Neues Arbeitsfeld für Journalisten – Content-Marketing als Arbeitgeber?
Sollten sich zukünftig viele Journalisten eine neue Arbeit suchen müssen – könnten sie für die Marketingabteilungen von Wirtschaftsunternehmen tätig werden. Manche verdiente Vertreter dieses Berufsstandes denken ernsthaft über die Möglichkeit nach oder treiben sie sogar selbst aktiv voran.
Tatsächlich gibt es Schnittmengen zwischen Journalisten und Content-Produzenten, auch wenn eine Anstellung bei einer Firma der Wirtschaft dem bislang vorherrschenden Selbstverständnis des klassischen Journalismus widerspricht.
Dieser Beitrag zeigt solche Übereinstimmungen auf und stellt die Frage, was bei all diesen möglichen Veränderungen aus der objektiven Berichterstattung werden könnte. Weiterhin kommt der Journalist Karl Lohmeyer zu Wort, der selbst durch Content-Marketing neue Stellen für seine Mitstreiter schaffen möchte.
Der Journalismus steckt in der Krise. Selbst grosse Verlagshäuser mussten schon betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Sie arbeiten sowohl an einer Neuausrichtung ihrer Arbeitsweise als auch ihres Angebots. Wohin entwickelt sich diese Branche?
Journalismus und Content-Produktion nähern sich an
Zurückliegend hätten sich Journalisten wahrscheinlich nur in sehr geringem Masse mit Content-Produzenten identifiziert. Dafür sind die Unterschiede zwischen einer objektiven Berichterstattung und der Textproduktion nach Auftrag mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, zu gross. Heute gibt es diese Unterschiede noch genauso, es deutet sich aber nach und nach ein Umdenken an, welches durch die aktuelle Krise vieler Verlage ausgelöst wurde.
Wird die Krise weiter andauern – die sicher nicht zuletzt mit der Erwartungshaltung der Konsumenten zusammenhängt, online-Inhalte seien kostenlos zur Verfügung zu stellen – ist die jetzige wie die zukünftige Journalistengeneration gezwungen, sich nach anderen Einnahmequellen ausserhalb der Zeitungen und Verlage umzusehen. In dem Zuge vollzieht sich der Paradigmenwechsel im Marketing allgemein von einer Push- zu einer Pull-Strategie und speziell im Aufkommen des Content-Marketings. Diese Entwicklung zieht in den Marketingabteilungen zahlreicher Wirtschaftsunternehmen den Bedarf an guten Schreibern nach sich. Warum sollten Unternehmen also nicht die vorhandenen und erfahrenen Journalisten einstellen? Und weshalb sollten die Journalisten dieses Angebot aus der Wirtschaft nicht annehmen?
„Ja, jetzt höre ich sie wieder, die Einwände, das sei doch kein Journalismus, wenn man Content-Marketing betreibe. Und wenn man Journalismus allein als investigativ und in seiner klassischen Überwachungsfunktion betrachtet, mag das auch stimmen“, merkt der Journalist Karsten Lohmeyer an, den wir einem anderen Artikel bereits zitierten. „Doch guter Journalismus ist mehr“, erläutert Lohmeyer weiter: „Er ist ein Handwerk, das unter anderem auch Unterhaltung, Information und Nutzwert bieten kann.“
Hinzu kommt die Weiterentwicklung des Content-Marketings, die zur Verkleinerung des Zwischenraums zwischen investigativem Journalismus und Auftrags-Produktion beiträgt: Authentizität wird immer mehr als ein wichtiger Faktor für gutes Content-Marketing angesehen. Einige Unternehmen haben gezeigt, dass sie willens sind, dieser Forderung nachzukommen, indem sie sich aus der Content-Produktion herausnehmen. Ulf-Hendrik Schrader, Redakteur beim Technikportal t3n und Teilnehmer der diesjährigen Content-Marketing-Conference, erklärte bezüglich der Siemens AG, dass diese zur Content-Produktion mit erfolgreichen Dokumentarfilmern zusammenarbeite und sich „über das initiale Briefing hinaus“ nicht weiter in die Produktion einmische.
Auch Karsten Lohmeyer zeigt sich zuversichtlich, dass der klassische Journalismus durchaus über Schnittmengen mit dem Corporate-Publishing verfügt. Er erklärt: „Wir bei The Digitale [Content-Marketing Dienstleister der Telekom, Anm. d. Red.] jedenfalls werden die journalistische Freude am Geschichtenerzählen – auch Storytelling genannt – ebenso pflegen wie den guten Nutzwertjournalismus. Nur eben nicht als Verlag, sondern im Auftrag eines Unternehmens.“
Was wird dann aus der objektiven Berichterstattung?
Für Journalisten stellt die Content-Produktion einen potenziellen neuen Arbeitgeber dar. Weil aber Content-Produzenten den investigativen Journalismus faktisch nicht ersetzen können, stellt sich eine Folgefrage: Wenn nun zahlreiche Journalisten in Richtung Content-Marketing abwandern, wer bleibt auf längere Sicht übrig, um eine möglichst objektive Berichterstattung zu liefern? Wie wird sich der einzelne Bürger künftig über die wichtigen Ereignisse in der Welt informieren?
Es bestünde sicher nicht das Problem, dass keine Informationen vorhanden wären. Vielmehr würde ein objektiver Filter vor einem Informations-Überangebot fehlen, der Falschmeldungen und nicht bestätigte Gerüchte von Konsumenten fernhielte, Wichtiges von Unwichtigem sonderte und wertvolle Inhalte in sinnvolle Kategorien ordnete. Infolge der weiter ansteigenden Informationsflut besteht hier echter Bedarf bei den Bürgern – und den können Tageszeitungen gut ausfüllen.
Das ist allerdings nicht neu. Bereits im Sommer 2002 gab es eine Umfrage zur Zukunft des Journalismus unter 135 Chefredakteuren deutscher Tageszeitungen, durchgeführt von Claudia Mast, Professorin für Kommunikationswissenschaften sowie Klaus Spachmann, Dr. der Kommunikationswissenschaften. Die Erkenntnis daraus war, dass sich nach Beurteilung der Chefredakteure das publizistische Profil der Zeitungen „weniger an der Ereignisberichterstattung orientieren, sondern vielmehr die Konsequenzen der Entwicklungen für den Leser erklären“ solle. Damit verschiebe sich die „Positionierung der Tageszeitungen von der sogenannten Chronistenpflicht hin zum Ratgeber, Interpreten und Navigator in einem überbordenden Informationsangebot.“
Was aber heute neu ist, sind die technischen Möglichkeiten, wie Tageszeitungen solch eine Informations-Filterfunktion wahrnehmen können. Eine Option sind sicher Newsletter oder Newsfeeds, bei denen sich die Leser selbst die Themengebiete zusammenstellen können, über welche sie auf dem Laufenden gehalten werden möchten. Das Alleinstellungsmerkmal solcher Newsletter kann eine besonders hohe Themenqualität oder ein für die jeweilige Zielgruppe passendes Informationsformat sein. Ist das Angebot überzeugend, kann es auch mit einer bestimmten Gebühr belegt werden – Qualität setzt sich eben am Ende doch durch.
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Quellen: Krise der Zeitungen: Wohin steuert der Journalismus? Universität Hohenheim, 2003