Wahrhaftigkeit ist die beste Grundlage für Entwicklung

Kennen Sie das? Sie gehen mit Ihrer Meinung zu Ihrem Vorgesetzten und kommen mit seiner Meinung zurück. Eine Situation, die nicht nur auf Beschäftigte auf der untersten Ebene im Unternehmen zutrifft, sondern durch alle Hierarchieebenen hinweg bis knapp unter die Spitze reicht. Nur ganz oben ist die eigene Meinung klar, wird widerspruchslos artikuliert und leider oftmals genauso widerspruchslos akzeptiert und umgesetzt. Letztlich zählen nicht mehr die eigene Meinung und selbstständige Meinungsbildung, sondern ein bedenklicher Drang zur Unterordnung und Kriecherei, der letztlich ganze Systeme zum Einsturz bringen kann.

Auch wenn es 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Osteuropa etwas eigenartig klingt, waren es unter anderem genau diese Vertuschung eigenständiger Meinungen und Haltungen, der blinde Gehorsam in der Hierarchie von unten nach oben und das gehorsame Abnicken selbst unsinnigster, aber eben oberster Weisungen, die nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das politische System kaputt gemacht haben.

Kriechertum macht marode

Heute finden wir eine ähnliche Situation in vielen Unternehmen auch hierzulande wieder. Was der oberste Chef sagt, ist Gesetz und wird nicht diskutiert. Zumindest nicht laut. Auch wenn hinter vorgehaltener Hand diskutiert und kopfschüttelnd pariert wird, passiert letztlich genau das, was der widerspruchslos geachtete und gefürchtete Chef will.

Was nützt es da, wenn sich die Führungskräfte in den unteren Positionen für ihre Unterstellten stark machen, Ergebnisse und Strukturen sorgsam beobachten und analysieren, um dann in der nächsten Hierarchieebene abgeschmettert zu werden? Nichts! Ein solches eigentlich gesundes wahrhaftiges und aufrichtiges Verhalten mag zwar von den eigenen Mitarbeitern geachtet sein, wird aber nach oben zunehmend zur Karriere- und Wahrnehmungsfalle. Kritische Führungskräfte werden geschnitten, wenn nicht gar aus ihren Posten entfernt oder gleich gekündigt. Immerhin ist eine offene und vor allem ehrliche Diskussion unbequem. Wer legt sich letztlich schon gern mit dem Chef an?

Genau diese Position führt in vielen Unternehmen dazu, dass die Obrigkeit den Kontakt zum mittleren Management und zu den Beschäftigten selbst verliert und sich nur noch im Licht der eigenen vermeintlichen Unfehlbarkeit sonnt. Im Endeffekt kommen wichtige Meldungen und Impulse von unten nach oben nicht mehr durch, werden von einer Hierarchieebene in die andere geschönt und an der Unternehmensspitze entsteht der Eindruck, alles sei in bester Ordnung.

Wer hier widerspricht oder Bedenken zeigt, gilt dann schnell als Querulant und Unruhestifter. Das vor allem, weil die Kollegen auf derselben Hierarchieebene oftmals nicht oder nicht mehr den Mut zur Wahrhaftigkeit haben.

Im Sinne eines möglichst reibungsarmen Aufstiegs in die heiligen Hallen der Unternehmensspitze werden kritische Meinungen abgeschmettert und gebetsmühlenartig die Meinungen und Haltungen des Chefs dahergemurmelt. Allein die Art und Weise der steten Wiederholungen der vermeintlichen Chefmeinung zeigt, dass es hier nicht um die eigene Haltung, sondern um die Kopie von Obrigkeitsverhalten geht.

Das schadet dem ganzen Unternehmen, weil dadurch das gesamte Mass an Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit im Betrieb nachhaltig geschädigt wird. Zunehmend verstehen sich die Mitarbeiter als Ausführungsgehilfen und wagen es zugunsten von Arbeitsplatz und Karriere nicht zu widersprechen. In der Folge setzen sich Prozesse durch, die oftmals weder sinnvoll noch für die Situation passend sind. Der Spiegel für derart motivierte Fehlentscheidungen sind Zahlen, die nicht befriedigen können.

Spätestens dann wird wieder nach Argumenten gesucht, die denen des Chefs möglichst nahe kommen, um ja nicht aufzufallen. Vor allem nicht negativ. Das Versagen in Zahlen ausgedrückt wird weitergereicht nach unten, bis es durch die Hierarchieebenen herab beim einfachen Arbeitnehmer angekommen ist. Dieser selbst sieht sich letztlich in der Verantwortung dafür, die aus Feigheit mitgetragenen Entscheidungen des Managements wieder zu korrigieren.

Allerdings wird das letztlich nicht funktionieren, da der einfache Arbeiter nicht wirklich weiss, wie er notwendige Veränderungen nach oben durchsetzen soll, wenn dort die Meinung des obersten Chefs göttliches Gebot zu sein scheint. Verlogenheit, Duckmäusertum und Schleimerei sind die wahrhaft schlechtesten Grundlagen für eine vorwärtsweisende Entwicklung im Unternehmen.


Nur eine kritische und vor allem eigenständige Sicht auf die Dinge kann helfen, Missstände im Unternehmen zu erkennen, aufzudecken und vor allem zu verändern. Hier ist zuerst die Haltung des Chefs gefragt. Je offener und respektvoller dieser sich gegenüber kritischen Haltungen und abweichenden Meinungen zeigt, desto eher wird ein offenes Klima im Unternehmen entstehen.

Auf diese Weise lassen sich auch unbequeme Wege viel einfacher gehen, zumal in jeder Hierarchieebene dann auch das ankommen darf, was von unten nach oben transportiert und kommuniziert werden soll. Das lakaienhafte Abnicken einer Meinung, die nicht der eigenen entspricht, bringt niemanden weiter. Schon gar nicht ganze Unternehmen.

Dabei müssen Meinungsverschiedenheiten längst nicht zum dauernden Clinch im Unternehmen führen. Letztlich lassen sich viele Entscheidungsprozesse auch demokratisch abstimmen, und wo das nicht geht, zählt letztlich die klare Anweisung. Auch das kann funktionieren. Allerdings nur dann, wenn hier genügend Kontrollmechanismen eingebaut sind, die auch Änderungen am eingeschlagenen Weg erlauben, falls dieser sich als nicht förderlich oder sogar als falsch erweist.

Wahrhaftigkeit ist eben nicht nur von Wahrheit, sondern vor allem von Beständigkeit in der Meinungsbildung geprägt. Das macht Menschen berechenbar, trägt zu Fairness und Respekt bei und schafft beste Voraussetzungen für die wahre Fortentwicklung im Unternehmen.

 

Oberstes Bild: © Jiersak – Shutterstock.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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