – oder: Employer Branding
VON Michael A. Defranceschi Allgemein
Helmut Qualtinger wusste es schon: Mit dem Motorrad ist man schneller dort – auch wenn man keine Ahnung hat, wo man hinwill.
In Personalabteilungen investiert man erhebliche Geldmittel in Werbekampagnen, um High Potentials anzulocken, in komplizierte Bonussysteme, in Firmengeschenke und Incentives. Anerkennenswerte Programme wie „Investors in People“ oder „Great Place to Work“ werden herangezogen, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein: Auf Neudeutsch nennt man das „Employer Branding“. Manchmal trifft es jedoch der etwas papieren daherkommende deutsche Begriff „Mitarbeiterbindung“ genauer.
Liebe Mitarbeiterin, lieber Mitarbeiter: Zusammen mit euch werden wir grundlegende Änderungen herbeiführen, die Weltmärkte erobern und euch und unser Unternehmen zum grösstmöglichen Erfolg führen! Kommt zu uns: für eure Karriere und euren Erfolg. Für Bildung und Beruf. Für die Leidenschaft, den guten Zweck, das tägliche Brot. Für Bergquellwasser, Käsebrötchen und Kantinenessen. Für den eigenen Parkplatz im Schatten, die betriebseigene Kletterwand und kostenlose Theaterkarten …
Da wird von Fahrradhelmen gesprochen, kostenlosen Massagen … und, wie soll es anders sein, vom gesunden Apfel. Und das alles mit dem Ziel: Employer Branding.
„Und? Findet das Zuspruch?“, frage ich.
„Ja, reichlich!“, sagt man mir. Und nach einer kurzen Pause: „Solange wir das Angebot während der Arbeitszeit machen und keinen Selbstbehalt verlangen.“
Und wie steht es mit den sündhaft teuren Weihnachtsgeschenken: den Businesskostümen und Massanzügen für Weiblein und Männlein? – Ich bekomme ein leicht flaues Gefühl im Magen, spüre die herbe Enttäuschung bei meinem Gesprächspartner.
Ja, das ist ärgerlich, kann ich verstehen.
„Und gibt es Möglichkeiten der Beteiligung für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?“
Stockend wird die Rede auf das betriebliche Vorschlagswesen gebracht und das jährliche Gespräch mit den Mitarbeitenden. Doch das erreicht mich schon kaum noch.
Ich höre mich fragen, für welche Art von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sich das Unternehmen interessant machen wolle, wenn von Employer Branding gesprochen werde. Die Antwort ist ein Lobgesang auf fachliche Kompetenz, Charakter, Handschlagqualität und darauf, Dinge in Gang zu bringen. Die Rede ist von Lebensfreude, von Werten, Zielorientierung und unternehmerischem Denken.
Aber fühlen sich Menschen mit so einer Einstellung von einem firmeneigenen Waldhochseilgarten und gemeinsamer Motivationsgymnastik wirklich angesprochen? Oder führt so ein Verständnis von Mitarbeiterbindung letztlich zur Aufzehrung der unerschöpflich scheinenden menschlichen Ressourcen?
An meiner provokant formulierten These sei schon was dran. Und dann höre ich plötzlich etwas andere, düsterere Töne. Die Konsumhaltung der Belegschaft wird beklagt, die verlängerten Wochenenden. Von sich ausweitenden Besprechungen ist die Rede, von Hinhaltetaktik und von Fixierung auf Probleme statt Lösungen.
Was würde ich denn vorschlagen, höre ich. Für einen kurzen Augenblick denke ich daran, für die Mitarbeitenden ein Motivationstraining zu empfehlen. Doch ich widerstehe dem ersten Impuls. Denn schliesslich birgt nichts mehr Gefahren in sich als motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Lapidar sage ich, der Fisch gesunde vom Kopfe her. Und rate deshalb zu einer kurzen und effizienten Intervention mit den Führungskräften. Denn Employer Branding fange mit gelebter Führungskultur an. So jedenfalls meine Ansicht.
Zunächst einmal schlage ich einen Halbtages-Workshop vor, in dem die Werthaltungen jedes Einzelnen verstanden und kommuniziert werden. In dem die Erfahrungen im Arbeitsalltag gesammelt und begriffen werden. In dem den Teilnehmenden die Fragen gestellt werden, welche Schwerpunkte sie setzen und welche Richtung sie eigentlich einschlagen wollten.
Ein unternehmerisch denkender Mensch wolle die Dinge selbst gestalten. So höre ich mich sagen. Und wer dies verlernt habe, müsse sich fordern und diese Fähigkeit wieder kultivieren.
Dann ist wieder davon die Rede, dass man genau nach diesen Kernkompetenzen suche. Davon, dass vielleicht neuer Schwung gut tue. Dass eine Kampagne mit flottem Slogan auf leuchtendem Untergrund geplant sei. Dass man sich davon einiges versprechen könne, wie die Marketingagentur versichert habe. Der Personalberater habe dies auch attestiert – und auf einige interessante Profile verwiesen, die gerade im Markt zur Verfügung stünden. Insgesamt eine Erfolg versprechende Aussicht.
Sobald die Veränderungen in der Führungsmannschaft zum Abschluss gebracht seien, werde man noch einmal zusammenkommen. Augenblicklich sei das Team dafür noch nicht gerüstet. So höre ich. Man könne momentan noch nicht erwarten, dass das Team bereit sei, in seinem jetzigen Zustand tatsächlich gewinnbringend so „persönliche Dinge“ wie die Erfahrungen im Arbeitsalltag zu besprechen. Dann vergeude man damit nur seine Zeit. Eine Umbildung auf Führungsebene führe hingegen schneller einen sichtbaren Wandel herbei.
Natürlich. Meine ich. Und verbiete mir die Frage, welchem Ziel die Veränderung dienen soll.
Ach ja, da kommt mir Helmut Qualtinger wieder in den Sinn.
Ich bedanke mich für das freundliche Gespräch und empfehle mich. Der Name meines Gesprächspartners kommt auf meine Adressenliste für Weihnachtskarten. Bis dahin werden die Veränderungen im Führungsteam bestimmt ihren Abschluss gefunden haben.
Der Fisch gesundet vom Kopfe her. Schiesst es mir wieder durch den Kopf.
Doch dieses Thema hatten wir ja schon.
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